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AlkoholabstinenzVersuchen Sie mal, nichts zu trinken

Nicht jeder, der zu viel trinkt, ist automatisch ein Alkoholiker. Gedanken darüber, warum Abstinenz eine gute Sache sein kann.

Es ist gar nicht so leicht, hier nicht zuzugreifen. Oder doch? Bild: dpa

Neulich bin ich mit zwei Freunden zu einer Ausstellungseröffnung nach Danzig gefahren. Wir sind mit dem Künstler, der dort ausstellte, befreundet, und ich erinnere mich noch heute gern an die epischen Trinknächte, die wir zu zweit, zu dritt oder zu viert hatten. Drei, von außen betrachtet, sehr schöne Tage später saß ich allerdings unverhältnismäßig frustriert im Morgenzug zurück nach Berlin, der auch noch vier Stunden Verspätung hatte. Ich war unfreundlich zum Zugpersonal, schloss mich irgendwann in der Zugtoilette ein und rauchte Kette.

Das ist so etwas wie ein massives Warnsignal, wenn man nicht mehr trinkt. Das Beste, was mir passiert ist, seit ich mich vor fast anderthalb Jahren vom Alkohol verabschiedet habe, ist das Eintreten einer gewissen Ruhe, die ich vorher nicht kannte. Zum Anfang des Nüchternseins geschah das noch eher punktuell, später immer mehr.

Man kann sich das als eine Art leiser Indifferenz gegenüber all den Arbeits-, Liebes-, Familien- und Freundschaftsdramen vorstellen, die mich früher fast jeden Tag beschäftigten. Und nur einer solch emotional aufreibender Momente wie im Zug – Momente, in denen man wirklich man selbst sein möchte und noch nicht einmal sagen kann, warum – genügt, um zu dem zu greifen, was früher beim Abschalten half: Rotwein für mich und an den Wochenenden Wodka-Tonics.

„Nicht mal ein Glas Wein zum Essen?“

Wenn mich Leute fragen, warum ich keinen Alkohol trinke, sage ich meistens, dass ich früher zu viel getrunken hätte. „Aber überhaupt nicht mehr? Nicht mal ein Glas Wein zum Essen?“ Die Wahrheit ist, dass ich so gut wie nie in meinem Leben nur ein Glas Wein getrunken habe. Ich habe nie maßvoll getrunken, und diese Eigenschaft hat sich über die Jahre auch noch erheblich verstärkt.

Das fällt einem die meiste Zeit nicht auf, weil es ein schleichender Prozess ist, mit Tiefen in den schwierigen Phasen, die man im Leben so hat, und Höhen, wenn es einem besser geht. Irgendwann werden die schwierigen Phasen nur immer länger und intensiver, und der eigene Kopf ist ziemlich gut darin, nicht zu sehen, dass das etwas mit dem Alkohol zu tun hat.

Außerdem habe ich immer Leute gefunden, die genauso viel wie ich tranken oder noch mehr. An irgendeinem Punkt des Abends gab es immer genügend Koks, um nur noch halb derangiert weiterzutrinken. Und am nächsten Morgen, wenn ich mein Telefon durchforstete, um den vorangegangenen Abend zu rekonstruieren und die ersten Kater-SMS zu verschicken, konnte ich mich immer glauben machen, dass sich die anderen genauso wenig an mein beschämendes Auftreten erinnern wie ich selbst. Was natürlich nicht stimmte.

Ich habe lange in New York gewohnt, wo man anders trinkt. Dort ist um vier meistens Schluss, und man setzt sich ins Taxi nach Hause. Die Schamgrenze für öffentliche Trunkenheit liegt etwas höher als bei uns. Aber auch das hielt mich nicht davon ab, immer mehr zu trinken, als ich vertragen konnte.

Eine andere Trinkkultur

Stattdessen lag ich auf dem Sofa meiner Analytikerin und redete darüber, dass es in Deutschland einfach eine andere Trinkkultur gäbe. Was ja nicht unbedingt falsch ist. Gerade im ländlichen Mecklenburg-Vorpommern, wo ich groß geworden bin, wirkt Alkoholismus wie ein flächendeckendes Phänomen.

In Deutschland, mit einem jährlichen Pro-Kopf-Konsum von 12,1 Liter reinem Alkohol einer der europäischen Trinkspitzenreiter, sterben mehr Menschen an durch Alkoholmissbrauch verursachter Leberzirrhose als bei Verkehrsunfällen. Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts von 2010 nehmen bei uns ungefähr 16 Prozent aller Frauen und 31 Prozent aller Männer mehr als die tolerierbare Menge Alkohol zu sich.

Diese Menge variiert je nach Geschlecht und Körpergewicht, aber sie ist in jedem Fall sehr viel kleiner, als Sie denken: Der World Cancer Research Fund empfiehlt, den täglichen Alkoholkonsum bei Frauen auf ein halbes, bei Männern auf ein ganzes Glas Wein oder eine bzw. zwei kleine Flaschen Bier zu beschränken. Ein Bekannter erzählt mir jedes Mal, wenn ich ihn sehe, dass er kein Alkoholproblem habe, weil er abends nie mehr als eine halbe Flasche Wein trinkt. Das Robert-Koch-Institut stuft den Konsum von 0,375 Liter Wein als Rauschtrinken ein.

Wie viel Alkohol verträgt dein Leben?

Natürlich muss jeder für sich entscheiden, wie viel Alkohol sein Leben verträgt. Viele Menschen, die mehr als jenes Glas Wein trinken, führen ein glückliches Leben. Wäre ich zum Ende in der Lage gewesen, spätestens nach der halben Flasche, die mein Bekannter abendlich zu sich nimmt, Schluss zu machen, hätte ich wahrscheinlich nie mit dem Trinken aufgehört. Aber auch im besten aller Fälle geht man dabei ein erheblich erhöhtes Risiko ein, an Krebs zu erkranken oder Krankheiten des Herz-Kreislauf-, des Verdauungssystems sowie Leberkrankheiten zu erleiden.

Jeder, den ich kenne, der mit dem Trinken aufhören musste, hatte zudem neurologische oder psychische Störungen, die manchmal schon nach ein paar Monaten Nüchternheit verschwanden. Sitzt man in einer Selbsthilfegruppe mit Menschen, die ebenfalls nicht mehr trinken, überrascht es einen außerdem, wie viele von ihnen schon einmal versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Wer regelmäßig viel trinkt, für den besteht statistisch eine um 50 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, Selbstmord zu begehen.

Niemand will den Alkohol verbieten

Als ich anfing, mich mit dem Thema zu beschäftigen, bin ich vor allem auf zwei weit verbreitete Vorurteile gestoßen, die mich ärgern. Viele Menschen glauben bei jedem Hinweis auf das Problem eine zwanghaft verklemmte Tyrannei des Glatten aufkommen zu sehen – eine Welt, in der man nach den Zigaretten nun auch noch den Alkohol verbieten will, damit das postfordistische Hamsterrad aus Arbeit und Konsum noch reibungsloser funktioniert.

Das ist ein intellektueller Salto, wie ihn nur wahre oder angehende Trinker vollbringen können. Denn es ist keineswegs so, dass unser Alkoholkonsum gesellschaftlich in Verruf geriete. Im Gegenteil, das Angstbild einer genussfeindlichen Kultur steht in der Realität einer höchst trinkfreudigen Gesellschaft gegenüber. Sollten Sie daran zweifeln, versuchen Sie, beim nächsten Büro- oder Geburtstagsfest einfach mal nichts zu trinken.

