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Kolumne BlickeAbschied von Mutti

Ambros Waibel
Kolumne
von Ambros Waibel

Die Mutti war immer da. Aber nun ist das Konzept der allumsorgenden Mutter erledigt. Etwas besseres muss man erst noch erfinden.

Mami? Bild: ap

L iest noch jemand den Dichter Johannes Bobrowski? Ich eigentlich auch nicht, weil wenn, lese ich gleich Horaz. Bobrowski hat aber etwas geleistet im Leben: Er hat Abschied genommen. Von den „verlorenen Ostgebieten“: Schlesien, Pommern, Ostpreußen; aber auch vom Baltikum, von Polen, von der Ukraine und von Russland.

Also von jenem Raum, in dem die slawisch-jüdisch-deutsche Mischkultur ein paar hundert Jahre lang nicht nur Mord und Totschlag hervorgebracht hat, sondern auch, um nur das mir liebste Beispiel zu nennen, das Werk von Joseph Roth.

Nach Vernichtungskrieg, Holocaust, Roter Armee, Flucht und Umsiedlung war damit Schluss. Indem Bobrowski stellvertretend, als ein Dichter eben, Abschied nahm – was ihm in der DDR wie in der BRD übel genommen wurde, aus ganz unterschiedlichen Gründen natürlich –, setzte er den Keim des Neuen. Und wie komme ich jetzt zu den Muttis?

Alexander Janetzko
Ambros Waibel

ist Meinungs- und tazzwei-Redakteur der taz.

Als ich klein war, galten Kinder, die nach der Schule in den Hort mussten, als arme Schweine. Ich hatte keinen Kontakt zu ihnen, aber man hörte doch Merkwürdiges – Eltern, die nicht zusammenlebten, Mütter, die an coop-Kassen saßen, traurige Geschichten von vorgekochtem Mittagessen, das die armen Schweine dann ganz allein verzehren mussten. Sie hatten coole Schlüsselbänder um den Hals, aber oft kein Schulbrot dabei.

Wenn ich nach Hause kam, war alles bereit. Am größten waren die Sommer, wenn meine Mutter auf einem wackligen Gasherd im Kleingarten gekocht hatte. Nach dem Mittagessen machte ich mit meiner Mutter – meiner Mutti, ja – Hausaufgaben. Mein Mutti war immer da.

Es gab keine Diskussionen darüber, schon gar nicht, wenn ich krank war. Meine Mutti hatte immer Zeit; und nur wenn ich nachts erwachte und sie auf dem Weg zur Toilette auf ihrem Bett liegen und dicke Bücher lesen sah, dachte ich: Sieh an – was ist denn jetzt?

Aber das blieb nicht lange haften. Eine heute alltägliche Erziehungsberechtigtenauseinandersetzung à la „Wer betreut das Kind, wenn …?“ wäre mir absurd erschienen, sie hätte mir Angst gemacht und ich hätte sie gehasst (meine Mutti war nie krank).

Mein Vater hätte sich auch gar nicht um mich kümmern können, weil er noch nicht mal sich selbst ein Brot schmieren konnte (später verstand ich: er kann anderes, auch für mich). Mutti ist heute tot. Nicht meine – zum Glück. Nur Mutti an sich. Man muss ihr nicht nachweinen.

Aber manchmal, wenn das Ich-ich-ich-Gezeter der Elternwelt im privaten wie im politischen Raum überhand nimmt, wenn ich die mal verzweifelt, mal aggressiv wegorganisierten Kinder (auch meine) so anschaue; wenn ich die Meinung höre, das Konzept Mutti habe viele „kreative Lebensentwürfe“ verhindert (was stimmt) und mit dem Werfen des Konzepts Mutti auf den Ideologiemüllhaufen der Geschichte würde nun automatisch alles besser (was ganz bestimmt nicht stimmt, jedenfalls nicht für die Kinder), dann denke ich schon, dass ich froh bin, dass ich eine Mutti gehabt habe: Es war wunderschön, es war nicht fair, aber so war es – und es ist vorbei.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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17 Kommentare

 / 
  • GL
    Gerda Luise

    Ich hatte "keine" Mutti, die hat gearbeitet. Vati auch. Ich hatte bis Klasse 4 den Hort, da waren meine Freunde. Und ab Klasse 5 hatte ich einen Schlüssel um den Hals, habe bei meinen Freunden geklingelt und gefragt: "Kommste runter?".

