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Wohnraum in der StadtLegale Besetzung

In einem leer stehenden Chemiewerk leben nun sechs Bewohner. Sie sollen den Backsteinbau im Industriegebiet vor echten Hausbesetzern schützen.

Neues Zuhause für sechs Bewohner: Chemiewerk in Eidelstedt. Bild: Ulrike Schmidt

Der Chemiehersteller Bosig hat Menschen in sein leer stehendes Werk in Eidelstedt einziehen lassen. Der eckige Backsteinbau im Industriegebiet war früher das Verwaltungsgebäude der Fabrik. Jetzt leben hier sechs sogenannte Hauswächter, die die Büros zugleich bewohnen und bewachen sollen. Sie zahlen dafür nur 175 Euro – Gebühr, nicht Miete, denn das Mietrecht gelte hier nicht, sagt Karsten Linde vom Wohnraumvermittler Camelot.

Das Konzept von Camelot klingt nach Vorteilen für alle: Während sich Unternehmen teures Sicherheitspersonal sparen, das ihre leer stehenden Immobilien bewacht, würden den Hauswächtern einzigartige Räume für kleines Geld zuteil. Jemand, der eine Kirche bewohnt, könne dort die Orgel benutzen, schwärmt Linde, anderswo lockten lichte Räume Maler und Künstler an.

Das Vermittlungsunternehmen stammt aus den Niederlanden. In Deutschland bringt Camelot seit 2010 seine Hauswächter in Leerstände. So leben 18 von ihnen in einer ehemaligen Schule in Berlin, in Nordrhein-Westfalen werden sogar Wohnhäuser vermittelt.

Hauswächter

Camelot war in den Niederlanden vor rund 20 Jahren der erste Gebäudeverwalter seiner Art. Mittlerweile leben dort etwa 50.000 der günstigen Hauswächter in Leerständen.

Die Niederlande hat traditionell eine starke Hausbesetzerbewegung, bis vor zwei Jahre waren Besetzungen (niederländisch: "kraaken") nicht verboten.

So genannte Antikraak-Verträge, also Billigmietverträge, sind dort noch immer populär, um Leerstände vor ungebetenen Gästen zu schützen.

In Deutschland gibt es nach Camelot-Aussagen rund 100 Hauswächter.

Die Bewohner der Brachen haben allerdings auch Pflichten. Laut Vertrag müssen sie an fünf von sieben Tagen in den Häusern leben. Längere Abwesenheiten müssen sie bei Camelot anmelden. Das Unternehmen kontrolliert die Anwesenheit unangekündigt mindestens einmal im Monat. Ein Eingriff in die Privatsphäre? „Ich würde mich nur dann angegriffen fühlen, wenn ich das nicht vorher gewusst hätte“, sagt Linde. Die Hauswächter seien informiert, worauf sie sich einlassen.

Das Papier, das Camelot seine Bewohner unterschreiben lässt, ist kein Mietvertrag, sondern eine Gebrauchsüberlassung, stellt das Unternehmen auf seiner Internetseite klar. „Der Camelot Hauswächter Vertrag ist ein rechtsgültiges Dokument, das kein Mietrecht oder Mieterschutz beinhaltet“, heißt es dort. „Die Kündigungsfrist ist auf vier Wochen verkürzt und für den Vermieter entfällt eine Pflicht zur Instandhaltung der Räume“, sagt Linde. Dafür biete Camelot allerdings eine 24-Stunden-Hotline.

Siegmund Cychla vom Hamburger Mieterverein sieht diese Vertragskonstruktion skeptisch: „Gäbe es in Hamburg keine Wohnungsknappheit, würde sich kein Mieter darauf einlassen“, sagt er. In Hamburg fehle Bauland für neue Wohnungen, stattdessen werde durch das Camelot-Prinzip Leerstand verwaltet und geschützt.

Auch Leerstandsverwalter Linde räumt ein, dass die hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnungen seinem Unternehmen sehr entgegenkomme. Camelot biete ein Konzept, dass Wohnraum dort bereitstelle, wo er knapp ist. In Hamburg habe es weit mehr Anfragen als Plätze gegeben.

Im Bosig-Chemiewerk könnten die Bewohner nun aber erst mal einige Monate bleiben, sagt Linde. Was weiter mit dem Gelände geschehen soll, dazu wollte der Chemie-Fabrikant keine Auskunft geben. Aber Linde blickt positiv in die Zukunft: schließlich seien einige Hauswärter mit Camelot bereits ein paar Mal umgezogen.

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5 Kommentare

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  • P
    patchbay

    Camelot ist ein britisches Unternehmen übrigens. Aber sie sind in den Niederlanden sehr aktiv.

  • B
    bob

    verstehe ich das richtig, dass ich einen auf hausmeister mache bei dieser firma und zusaetzlich noch sicherheitsdienst und dafuer noch zahlen darf?

     

    klingt nach einem guten deal...nicht

  • D
    Detlev

    Die Stadt und das Finanzamt sollten sich diese Verträge mal genauer anschauen, denn es handelt sich nicht um klassische Hausmeister, sondern um eine Art Tätigkeit und die müsste dann wohl auch versteuer und bezahlt werden. Ein Wohnrecht alleine dürfte kaum ein Ausgleich für eine Anwesenheitspflicht von fünf Tagen sein. Das klingt doch sehr nach einer Arbeitswoche.

     

    Ein Hausmeister nutzt seine Wohnung meist sieben Tage, weil er eben dort tatsächlich wohnt und von dort aus meist noch einer Erwerbsarbeit nachgeht. Also für meine Begriffe ist das hier nicht koscher. Und das Finanzamt hätte meiner Meinung nach auch Anspruch auf Einkommenssteuer, wenn die Leute eine Art Arbeitsaufgabe haben, die besteht ja darin, fünf Tage anwesend zu sein und dürfte die Leute davon abhalten, tatsächlich zu arbeiten.

  • MP
    M. Petersen

    Geht es auch kritischer? Es handelt sich hier um eine neue, extrem präkere Wohnform. Selbst als Besetzer hat man mehr Rechte.

  • WR
    Weiße Rose

    Nachdem für Millionen von den einst schwer erkämpften Arbeitnehmerrechten faktisch nichts mehr übrig ist, wird jetzt das Mietrecht von einer gierigen und nimmersatten Ausbeuterkaste zersetzt.

    Statt bei der unerträglichen Wohnungsnot in Hamburg lange leerstehende riesige Büroflächen - auch zwangsweise - in Wohnraum umzuwandeln oder Teile der Großmannsvillen in Blankenese(und anderswo, bei den Pfeffersäcken), solidarisch für Wohnungssuchende nutzbar zu machen, versagen besonders die SPD-Amigos nicht nur kläglichst, sondern verraten einmal mehr alles, was ihnen einmal lieb war!