DANIEL SCHREIBER

lebt in Berlin und schreibt für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Er ist Autor der Biografie „Susan Sontag. Geist und Glamour“ (Aufbau-Verlag). Ab Januar wird er eine monatliche Kolumne für die taz verfassen, in der er über seine nüchterne Erfahrung in einer betrunkenen Welt berichtet.

Das zweite Vorurteil, das es schwierig macht, in Deutschland über Alkohol zu sprechen, ist die abstruse Annahme, dass es sich dabei um ein Problem der Hartz-IV-Fernsehen schauenden „Unterschicht“ handele. Statistisch gesehen zeichnet sich nämlich für Männer zwischen 30 und 64 Jahren ein Zusammenhang zwischen hohem Bildungsstand und riskantem Alkoholkonsum ab. Bei Frauen zeigt sich dieser Zusammenhang in allen Altersgruppen ab 30 Jahren.

In jedem Büro, in dem ich bisher gearbeitet habe, gab es jemanden, der oft übernächtigt zur Arbeit kam, wenig bewerkstelligte, zu katerbedingten Wutausbrüchen neigte und trotzdem davon überzeugt war, dass ohne ihn nichts funktionieren würde. Je klüger man ist, desto überzeugender sind die Geschichten, die man sich selbst erzählt, um weitertrinken zu können. Jeder Alkoholkranke hinterlässt, ohne dass er es selbst merken muss, eine Spur der Zerstörung in seiner Familie, an seinem Arbeitsplatz und in seinem Freundeskreis.

Es gibt immer genügend Anlässe

Sollten Sie jemals gedacht haben, dass Sie ein Alkoholproblem haben, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Sie die eben erwähnten Zahlen kennen und als Alarmismus abtun. Zumindest ging mir das so. Wenn man auf riskante Weise trinkt, ist man gegen warnende Stimmen gewappnet. Man hat immer genug Probleme und Anlässe, die das nächste Glas geradezu zwingend erscheinen lassen. Und man hat immer eine Argumentation parat, die beweist, dass man kein Problem hat – wobei einem nicht auffällt, dass man gar nicht so viel Argumentationsaufwand betreiben müsste, wenn man das Problem nicht hätte.

Nicht jeder, der zu viel trinkt, ist automatisch ein Alkoholiker, aber wenn er weiter zu viel trinkt, wird er in jedem Fall einer werden. Beim einen geschieht das aufgrund genetischer Voraussetzungen und kultureller Prägungen innerhalb von ein paar Jahren, beim anderen zieht sich dieser Prozess über Jahrzehnte hin.

Die meisten Alkoholiker sehen nicht kaputt aus und müssen auch nicht morgens trinken. Sie leben nicht auf der Straße, sie haben Freunde und einen Job. Sie sind Menschen, die früher einmal tatsächlich Spaß hatten, wenn sie tranken; Menschen, die in klaren Momenten realisieren, dass irgendetwas nicht stimmt. Die meisten Alkoholiker sind Menschen, die ein Leben leben, das sie sich ohne Alkohol einfach nicht mehr vorstellen können.

Als ich nach meinem Ausflug nach Danzig endlich wieder in Berlin ankam, fühlte ich mich zutiefst erleichtert und rief sofort ein paar Freunde an, die auch nicht trinken. Ich hatte viel gelacht, gute Kunst gesehen, anregende Gespräche geführt und morgens im Hotel einen Turgenjew-Roman gelesen, den ich schon immer lesen wollte. Aber es war auch eine der anstrengenderen Reisen, die ich in letzter Zeit unternommen hatte.

Die Freunde, mit denen ich unterwegs war, sind hinreißend, aber zu ihrer Vorstellung von einem guten Reisetag gehört es, sich abends einen Rausch anzutrinken. Ein Teil von mir hat sich sehr gewünscht, ich hätte nicht schon alle solche mir im Leben zustehenden Tage aufgebraucht. Und ich hätte mir gern bewiesen, dass mir das nichts ausmacht. Aber natürlich tut es das. Wie könnte es das auch nicht.

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77 Kommentare

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  • Ich bin gerade erst 18 Jahre alt geworden und habe das Problem des zu viel Trinkens seit ca einem Jahr. Seit heute habe ich angefangen bis zu meinem 19. Geburtstag abstinent zu bleiben. Während ich damals immer öfter zur Flasche griff, um in bessere Feierlaune zu kommen, merkte ich nicht, dass sich der Alkohol schon längst in mein Leben geschlichen hatte und ein Teil von mir wurde. Auf die Frage hin, was mir wichtiger wäre, Freundschaft oder Alkohol, antwortete ich mit "ganz klar Alkohol". Der Alkohol wurde also zu meinem neuen besten Freund und wich nie von meiner Seite. Heute bin ich froh, dass ich gestern Abend die Erkenntnis gemacht habe, dass Mister Alkohol und ich nicht mehr länger zusammen sein können. Einfach aus Todesangst, die ich gestern hatte.

    Dieser Artikel beschreibt gut den Unterschied zwischen den Dauertrinkern, die jedoch ihre Grenzen kennen und denen, die sie nicht kennen und daher lieber gar nichts trinken sollten, statt irgendwann dem Tot in die Augen zu sehen.

  • Daniel Schreiber schreibt mir aus der Seele. Das ist ein wunderbarer Artikel, in dem sich bestimmt jeder Abstinenzler widerfindet. Auch ich konnte den Alkohol nie in Maßen genießen, sondern "musste" immer über die Strenge schlagen bis zu dem Zeitpunkt, wo etwas Schlimmes passiert ist. Diese innere Stimme, die mir rechtzeitig sagt, dass es zuviel ist, die gibt es bei mir nicht. Nun lebe ich seit fast 2 Jahren abstinent und merke besonders in hektischen Zeiten, wie schwer es mir fällt nicht zum Alkohol zu greifen. Deshalb bin ich gezwungen mich mit den Ursachen meines früheren Trinkverhaltens auseinander zu setzen und alternative Entspannungsmethoden zu finden. Deshalb vielen Dank für diesen Artikel. Ich hoffe noch viele weitere redaktionelle Beiträge über dieses Thema zu lesen.

  • T
    Tagammeer

    "Als ich nach meinem Ausflug nach Danzig endlich wieder in Berlin ankam, fühlte ich mich zutiefst erleichtert und rief sofort ein paar Freunde an, die auch nicht trinken."

    Glückwunsch. Die hatte ich nie und habe ich auch in 3 Jahre Abstinenz nicht gefnden. Ich fang das saufen wieder an, die Einsamkeit macht m ich kranker als der Alk.

  • M
    Michael

    Seit 14 Jahren trinke ich keinen Alkohol mehr und

    rauche seit 6 Jahren nicht mehr.Darauf bin ich sehr

    stolz.

    Trotzdem bekommt man dafür keinen Orden,auch das

    damit gesparte Geld hat man nicht zusätzlich

    auf dem Konto.

    Es ist alles nur eine Gewöhnung,auch das Nichttrinken

    und das Nichtrauchen.

  • H
    Harald

    Ich lebe schon `ne Weile abstinent.

    Ich bin Trompeter in einer Jazzband.Meine

    Bandmitglieder verstehen mich nicht mehr.

    Man hält mich für krank

    Es werden immer weniger Freunde

    Aber mein Kopf ist frei-und das ist das Wichtigste.

  • IH
    ich hab mich hochgetrunken

    ich, 51, (m), werde ab sofort sagen, dass ich schwanger sei, um nicht trinken zu müssen.

     

    ein frohes Neues!

  • KS
    Klaus Schulz

    Wenn Du einem geretteten Trinker begegnest, dann begegnest Du einem Helden.