    Dafür waren die Wochenenden umso schöner: Erst wurde geputzt, dann gekocht und gegessen, dann Prof. Flimmrich oder Meister Nadelöhr geguckt, dann gespielt oder mit Freunden getroffen und manchmal den "Ein Kesssl Buntes" im TV geschaut. Alle gemeinsam vor der Glotze :-). So als was Besonderes. Zu meinen Eltern habe ich noch heute ein total entspanntes Verhältnis. Ich fand meine KIndheit super.

    Wessikinder tun mir aufrichtig leid. Echt arme Schweine. Ob mit oder ohne Mutti.

  • MA
    Muttermilch aus dem Smartphone

    Wichtig ist vor allem, daß die Sau Milch gibt. Denn, wenn Babies nicht ihre ersten drei Jahre gesäugt werden, werden sie zwangsläufig zu U-Bahnschlägern und Autofahrern.

  • SS
    sieht Scheisse aus

    Der ist jetzt Kommissar beim Tatort, nachdem aus seiner Karriere in der Nazionalmannschaft nichts geworden ist.

  • N
    Nana

    Nachtrag:

     

    Auch die Steinbrück-Kinder hatten ihre Mutti. Frau Steinbrück hat Teilzeit gearbeitet, Großmutter und Au-pair haben (daheim?) auf die Kinder aufgepasst. [Nachzulesen in der faz: Steinbrücks Doppel-X-Problem]

     

    Aber die Steinbrücks sind ja auch eine ordentliche Familie, die staatliche Zuwendungen nicht in Zigaretten und DVDs stecken und auch nicht versaufen. Die stellen Vernünftiges mit ihrem Geld an. Nicht so wie andere Eltern.

  • TS
    Till Scholtz-Knobloch

    Der Einstieg des sonst gelungenen Textes enthält eine häufig verwendete Floskel, die eine falsche Suggestion malt. Die "Mischkultur" von der die Rede ist mag es im Baltikum, in Teilen Ostpreußens oder in Oberschlesien gegeben haben. Schreibt man nur Schlesien wird eine kulturelle Osmose z.B. auch für größere Niederschlesien postuliert. Natürlich findet sich hier und da in der Geschichte auch wegen geografischer Nähe ein entsprechender Anknüpfungspunkt. Doch deutsch-polnische Mischkultur - da könnte man deutsch-polnische Mischkultur vor 1945 auch für Magdeburg, Bremen oder Rostock genauso postulieren. Von einigen slowinzischen Dörfern im äußersten Osten Pommerns abgesehen, ist eine solche Mischkultur auch für Pommern hanebüchen. Nun ja, man sieht ja auch, dass der Autor Vertreibung durch "Umsiedlung" abzuschwächen wünscht, obwohl das auch in Polen heute nicht mehr per se abgewiesen wird - übrigens am wenigsten in gebildeten Kreisen.

    Till Scholtz-Knobloch (Chefredakteur Wochenblatt.pl - Zeitung der deutschen Minderheit in Polen)

  • W
    Waldgänger

    Ich (Mitte 20) bin ebenfalls froh, daß eine Mutter für mich und meine drei Geschwister da war. Die Vorstellung, ich hätte länger als ein Jahr im Kindergarten verbringen müssen... furchtbar! Ich bin froh, daß meine Frau von sich aus sagt, sie will selbstverständlich nur für unsere Kinder da sein. Dafür sind auch finanzielle Einbußen hinzunehmen. Für die Kinder ist es allemal besser. Und es denken glücklicherweise immer mehr junge Frauen so. Denen geht es gehörig auf den Senkel, dumm angeschaut zu werden, wenn sie sagen: "Hausfrau, ganz für meine Kinder da zu sein, das ist mein Lebenstraum!" Das macht Hoffnung, daß die Lügensauce von falscher Emanzipation und Gleichberechtigung bald im Klosett der Geschichte runtergespült wird.

     

     

    Ich frage mich immer, ob diejenigen, die die "totale Betreuung" fordern, eigentlich gar nicht merken, wie sie sich zu Handlangern des globalistischen Kapitalismus machen. Sie sollten sich vielmehr dafür einsetzen, daß eine Familie sich von einem Gehalt ernähren kann.

  • N
    Nana

    So viel Ehrlichkeit in der taz? Ich bin baff.

