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Kommentar Ahrensburger Missbrauchs-FälleEine Krücke, die nicht hilft

Jan Kahlcke
Jan Kahlcke
Kommentar von Jan Kahlcke und Jan Kahlcke

Durch den Verzicht des Kirchengerichts auf Zeugenvernehmungen verlieren die Opfer die letzte Chance auf Aufklärung.

E s war klar: Das kirchenrechtliche Verfahren um die Missbrauchsfälle von Ahrensburg würde bestenfalls eine Krücke sein. Die eigentliche Aufarbeitung hätte nur strafrechtlich, nur vor einem ordentlichen Gericht stattfinden können. Das haben die ausgesprochen täterfreundlichen Verjährungsfristen für sexuellen Missbrauch verhindert – und die Kumpanei der beiden furchtbaren Pastoren von Ahrensburg.

Letztere allerdings hätte das kirchenrechtliche Verfahren gegen den zweiten Pastor, der bislang auf seinen Rang als Pastor und die damit verbundenen Privilegien besteht, aufdecken können – wenn die Zeugen wie geplant gehört worden wären. Und schon das hätte den Opfern einen Teil ihre Würde wiedergeben können, ja vielleicht sogar Genugtuung verschafft. Unabhängig von der Frage, ob der Pastor, der Gottes Liebe zu fleischlich verstanden wissen wollte, dafür mit dem offiziellen Rausschmiss aus dem Kirchendienst und dem Verlust seiner Pensionsansprüche gebüßt hätte.

Das Verfahren ohne Zeugenanhörung zu beenden, riecht nach allzu bereitwilliger vorweihnachtlicher Vergebung. Das ist für die Kirche ein Problem: Sie muss nun weiter dulden, dass ein Pastor Ehepaare trauen, Kinder taufen oder Predigten halten darf, dem man strafrechtlich mindestens Unzucht mit Abhängigen vorwerfen kann. Ein viel größeres Problem aber ist es für seine Opfer.

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Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
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2 Kommentare

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  • WB
    Wolfgang Banse

    Autorität der Amtskirche wird hier wieder einmal sicht-und spürbar,zu Ungunsten der Opfer.

  • AO
    Angelika Oetken

    Apropos Würde:

     

    Wird definiert als "Wert, den man als Mensch hat und den andere Menschen respektieren sollen ".

     

    Auch eine Institution kann mehr oder weniger Würde besitzen. Im Gegensatz zu einem Individuum wird sie ihr aber nicht automatisch zugestanden (Menschenwürde), sondern sie muss sie sich durch Integrität verdienen.

     

    Oder anders formuliert: wie viel Respekt hat eine Institution verdient, die bei einer Straftat die Täter in Schutz nimmt?

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, Betroffene sexualisierter Misshandlung in der Kindheit