    Es lauert in ihm schlafend der Todfeind.

    Er bleibt behaftet mit seiner Schwäche und setzt seinen Weg fort durch eine Welt der Trinkunsitten, in einer Umgebung, die ihn nicht versteht, in einer Gesellschaft, die sich für berechtigt hält, in jämmerlicher Unwissenheit auf ihn herabzuschauen als auf einen Menschen zweiter Klasse, weil er es wagt, gegen den Alkoholstrom zu schwimmen.

    Du sollst wissen:

    Er ist ein Mensch erster Klasse!

    Friedrich von Bodelschwingh)

  • M
    Mit-Grund-Trinker

    Was mir da noch so einfällt: das Ganze gilt auch für regelmäßige Junk-Food-Ernährung: andere "Droge", andere Auswirkungen, aber selber Prinzip. (Gemeint ist hiermit nicht der Burger am Wochenende oder die Bratwurst zum Fest, sondern die "tägliche Ernährung").

  • G
    grizzli

    Ein Artikel, der mich an 21 Jahre meines Lebens erinnert. Ich habe vor dreieinhalb Jahren aufgehört zu trinken und es war die beste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe.

    Dank an den Autor.

  • GE
    Ganz ehrlich ...?

    .... Ich gebe zu, ich bin gerne betrunken!

  • M
    mkboe16

    Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Beiträge von Herrn Schreiber. Als "trockener" Alkoholiker möchte ich ergänzen, dass man auch immer Alkoholiker bleibt, wenn man erst einmal vor dem Alkohol kapituliert hat (sicher auch von der Mehrheit nicht anerkannt). Auch wenn man dann einen Weg wählt, trocken und zufrieden abstinent zu leben. Eine Möglichkeit für diesen Weg wird uns der Autor scheinbar weiter beschreiben wollen.

  • W
    wauz

    Auf die Frage von DasKomma:

     

    Um genau diese Frage(n) zu klären, geht man nach dem Aufhören zu einer Entwöhnungstherapie. Das geht auch ambulant, wenn die Voraussetzungen stimmen. Da kann man dann mit Hilfe der Gruppe und der Therapeuten klären, was man mit den Teilen des Tages/Lebens anfängt, in denen man nun nicht mehr besoffen ist.

    Da passieren schon mal wunderliche Dinge, wenn man nichts mehr trinkt. Ein Gruppenkollege von mir hat festgestellt, dass seiner Ehefrau die zurückgewonnene Nüchternheit gar nicht gefiel, weil er jetzt zu Dingen eine eigene Meinung hatte, die ihn vorher im Suff nicht interessierten. Vorher hatte sie ihn mit ausreichender Menge Alkohol versorgt und das (viele) Geld, das er verdiente, auf den Kopf gehauen...

    Nüchternheit kann verdammt unangenehm sein. Aber auf die Dauer fährt man doch besser. Wo es weh tut, ist ein Problem, um das man sich kümmern sollte. Alkohol darüberschütten ist zwar bequem, hilft aber nicht...

  • M
    michael

    Danke für diese umfangreiche aber niemals vollständige Beschreibung einer bereits erkennbaren Katastrophe. Die Umsetzung der Erkenntnis kommt nie zu spät, wenn sie denn kommt. Viel zu lange (und je klüger wir sind, desto spitzfindiger sind unsere Selbstlügen) finden wir uns mit unserem Verfall ab. Medizinische Argumente gibts zu Hauf, wen juckt das schon. Das schlimmste ist jedoch, dass wir meinen von Freiheit reden zu müssen, während wir tiefer und tiefer in die Abhängigkeit (auch beim Rauchen) abgleiten. Diesen Verlust der Würde vor mir selbst empfinde ich noch heute (30 Jahre später) schmerzlich.

  • JJ
    Jared J. Myers

    @Komma:

    "Die Frage ist nur, was bleibt, wenn man alle Sinnlosigkeiten, denen man, wenn auch unbewusst verfallen ist, abstellt."

     

    Dann bleibt die Unsinnlosigkeit (und die ist auch nicht lustig).

  • W
    wauz

    Aufhören -das ist der Punkt

     

    Meine eigene Erfahrung nach vielen Jahren des Trinkens und einigen der Abstinenz sagt mir: Aufhören, das hat mit auf (etwas) hören zu tun. Es ist eine innere Stimme, die irgendwann Unterstützung von Außen bekommt. Meist viel zu spät. Ich hab das Glück gehabt, in meinem Umfeld ehrliche und mutige Menschen zu haben, die mir dann doch sehr geholfen haben, die richtige Entscheidung zu treffen.

    Es gibt nicht "den Zeitpunkt", ab dem man Alkoholiker ist und Aufhören muss. Niemand muss. In unsrer Gesellschaft darf man sich zu Tode trinken. Der Säufer ist ein Held, bis er nichts mehr auf die Reihe kriegt und der Verfall meist schon unwiderruflich ist. Die meisten Trinker werden von ihrem Umfeld lange gedeckt und damit geschädigt.

    Riskantes Trinkverhalten wird meist nicht thematisiert. Ich habe das Glück gehabt, andere Menschen zu treffen. Da wusste ich aber schon Jahre, dass mein Konsum deutlich überhöht war. Durch die klare Bejahung meiner Abstinenz-Entscheidung in meinem Umfeld ist es mir relativ leicht gefallen, von einem auf den anderen Tag aufzuhören.

    Inzwischen organisiere ich in meinem Umfeld (Kirchengemeinde, Verein) Parties, bei denen zumindest von uns Veranstaltern kein Alkohol angeboten wird. Beschwerden kommen selten, und wenn doch, ist bei näherem Hinsehen bald klar, warum diejenigen meinen, dass Alkohol zum Feiern unbedingt dazu gehört.

    Die Nichtraucher haben es geschafft, den gesellschaftlichen Druck zur Sucht zu überwinden. Jetzt werden auch die Nüchtern-Bleiber aus der Umkleidekabine kommen können und sich offen zur Nüchternheit bekennen. Das wird den Säufern einen Teil ihrer Tarnung im Schwarm nehmen und sie letztendlich dazu zwingen, ihren Suchtdruck als solchen auch wahrzunehmen. Saufen dürfen sie weiterhin. Nur eines wird klar sein: sie sind, wie die Raucher, eine Minderheit. Die dürfen auch noch rauchen, bloß nicht immer und überall.

    Was nur gut ist.

    Danke für diesen super guten Artikel, Daniel Schreiber!

  • DK
    Das Komma

    Die Frage ist nur, was bleibt, wenn man alle Sinnlosigkeiten, denen man, wenn auch unbewusst verfallen ist, abstellt.

  • L
    Leo

    Alkoholismus (1966)

     

    Ich halte jeden Menschen für voll berechtigt, auf die — von den Ingenieursgesichtern und Betriebswissenschaftlern herbeigeführte — derzeitige Beschaffenheit unserer Welt mit schwerstem Alkoholismus zu reagieren, so weit er sich nur was zum Saufen beschaffen kann. Sich und Andere auf solche Weise zu zerstören, ist eine begreifliche und durchaus entschuldbare Reaktion. Wer nicht säuft, setzt heutzutage schon eine beachtliche und freiwillige Mehr-Leistung.

     

    Heimito von Doderer

  • M
    Mirko

    danke für diesen artikel (und auch die kommentare). er kommt für mich, da ich (als fast täglich schöntrinker) seit fast sieben wochen keinen alkohol mehr getrunken habe als weitere motivationshilfe zur rechten zeit.