     

    Vermutlich hatte die Mehrheit Eurer Redakteure eine „Mutti“ daheim. Im Gegensatz zu den Arbeiterkindern. Peter (unten) mag es ja auch ohne „Mutti“ daheim schön gefunden haben, aber Arbeitereltern sind nicht beide um 16:45 zuhause und haben dann auch nicht unbedingt noch die Kraft, bei Tee und Kaffee vom Tag zu erzählen. Die sind kaputtgeschafft. Interessiert Euch der Teil der Realität überhaupt?

     

    Ihr Mutti- und Eigenheimkinder könnte jedenfalls jetzt mal eine Generation lang ausprobieren, wie super das SPD-, Grünen- und taz-Modell für Eure Kinder ist. Ich kenn das aus der Kinderperspektive, als Mutter mache ich es besser. Sind ja auch meine Kinder und kein ideologisches Projekt.

     

    @Anita: Nein, so war das nicht. Mutti hat damals das Reihenhäuschen bekommen, falls eins da war, und auch Unterhalt, sie wurde nicht dafür bestraft, dass sie sich um die gemeinsamen (!) Kinder gekümmert hat. Und KiK gab es damals auch nicht. Und für einen Job hat man auch nicht 2,50 Euro die Stunde bekommen. Und wenn Papa eine neue Freundin hatte, hat der Staat es auch nicht als seine Aufgabe gesehen, ihm die Gründung einer Zweit- und Drittfamilie möglichst zu erleichtern. Man hatte eine Ahnung davon, wie wichtig eine stabile Familie für ein Kind ist und wie problematisch Patchwork ist.

    Für die Erwachsenen war das z.T. doof. Aber was soll’s, die waren auch erwachsen, die Kinder nicht.

  • IN
    Ihr Na

    @Anita: danke fuer den guten kommentar!

  • M
    Micha

    Es bringt überhaupt nichts, wenn die Mutti die liebste auf der Welt ist, wenn ihre Liebe einfach nur die eigenen Impulse derart Unterdrückt, dass man Jahre der Depression braucht um sich selbst zu kennen.

     

    Hesse schreibt so schön in seinen Tagebüchern, dass eventuell die starke Liebe seiner Mutter seinen Willen gebrochen hätte. Dadurch tut er nicht, was er wollen würde. Das kann ganz schön fertig machen.

     

    Dafür halten mich einige Frauen für den liebsten Mann überhaupt (alle, wenn ich nicht so schüchtern wäre ;) ). Wenn jetzt das "Konzept" tot ist, heißt dass meiner Meinung nach einfach auch härterer Männer in der Zukunft und somit vielleicht auch wieder ein Stück Rückschritt. Lustiger Kreislauf, doch sie passen evtl. besser in die jetzige Welt als ich.

     

    Anfang 20 war ich mir jedenfalls ganz sicher, dass ich mit weniger Liebe stärker, freier, dominanter (und vor allem nicht depressiv weil genauso "fit" wie die anderen) wäre. Heute denke ich eher, es ist ganz gut für meine Mitmenschen, dass ich kein egoistisch-dominanter Arsch bin. Durchaus ein Verdienst meiner Erziehung.

  • A
    Akademikermutti

    Ich habe meine Karriere als Ärztin bewußt für meine Kinder gecrasht, weil dann die Trennung von Mann und Vater eingetreten ist.

    Das Problem sehe ich nicht bei der Rolle der Muttis- gleichwertig Vatis (Temper- Du bist ein Guter und Dich betrifft es genauso)

    Das Problem ist :

    In dieser immer asozialeren Wirtschaft/ Politik, wo es nur um Geld/Profit geht sind die Werte für die relevanten Lebensaspekte NATUR- SOZIALE DIENSTLEISTUNGEN etc. nicht erkannt.

    Klar, könnte Mutti/ Vati prima arbeiten UND prima richtig die Kinder groß ziehen, wenn sich nicht ALLE diesem gierigen Diktat der Pseudowirtschaftlichkeit ("nach mir die Erderwärmung, Jugendkriminalität, Altersarmut....") unterwürfen

    Aber solange Goldmann Sachs den Wert für Kindererziehung nicht in Dollar beziffert und alle glauben, daß sei voll normaal, ey, wird über diese Albernheit von "Sind Muttis gut ?" gefahselt.

    Fragt lieber mal, warum auch die alten Säcke und Säckinnen in unser Politik Vereinbarkeit von Kindern und Profit nicht hinterfragen?

    Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich....

  • P
    Peter

    Ich gehörte zu den "armen Schweinen". Und ich habs genossen. Wenn meine Mutti und mein Vati um 16.45 Uhr nach Hause kamen, hatte ich ungefähr drei glückliche Stunden verbracht und ohne Kontrolle einfach nur die Dinge getan, die alle Kinder lieben, wenn man sie mal drei Stunden aus den Augen läßt.

    Naja, nicht ganz: nebenbei hab ich noch meine Hausaufgaben gemacht, das konnte ich schon allein und es waren MEINE Aufgaben und ich habe die Pfandflaschen und den Müll weggetragen. Das Pfandgeld durfte ich behalten.

    Und wenn meine Eltern nach Hause kamen, waren (meistens) die Spuren aller Schweinereien beseitigt und ich kochte Mutti einen Kaffee, Vati einen Tee und mir selbst auch. Und dann saßen wir und werteten den Tag aus und hatten einander wirklich was zu erzählen, weil wir alle unterschiedliche Erfahrungen gemacht hatten.

    Und so ganz nebenbei wurde ich erwachsen und selbständig und - bin meinen Eltern heute noch sehr, sehr dankbar und verbunden. Sie leben übrigens beide noch. Un dich bin heute Mitte 40 und habe verfahre mit meinem Nachwuchs ebenso und es läuft richtig gut!

  • M
    Mamakind

    Wunderbar!

  • T
    temper

    Wenn ich mir als allein erziehender Vater, so anschaue was ich eigentlich so rollenmäßig als Mann zu tun hätte, graust es mir doch ob der Dinge die ich mittragen müsste. Bleib ich doch lieber Hausmann und sorge dafür, dass ich die Potentiale meines Kindes unterstütze, vielleicht findet es dann wenigstens einen Weg in diese Gesellschaft ohne über die diversen (vielleicht nur von mir wahrgenommenen) Widersprüche zu stolpern. So gibt es für mich nur echte Notwendigkeiten , was moralisch gesehen äußerst beruhigend ist...

    Oder ist die Sache mit dem falschen Leben schon gegessen und ich hab was verpasst?

    Oh, war wohl "off topic", es geht ja um was ganz anderes...

  • J
    John

    Ich hatte während meiner Kindheit auch eine "Mutti". Und ich bin heute noch verdammt froh darüber, dass sie immer da war, wenn ich mal Probleme hatte und immer Zeit für mich hatte. Die hat aufgepasst, dass ich keinen Mist baue und mich nicht mit den falschen Leuten abgebe. Etwas, was ich mir bei vielen anderen Eltern auch wünschen würde.

  • A
    aufZehenspitzen

    ein bisschen trost, um den abschied besser zu verkraften: http://aufzehenspitzen.wordpress.com/2012/11/09/aha-darum-gehts-also-oder-der-schwere-abschied-von-mutti/ (ganz unten)

  • A
    Anita

    Und wenn Papa sich nach Jahren des Aufopferns fuer das Familienleben von der verlebten Mutti getrennt hat, konnte papa im schmucken Reihenhaeuschen mit der neuen Freundin wohnen bleiben, waehrend fuer Mutti nur eine Sozialwohnung in Frage kam, weil sie nach 20 Jahren weg vom erlernten Beruf nur noch fuer 2,50 Euro die Stunde bei KiK Regale auffuellen kann.

    Wie egoistisch heutige Weiber doch sind, dass sie sich mit einem Kind nicht mehr voll und ganz dem Wohlwollen ihrer Ehemaenner ausliefern wollen.

    Und wie assozial die Leute sind, wenn sie denselben Lebensstandard haben wollen, den ihre Eltern hatten, so mit eigenem Haus und fahrtuechtigem Auto. Nur dass sie dafuer 2 Einkommen brauchen und ein Facharbeitergehalt nicht mehr ausreicht.

  • B
    Bernhard

    Sehr guter Artikel.Ich hatte als Kind auch ein Mama nach der Schule und hatte ein sehr glückliche Kindheit.

    Und wenn die meisten Leute, die nach der Schule nach hause durften,ehrlich zu sich sind werden sie das bestätigen.

    Mann hat schon fast das Gefühl SPD,Grüne und Linke wollen den Eltern ihre Kinder wegnehmen und Ihnen jede

    Erziehungskompetenz aberkennen.

    Ein Anarchist im Herzen.