  • PG
    Paul Gerhardt

    an die Trinker hier: Habe eine Freundin am Suff verrecken sehen. Leberzirrhose. War echt nicht schön mit anzusehen. Und das dauert... aber sie hatte Glück, dass sie gestorben ist, denn verblöden am Suff/ Leberzirrhose ist um einiges schlimmer. Die war übrigens nie besoffen, hat nur auf Spiegel getrunken. Deren Freunde/ Freundinnen waren dann übrigens alle weg. Als sie krank war, hat sich keiner von den Saufkumpanen mehr für sie interessiert. Wird euch auch so gehen...allein in der Inneren eines KH und das Ende naht. Keine schönen Aussichten. Na dann noch mal Prost und weiter den Suff verteidigen.

  • N
    Noncommittal

    Ein Zitat aus dem Artikel: " Aber auch im besten aller Fälle geht man dabei ein erheblich erhöhtes Risiko ein, an Krebs zu erkranken oder Krankheiten des Herz-Kreislauf-, des Verdauungssystems sowie Leberkrankheiten zu erleiden."

     

    Und ein paar Absätze davor beschreibt der Autor, wie er "Kette raucht". Mensch, haben Sie noch nie davon gehört, dass auch das Rauchen gesundheitsschädlich ist? Warum haben Sie denn mit dem Trinken aufgehört, aber mit dem Rauchen nicht?

     

    Meine Vermutung ist, dass das Rauchen Sie nicht stört. Also gut, Sie können nicht nach einem Glas aufhören und haben deswegen ganz aufgehört, um mit klarem Kopf durchs Leben zu gehen. Das ist eine reife Leistung, die Respekt verdient. Und bei vielen Lesern haben Sie einen Nerv damit getroffen, so dass sie sich mit Ihren Erlebnissen und Gedanken identifizieren können und den Artikel genial finden.

     

    Ist der Artikel nun vom Schreibstil oder vom Gedankengut her genial? Finde ich nicht. Ist der Artikel ehrlich? Nun ja, das hoffe ich.

     

    Aber die Gesundheitsargumente sollten gerade Sie lieber beiseite lassen. Und die "Forscher-haben-festgestellt"-Passagen sind völlig nutzlos, denn auch Robert-Koch-Institut unterstützt mit seinen Empfehlungen oft nur Pseudowissenschaft: Studien, die methodisch gesehen so schwach sind, dass man sie nicht einmal für eine Bachelorarbeit benutzen kann.

     

    Ansonsten ein interessanter Einblick. Ich wusste gar nicht, dass es Leute gibt, die nach einem Glas nicht aufhören können. Ich hätte mit der Abstinenz übrigens ein anderes Problem: Ich wäre für immer dazu verdammt, Wasser oder Tee zu trinken, denn die Fruchtsäfte, Schorlen, Limo und Cola sind mir zu süß. Verkehrte Welt, nicht? ;)

  • J
    Jasmin

    Eine der letzten Tabubrüche in Deutschland: Tempolimits und Abstinenz.

  • E
    Emma

    Ja, der Artikel ist echt gut. Der Knaller für alle Papierleser ist dann aber die einzige Werbung auf der Seite: für TazSecco rosé!

  • JK
    Justus Köhncke

    So ist es.

     

    ps: sehr schönes captcha hier: "glas".

  • M
    miomi

    Danke fuer diesen Artikel, ich freue mich auf Ihre Kolumne.

  • S
    Selma

    NARZISISTISCHE ASKESE

     

    ist die treffende Bezeichnung für die Attitüde des Autors. Der Ausdruck stammt nicht von mir, gibt aber eine um sich greifende Volkskrankheit einen Namen.

    Was kommt als Nächstes - die Fleisch-Abhängigen?

    Dann die Milchprodukte-Junkies?

     

    Am Ende sollen alle Fruktarier werden? Ist das der Sinn des Lebens?

    Wer abstinent ist, soll einfach mal den Mund halten, anstatt sein ELEND der ganzen Welt kund zu tun---denn Spaß soll keiner mehr haben...

    Nein DAnke, darauf trinke ich einen!!

  • S
    situ

    "Versuchen Sie mal, nichts zu trinken"

     

    *Lach*

    würde vielen zweifellos gut tun.

    Ich werde mich am Jahresende eher selbst überreden, mal was zu trinken. Sonst konsumiere ich Ethanol fast ohne Ausnahme -selten- in Form von Süssigkeiten.

    Insgesamt ist für mich Alkohol stinkelangweilig. Gibt wirklich besseres (-:

  • R
    reblek

    "... ein Problem der Hartz-IV-Fernsehen schauenden 'Unterschicht'..." - Ich wusste nicht, dass es ein "Hartz-IV-Fernsehen" gibt. Wie kann mensch das empfangen?

  • R
    Rudolf

    Leute, eure Kleinschreibung ist verdammt anstrengend.

     

    Sagt euch

     

    Rudolf,

     

    der seit 15 Jahren aus Überzeugung TAZ-Abonnent ist, gern mal einen trinkt oder kifft, aber nie zuviel.

  • 2J
    2013wirdeintrockenes Jahr

    Guter Artikel!

     

    Es ist die alte Leier:Nicht der Gebrauch der Drogen ist das Problem, der alltägliche Mißbrauch ist es. Und die Folgen sind verheerend und bleiben fast nie Privatsache. Für saufende Eltern z.B. werden sich alle Kinder dieser Welt "herzlich" bedanken. Könnte man auch mal drüber nachdenken. Über Koabhängigkeit, Gehirnzellenschwund, Finanzen und solche Sachen. Eine Krankheit zur Normalität zu erklären ist immer erstmal der einfachere Weg.

  • C
    cyctologie

    in der nacht vom vierten auf den fünften februar 2013 sind es bei mir 4 jahre. vier jahre ohne alkohol.

    ich hätte den artikel abgesehen von dem danzig teil ganz genauso verfasst.

     

    schön das hier mal platz ist für dieses thema.

    danke.

  • V
    Vogo

    Guter Schreiber.....doch während meiner Alk-Zeit hätte ich diesen Artikel nicht gelesen.Mir war die Sch..... doch eh schon klar,da brauchte ich so`ne Klugschreiber nicht....hab`ich gedacht,vor 6 Jahren.

  • SA
    still alive!

    @wolfgang hofmann, dadeli und jensD

     

    ich hab mir alle leserkommentare durchgelesen und ihr seit die einzigen, die dem artikel negativ gegenüberstehen.

    was für n idiot, denkt ihr wohl, der liest sich den ganzen quatsch durch. warum?

    weil ich vor gut nem halben jahr alle mir zustehende tage aufgebraucht habe, wie es im text so schön heisst. und es waren eigentlich immer tolle tage. nach einem dieser tollen tage konnte ich so gerade nochmal schwerwiegende folgen für mich und andere abwenden.

    und es ist so schwer, zu wissen, dass solche tollen tage nicht mehr kommen werden.

    und es war so schwer, sich ein leben ohne diese tage aufzubauen, ohne partner und ohne therapeut.

    glücklicherweise mit hilfe weniger, die nicht trinken. und es ist noch nicht gänzlich stabil, doch bin ich stolz darauf.

    aber ich hab seitdem an erkenntnis gewonnen, über mich und über meine umwelt.

     

    vor 6 monaten hätte ich nicht anders über diesen artikel gedacht als Ihr.

    und ich konnte mir auch ein wochenende ohne party und trinken kaum vorstellen.

    und ich hätte niemals mit trinken und allem anderen aufgehört, wäre ich nicht an diesen einen punkt gekommen.

    wenn ihr diesen erreicht, dann seid ihr dankbar für diesen artikel und jeden dieser verdammten leserkommentare.

    und ich wünsche euch, dass ihr diese erfahrungen nicht macht, denn sie können euch absolute verzweiflung bringen.

    und ich wünsche euch, dass ihr diese erfahrungen macht, denn sie können euch absolute erkenntnis bringen.

     

    btw.. ich, mit studium und im beruf, war der absoluten überzeugung alles im griff zu haben. bis dahin...

  • B
    Besserwessi

    "mte Tyrannei des Glatten aufkommen zu sehen – eine Welt, in der man nach den Zigaretten nun auch noch den Alkohol verbieten will, damit das postfordistische Hamsterrad aus Arbeit und Konsum noch reibungsloser funktioniert."

     

    Aus der globalen Sicht ist es andersherum korrekt.

    Allolol war schon in den USA und Belgien und in den nordischen Laendern ganz oder teilweise verboten.

    Es hielt nur nicht lange, weil die Masse Druck ausuebte.

    Insofer sehe ich die Rauchvorschriften auch nur als temporaer an.

  • C
    Columbus

    guter artikel. ich bin selbst schöntrinker, und heb meinen hut vor soviel ehrlichkeit gegenüber sich selbst.

  • J
    jensD

    Ich habe heute eine halbe Flasche Wein und außerdem vier Bier getrunken und im Kino einen viel gelobten aber schlechten Film gesehen. Nüchtern! Warum tut mir dir taz das an! Eine Kolumne eines trockenen Alkoholikers, der mit Zahlen um sich wirft, die wissenschaftlich verdeutlichen sollen, ab welcher Menge es gefährlich wird, Alkohol zu trinken. Es ist immer gefährlich, Alkohol zu trinken, das wird uns jede Sachbearbeiterin der AOK bestätigen. Ob sie Recht hat, sei dahingestellt. Was will mir oder den alkoholgefährdeten, akademischen Vorgebildeten und damit trinkenden Taz-LeserInnen der Autor denn sagen? Nichts! Wieso muss die taz hier gemeinsam mit Ministerin Schröder und dem Suchtbeauftragten (m/w) des Bundestages gegen den Alkoholmissbrauch, der keiner ist, ankämpfen? Was soll es! Viele Artikel der taz wurden von genialen, aber trinkenden Journalisten geschrieben. Ich weiß, dass es nicht gesund ist, mehr als 0.375 Liter Wein am Tag zu trinken. Na und!Will mir jetzt taz vorrechnen, was es die Solidargemeinschaft kostet? Das wäre peinlich, genauso peinlich, wie die angekündigte Kolumne! Lasst uns Süchtigen unsere Freiräume! Die meisten tun keinem weh!!! Ich brauche keine Kolumne eines Trockenen aus einer angeblich besoffenen Welt. Weder ist die Welt besoffen, noch der abstinente Kolumnist nüchtern im Verstand!

     

    Jd

     

    p.s. Meine Freundin sagt auch, ich trinke zu viel!

  • A
    arina

    Klasse!

     

    Es läßt mich frei, in den Zwischentönen auch das ungesagte, mit so viel Leid verbundene Gnadenlose (wieder-) zu erkennen. Zu meinem ausgesprochenen Glück bin ich auch auch eines Tages wach geworden. Ist doch wirklich schön, wenn man sich bis dahin noch nicht alle Ressourcen versoffen hat!

     

    Ich freue mich auf die Kolummne! Sie kann -sie wird- Vielen helfen, ein Hamsterrad zu erkennen, in dem man (mit-) rennt und rennt und rennt...

     

    Danke für den Artikel!

    Der, oder zumindest ein folgender, sollte doch vielleicht auch mal in den Taz-Schlagzeilen erscheinen, die auf HPs erscheinen, wie z.B. den Gadgets von iGoggle etc.

  • M
    Mick

    der artikel kommt für mich genau zur rechten zeit. bin 52 jahre alt, war punk-, kampf- und komatrinker und nach über elf jahren abstinenz haderte ich gerade mal wieder mit mir, ob ich es nicht doch wieder anfangen sollte. ich liebe alkohol und der gedanke daran lässt mir das wasser im mund zusammen laufen. aber als ich vor 12 jahren auch ständig und immer häufiger in parks und sonstwo aufgewacht bin und echt nicht mehr wusste, wieso, hab ich es einfach gelassen (ohne selbsthilfegruppe. hab das alles mit mir alleine ausgemacht.). 2 bier haben mir noch nie was gesagt. es musste auch immer mehr sein und gerne auch harten stoff braun, gelb, klar, egal, alles rein. musste fast nie kotzen, hatte aber mindestens dreimal die woche einen filmriss. hab fast nie allein zuhause getrunken, aber gerne allein an der theke. da findest du immer einen, der mit trinkt. hab auch nie meinen freunden den alk aus dem schrank gemopst, hatte aber einen solchen freund, der das bei mir gemacht hat. kenne bis heute kaum leute, die nicht trinken. die dämliche fragerei, warum ich nicht trinke, das ständige rechtfertigen müssen und von bourgoisen alkis als trockener alki abgestempelt zu werden, unfassbar, immer wieder. dann die hihi-hoho-was macht-alkohol-doch-so-lustig-lüge und ein tröpfchen kann doch keine sünde sein, und der ganze quatsch mit dem genuss, wie ihn auch die taz in ihren weinseligen sonderbeiträgen zelebriert – echt unerträglich und schier unglaublich (in diesem zusammenhang auch, der ständige verweis, das rauchen etwas mit freiheit und selbstbestimmung zu tun haben soll, da seid ihr leider auf dem völlig falschen dampfer – warum gesteht ihr euch nicht einfach ein, dass ihr als kids und jugendliche einem beknackten werbe-image aufgesessen und nun einfach süchtig seid, wär ja okay, aber statt dessen lügt ihr euch selbst und uns leser diesbezüglich ständig was in die tasche, weil schreiben und rauchen und saufen ja so gut zusammenpassen.). aber dieser artikel hier, der hat mir heute morgen richtig gute laune gemacht. bin gespannt auf die kolumne, danke.

  • M
    Matze

    ...ein sehr gelungener Beitrag. Die tazsecco-Werbung fiel mir leider auch sofort ins Auge. Wahrscheinlich ist man nach zwölf Jahren Abstinenz besonders sensibel. Ich denke, diese Form der Seitengestaltung war sicherlich keine Absicht, drückt aber umso mehr den alltäglichen Umgang mit Alkohol in unserer Gesellschaft aus.

  • E
    Eikeco

    Toller Artikel! Bin auf weitere interessante Kolummnen im neuen Jahr gespannt. :-)

  • J
    Jengre

    Wahr, wahr, wahr (bis auf die üblichen Ungereimtheiten der Autoritäten: Eine halbe Flasche Wein bzw. 0,375 Liter sind nur für die Menschen Rauschtrinken, die keine Gewohnheitstrinker sind - ist das erst die Tagesration, dann kann von einem Rausch keine Rede mehr sein).

     

    Zu kurz kommt vor allem aber die Frage, warum in den Industriegesellschaften ein solches Rauschdürfnis besteht, warum Nikotin oder Alkohol als Stimmungsaufheller so unentbehrlich zu sein scheinen, und ob die Verteufelung auch kleinster Mengen die korrekte Antwort ist. Eine andere Antwort wird die taz als eine der medialen Agentinnen der Human-Capital-Verwertungsmaschinerie (oh doch!) leider nicht geben.

  • D
    dadeli

    Abstinenzpropaganda hat auch bei Substanzen, die ich nicht zu mir nehme, für mich einen ekelhaften Gerucht.

    Sei aber zugegeben, dass ich einiges zu mir nehme, und wie bei vielen kam der Alk noch vor den Kippen.

    Heute saufe ich in der Leistungsklasse, Hangover gibt es nur, wenn ich zu _wenig_ gesoffen habe am Abend, ab 7-8 Bier tut nichts mehr weh, fühlt sich nur so ein bißchen nach absterbenden Hirnzellen an. Filmrisse bis zu 12h, bitte gerne danke.

    Nur.

    - Die Abstinenzler werden jetzt glasklar sagen, wie stand das hier schon so nett, ohne Alkohol haste bessere Probleme -

    Nö.

    Ich bin am Saufen (und alles mögliche andere eben auch konsumieren), weil es da Dinge gibt die verdienen vernichtet zu werden, und wenn ich dazu mitmuss, OK. So soll es sein.

    Nüchtern bin ich weitaus nicht besser drauf, und es gab viele Jahre, in denen ich bestenfalls Zigaretten geraucht habe und sonst nichts. Glücklicher, zufriedener, problemfreier war ich da auch nicht.

    Allerdings verlange ich auch von keinem Abstinenzler oder meinetwegen auch Vegi, dass er mir erklärt warum - erwarte aber umgekehrt das gleiche, ich will auch nicht erklären müssen, warum ich ein Junkie bin.

  • PG
    Paul Gerhardt

    Glaube nicht, schon mal so einen hervorragenden Artikel über die Sauferei gelesen zu haben. Auch die Aussage, dass Alkis keine >Penner< sein müssen, fand ich sehr gut, weil es so ist...

     

    Aufrichtigen Dank dafür.

  • N
    Norbert

    Der Artikel: genial, gar keine Frage. Darüber muss ich kein Wort mehr verlieren, meine Vorkommentatoren und -innen haben sich ausreichend geäußert. Aber zu genau diesen hab' doch ich was zu sagen: Ich glaube, ich habe noch nie eine derartige Eintracht der Schreiberlinge bezüglich ihrer Meinungen in der TAZ gelesen, wie zu Daniel Schreibers obigem Artikel! Keiner schießt quer, keiner mault oder trollt. Klasse! Schreiber muss den Nerv getroffen haben.

    Und auf die angekündigte Kolumne freue ich mich jetzt schon ganz besonders!

     

    PS: Mir ist übrigens jetzt auch schon seit mehr als zehn Jahren der klare Kopf wesentlich wichtiger, als das kurze Rausch"vergnügen" mit dem jeweiligen gruseligen Morgen danach...

  • G
    gast

    Seufz. "Wer regelmäßig viel trinkt, für den besteht statistisch eine um 50 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, Selbstmord zu begehen." Das klingt so, als mache Alkohol suizidal. Viel eher greift man aber zur Flasche, wenn man schon vorher kein lachender Springinsfeld war, denn wenn man es wäre, müsste man ja nicht trinken.

    Dass die Probleme von Trinkern automatisch verschwinden, sobald mit dem Alkohol Schluss ist, halte ich auch für eine sehr gewagte These. Nichts für ungut.

  • T
    T.V.

    Der Alkohol ist nicht das Problem, der Mensch ist's der nie den Umgang damit lernt. Das schließt so ziemlich alle anderen Drogen mit ein.

  • O
    Ouizer

    Grossartiger Artikel!

    Er beschreibt es treffend. Nach etlichen Versuchen bin ich inzwischen seit 9 Jahren, zwei Monaten, einer Woche und zwei Tagen abstinent von dieser Droge und das gibt mir jeden Tag ein richtig gutes Gefuehl.

    Es kann mir nichts Schlimmeres geschehen, als wieder anfangen zu trinken und wenn ich nuechtern bleibe, dann sind ALLE uebrigen Probleme loesbar oder wenigstens zu handhaben durch mich. Das verleiht mir eine gute Ausgangsposition dem Alltag gegenueber und im Leben.

    Es ist ein Stueck erkaempfte Freiheit.

  • K
    karlena

    Schließe mich meinen Vorschreibern an: toller Artikel!!

    Als Mutter 2er Söhne jenseits der 20 und Kollegin jugendlicher Auszubildender höre ich immer wieder die Aussagen: Heute feiern wir! heute gehn wir weg so richtig feiern! Gestern haben wir toll gefeiert! Auf meine Nachfragen WAS und WARUM denn da gefeiert wird höre ich, dass feiern bedeutet viel bis sehr viel Alkohol zu trinken (incl. des obligatorischen Vorglühens mit billigesten Alkoholikas sowie allerhand andere Drogen zu konsumieren - wobei das von den jeweiligen Gruppenzusammensetzungen abhängt) laut zu sein und hinterher nicht mehr genau zu wissen was eigentlich dabei alles passiert ist. Daraus schließe ich: Bei dieser Art zu feiern braucht es keinen Grund und keinen Anlass wie ich das kenne sondern einfach nur Rauschmittel. DIESE werden da gefeiert!

    Mit einer so natürlichen Selbsverständlichkeit und Lockerheit wird das praktiziert dass ich mir gut vorstellen kann, dass junge Menschen die das kritisch nicht mitmachen - und da gehört bestimmt sehr viel Selbsbewusstsein dazu - sehr schnell Außenseiter sind.

    Sehr bedenklich natürlich auch, dass das schon ab 14, 15 Jahren losgeht; und wir lebe nicht in der Stadt, sondern beschaulich und übersichtlich in einem Dorf.

    Versuche immer wieder mit meinen Söhnen und auch deren Freunden ins Gespräch zu kommen. Nicht um zu reglementieren - ein sinnloses Unterfangen - sondern um wenigstens halbswegs zu verstehen und in Kontakt mit dieser Jugend zu sein. Sie sind ja so blauäugig und stark, haben alles im Griff!!!!

  • WH
    Wolfgang Hofmann

    Auf solche "Selbstfindungsartikel" kann ich echt gut verzichten.

    Und als regelmässiger "taz-zahl-ich"-Teilnehmer, will ich für diesen Artikel mal 2 € zurück.

  • A
    Anita

    @Nötigung

     

    Die Schwangerschaft wurde als Grund sofort akzeptiert?

    Sei froh.

    Ich musste mir anhoeren, warum ich mich denn so habe und dass ein kleiner Schluck doch nichts ausmache!

  • T
    temper

    Ziehe das seit 17 Jahren durch und war vorher auch "gut" dabei (allerdings nie privat, weil das die Grenze gewesen wäre, an der ich hätte zugeben müssen, dass ich genau so abhängig bin wie mein Umfeld ... seufz...). Naja, irgendwie beruhigt mich der Artikel und spendet mir ein echt wohliges Gefühl (man fühlt sich dann doch nicht mehr so allein...). Gegen den "Hals" (wegen reinschütten) nachdem man mit Leuten zu tun hatte, die ihr empathischen, emotionalen und intellektuellen Fähigkeiten lieber in einer künstlichen Botenstoff-Sause ertränken, hilft übrigens das Bewusstsein, dass sie es tun und dass es dafür keinen vernünftigen Grund gibt und die klare Sicht auf die absolute Erbärmlichkeit dieses Treibens ...

  • T
    Terry

    Klasse Artikel. Erinnert mich an einen aus der FR vor einiger Zeit über einen anderen glücklichen Alk-Aussteiger und seinen langen Weg dorthin, derzeit noch online hier: http://bit.ly/Ub1Bhc

     

    Das beste Buch zum Thema ist übrigens "Alk" von Simon Borowiak: http://amzn.to/Ub1K4u

     

    Bin gespannt, wie diese Geschichte hier weitergeht. Alles Gute!

  • L
    Lisa

    Vielen Dank für den Artikel!

    Ich denke auch, dass zu viele Menschen ein falsches Bild von alkoholkranken Menschen haben.

  • J
    Johann

    Danke!

    Ich trinke auch nicht (mehr). Als Nicht Trinker ist man eine sehr starke "Ausnahme" bei vielen Gelegenheiten. Die Weihnachtsfeier mit dem Betrieb ist da eine der härtesten Herausforderungen.

    "Wie schafft du das nur jetzt hier nicht zu trinken?". Genau so wie ich es schaffe gerade kein Heroin zu nehmen.

    Einige haben bei meinem Anblick auch die "Ich trinke zu viel" Anwandlungen.

     

    Die gute Nachricht ist, dass über die Zeit meine Freunde anfangen auch weniger zu trinken. Irgendwann sehen Sie einfach die Vorteile, wenn ich am Abend im Club zwar feiere, aber am nächsten Tag immer noch fähig bin ein normales Leben zu führen :-)

  • T
    Timchen

    Mutig!

    Trinke selbst seit knapp 5 Jahren nicht mehr, und es ist schön, andere - ohne Zwang, ohne überreden o.ä. - einfach durch das Nicht-Trinken auch dazu zu bewegen, weniger oder nichts zu trinken

  • E
    Eva

    Toller Artikel!

  • P
    Piet

    Bull's eye!

     

    Danke!

  • D
    damals

    Habe vor einigen Tagen nachgerechnet, ich trinke seit 5 Jahren keinen Schluck mehr. War auch Kampftrinker, nicht Regeltrinker. Bei mir hatte es zwar die letzten Trinkerjahre leicht abgenommen, aber der Körper hat nach jedem "Exzess" (= ca. 5-6 E) auch längere Regenerationszeit in Anspruch genommen als in jungen Jahren.

    Kann nur bestätigen, das Nichttrinken gesellschaftlich eher geächtet ist. Häufig werde ich bei Feierlichkeiten leicht geschnitten und die intelligentesten (?) Freunde haben großen Spaß daran, mir jedes Mal wieder ein Glas anzubieten. Oft langweile mich allerdings auch, da der Alkohol Selbstzweck des Zusammenseins ist.

    Die Toleranz alkoholbedingter Schierigkeiten gegenüber ist inzwischen gegen null gesunken. Das war die ersten 2 Jahre noch nicht so. Da dachte ich noch an meine eigene Alki-Karriere und hatte Verständnis. Heute sage ich nur noch: Alter; hör auf zu trinken, dann hast du auch bessere Probleme und wende mich ab. Sicher ist, dass fast alle wissen, dass jeder Schluck großer Mist ist und es trotzdem tun. Das zerstört die menschliche Psyche (alt. Seele) portionchenweise. Mit regelmäßigen Kampfalkoholtrinken ist man im Kreislauf, euphorisiert sein, darniederliegen und stolz sein, wie leistungsfähig man wieder nüchtern ist, gefangen. Sinnlos und dumm!

  • N
    nebu

    ehrlicher und klarer text... sehr gut.

  • N
    Nötigung

    Man wird tatsächlich bei allen möglichen Gelegenheiten fast genötigt, Alkohol zu trinken, oder zumindest komisch angeguckt, wenn man bei Softdrinks bleibt. Es gibt einen unheimlichen Rechtfertigungsdruck. Das habe ich festgstellt als ich schwanger war und man mir das noch nicht unbedingt angesehen hat. Die Schwangerschaft wurde als Grund sofort akzeptiert. Ich finde es jedoch grundsätzlich traurig, dass manche Leute immer erst unbedingt einen Grund wissen wollen und dass nicht einfach von der Allgemeinheit akzeptiert werden kann, wenn man etwas nicht tut. (Gilt im übrigen auch für das Nicht-Fleisch essen.)

  • A
    Aniko

    Ehrlich und ohne Rechthaberei geschrieben.

    Macht Mut für das neue Jahr.

  • M
    Malte

    Sehr schön!

  • K
    KennIch

    guter artikel!

  • UR
    Ulrich Rothe

    So ein seriöser Artikel - und was prangt in der Printausgabe auf der gleichen Seite: Eine Werbung für Perlwein "tazsecco".

     

     

    REDAKTION: Eine Unachtsamkeit unsererseits, wir bitten um Entschuldigung.

  • T
    Thomas

    Gedruckte taz Seite 15:

    Oben "Sprung ins Trockene" und drunter "taz Lese Nr. 12 - tazsecco rosé" - Werbung???

    Zufall, nicht aufgepasst oder Absicht?

    Steckt "verboten" oder "die Wahrheit" dahinter?

  • J
    Joe

    Danke für den hervorragenden Text - könnte glatt von mir stammen. Hab das Jahr 2011 komplett alkoholfrei verbracht; 2012 wieder mit Alk und merke jetzt: brauche ich nicht.

    Daher ab sofort: alkfrei!

  • HL
    Harald Lohrengel

    Du schreibst mir aus der Seele

  • E
    Euroboy

    Guter Text!

  • T
    titakjang

    Danke für den erfrischend pragmatischen Artikel!

    Auch ich denke regelmäßig in meinem Leben "ein bißchen weniger wär besser" und löse das dann, indem ich eine festgelegte Zeitspanne, Wochen oder Monate, gar keinen Alkohol trinke.

    Mir fehlt dann eigentlich ziemlich schnell nix mehr, mein Magen freut sich, und ich denke an die Menschen in meiner Familie, die ohne Alkohol vermutlich noch am Leben wären (ob sie es sein wollen würden, ist eine andere Sache).

     

    Ich empfinde Alkoholkonsum in meinen Dimensionen als Privatangelegenheit. Lustigerweise fühle ich mich aber selten persönlich angepisst, wenn ein besonders vorsichtiger Zeitgeist mir mal vorschlägt, weniger zu trinken. Aber ich bin schon häufiger wütend geworden, wenn in geselliger Runde ein "nein" thematisiert wurde, als wäre derjenige, der an diesem Abend keinen Alkohol trinken will, ein missionierender Veganer.

    Hier geht es nicht ums Spaßverderben. Ich gehe einfach davon aus, das jeder der nein sagt, einen Grund dafür hat, der sich irgendwo auf der Skala zwischen einer trivialen Magenschleimhautentzündung und Zustand nach hammerharter Entzugskur befindet, und wo auf dieser Skala, geht nur ihn selber was an.

  • WH
    Werner Hülsmann

    Ja, und in der gedruckten TAZ-Ausgabe ist Werbung für Alkohol (für den tazsecco - 11,5 % Alkohol - aus dem taz-shop!) auf der Seite. Irgendwie geschmacklos!

  • F
    Falmine

    Nach elf Jahren Abstinenz kann ich feststellen: es war eine richtige Entscheidung für mich, meine Familie und meine Freunde.

    Deshalb hadere ich auch nur mit der Glasindustrie, die es nicht schafft, für frisches Mineralwasser ein schönes gestieltes Glas vorzusehen. Auf den geschmackvoll gedecktesten Tafeln immer nur Becher oder irgendetwas undefinierbar Gedrungenes, Abgebrochenes. :-)

    Zur Spamvermeidung gebe ich das Wort, na?, ein: glas

  • D
    daswois

    auf arbeit impliziert chef/kollege tendeziöserweise auch gleich jeden möglichen ersatzkonsum/exszess in den abstinenten.

    weis gar nicht was ihr alle habt mit der abstinenz. nüchtern betrachtet ist der ganze freundezirkus und das ganze lebensbrimborium halb so witzig und doppelt so traurig und evtl arbeit auf ner frequenz die sich auch nicht mehr einstellen lässt. wir sind halt langeweiler und dröge mit riesen potenial. andere länder andere sitten, aber scholl-latours enkel will nicht weinen. mäh

  • E
    emilia

    vielen dank für den ehrlichen, informativen und differenzierten artikel. ich kann dem nur zustimmen, auch wenn ich in meiner vergangenheit nie ein alkoholproblem hatte.

    vor allem deshalb nicht, weil mein körper immer extrem sensibel war und drogen (dazu zähle ich auch alkohol) nicht vertrug. und ich in bezug auf süchte schon seit meiner jugendzeit so bewusst und konsequent wie möglich war.

    in meiner ausgehphase tanzte ich immer gerne und viel und das konnte ich schon nach geringstem alkoholgenuss (da waren dann zwei schluck bier schon zuviel) wegen körperlicher unverträglichkeitsstörungen (schwindel etc.) nicht mehr. und da mir das tanzen viel wichtiger war als alkohol liess ich das mit dem alkohol dann einfach sein.

    deshalb habe ich jahrzehntelange erfahrung mit (fast) nicht trinken. es hat früher einige menschen irritiert, aber ich kam damit doch noch recht gut durch und wurde bis auf wenige ausnahmen wegen nicht-trinkens nicht stark diskrimiert.

    bis auf eine große ausnahme: leben in london. auch hier trank ich am anfang wie in deutschland einfach mineralwasser oder apfelsaft, wenn die anderen bier tranken. aber im gegensatz zu deutschland war dies für die anderen ein echtes problem. sie waren nachhaltig irritiert, je länger, je mehr. ich merkte, dass sie sich abgelehnt fühlten, weil ich nicht "mit ihnen trank". das gemeinsame alkohltrinken war ein zuneigungs- und gruppenzugehörigkeitsbeweis.

     

    ich sah keinen anderen weg, weiter mit den anderen befreundet zu sein, also begann ich, jedesmal auch bier zu trinken. dass ich meist nur ein bier bestellte und das am ende des abends oft noch nicht einmal leer war, bekam keiner von denen mit. wichtig war, dass das bier vor mir stand, ich ab und zu daran nippte und sie das gefühl hatten, dass ich "mit ihnen trank, ich eine von ihnen war". das war das signal, dass ich sie mochte und so war alles okay für sie.

    da ich vorher fast nie alkohol getrunken hatte, bemerkte ich durch die neue gewohnheit, wie schnell ich mich an den alkohol gewöhnte und wie ich nicht mehr wie früher schon bei einem oder zwei schluck die effekte bemerkte, sondern nun erst nach ein oder zwei bier.

    als ich wieder zurück in deutschland war, hörte ich sofort mit dem biertrinken auf und mein körper regenerierte sich sehr schnell wieder auf das sensible niveau, was ich als positiv empfand.

    noch eine geschichte aus einer anderen perspektive: als ich mit meinem ex-freund einmal meine tante besuchte, bei der ich immer apfelsaftschorle trinke und auch nie einen kommentar deshalb zu hören bekam, gab es plötzlich eine veränderung: sie bot meinem ex-freund bier an. er lehnte es mit der begründung ab, dass er gerade trainiere und deshalb keinen alkohol trinke. sie liess nicht locker und bohrte die ganzen tage, die wir bei ihr wohnten täglich mehrmals nach. sie liess ihm wirklich keine ruhe. am ende war er so entvervt, dass er ja sagte. da strahlte sie über das ganze gesicht, holte das bier, das er "mit ihr trinkt" und war sichtbar ausserordentlich glücklich darüber. ich war ziemlich überrascht und entsetzt, diese verbindung von "wenn du mit mir trinkst, magst du mich" auch hier direkt in meiner ("normalen") familie zu finden. ich komme aus "geordneten arbeiterInnen/angestellten-verhältnissen". und ich komme vom land (südwestdeutschland). meine tante ist eine in ihrer gemeinde sehr beliebte und respektierte person, die sehr viel arbeitet und extrem gut "systemgerecht funktioniert" . aber ein tag ohne ihr abendliches bier ist für sie kein schöner tag. das sagt sie selbst so. sie kann sich keinen tag ohne ihr abendliches bier vorstellen. ihr mann trinkt natürlich abends ebenfalls ein bier mit ihr. oder zwei. bei festen trinken beide natürlich auch drei, vier bier oder mehr. das ist ihnen auch wichtig und "gehört dazu".

    ich war wirklich überrascht, dass es hier offensichtlich auch noch einiges mit geschlechtsunterschied zu tun hat. ich bin mir sicher, wäre ich mit einer freundin gekommen, wäre diese nicht über tage so bedrängt worden mit der alkoholfrage.

    ich bin zum glück in den letzten jahren zunehmend mit leuten befreundet, die wie ich keinen oder wenig alkohol trinken und nicht rauchen. bei denen zu entspannung und feiern nicht unbedingt alkohol dazugehört.

    früher war ich die einzige und musste mir auch oft sprüche anhören, wie unentspannt ich sei. und dass ich mich endlich locker machen müsse.

    nun bin ich in einem alter, in dem ich ganz entspannt die körperlichen und seelischen auswirkungen der unterschiedlichen lebensgewohnheiten von mehreren jahrzehnten bei mir und bei anderen beobachten kann. und die menschen, mit einem im weitesten sinne gesunden lebensstil dabei sehr gut abschneiden. ich bin sehr froh, dass ich mich nicht angepasst habe. und ich bin sehr froh, nicht (mehr) in einer umgebung zu leben, in der es sehr viel schwieriger ist, (fast) keinen alkohol zu trinken.

  • A
    Andreas

    Interessant zu lesende Erfahrungen zu einem Thema, das in den Medien leider noch viel zu wenig Beachtung findet! Ich freue mich schon auf die Kolumnen von Daniel Schreiber!

  • J
    Johnny

    Ein gelungener Artikel.

     

    Ich finde es ehrlich gesagt sehr traurig in was für einer Gesellschaft wir leben (auf Alkoholkonsum bezogen). Nur zu gut kenne ich es, dass man als unnormal gilt wenn man nicht trinkt und sich manchmal sogar noch dafür rechtfertigen muss; dabei sollte es doch genau umgekehrt sein.

    Ich würde mich freuen in einer Gesellschaft leben zu können die alle Drogen auch als Drogen ansieht. Leider wird der exzessive Alkoholtrinker immer noch als Genussmensch angesehen und der der sich Abends zum entspannen beispielsweise mal eine Cannabiszigarette raucht gilt als Krimineller, womöglich sogar als Junkie. Was das angeht herrscht leider ein großes Ungleichgewicht. Es wäre doch wünschenswert jeden exzessiven Drogenkonsum gleichwertig zu behandeln und jeden "Genusskonsum" ebenso. Würde das Thema Alkoholmissbrauch nicht oftmals noch tabuisiert hätten wir vielleicht auch eine angemessenere Trinkkultur. Vielleicht...

  • W
    WiWiWo

    Danke für den tollen Artikel. Ich habe vor 2 Jahren aufgehört Alkohol zu trinken und muss sagen es war die richtige Entscheidung. Ich konnte nie nur 1 oder 2 Bier trinken und der Hangover war jedes mal Katastrophal. Ich habe kein Problem mit Alkohol nur einen verdammt schwache Selbstbeherrschung also habe ich nach einer Party beschlossen nichts mehr zu trinken.

  • S
    set0joe

    Ja, finde ich auch. Sehr schön auf den Punkt getroffen.

  • I
    Ingo

    Danke!