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Arbeitnehmerkammer zieht BilanzSchockstarre am Arbeitsplatz

Die Zahl der BremerInnen, die ihre Jobs kündigen, ist laut Arbeitnehmerkammer deutlich zurückgegangen. Das liegt vor allem an unzureichenden Alternativen.

Besser kein Risiko eingehen: Wer heute einen Job hat, der will ihn auch behalten. Bild: dpa

Bremens ArbeitnehmerInnen sind 2012 auf Nummer sicher gegangen: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl derer, die ihre Arbeitsplätze gekündigt haben, um zehn Prozent gesunken – so die Jahresbilanz der Arbeitnehmerkammer. Eine weitere Abweichung zu 2011 weist sie bei den Themen Mutterschutz und Elternzeit auf: Hier ist der Beratungsbedarf um fast zehn Prozent gestiegen.

Für Ingo Schierenbeck, Geschäftsführer der Arbeitnehmerkammer, ist beides ein Indiz für Verunsicherung: Mütter wollen aus Sorge vor einer ungewissen beruflichen Zukunft schnell zurück in den Job und ArbeitnehmerInnen verharren in einer Art Schockstarre auf ihren Arbeitsplätzen, weil sie durch einen Jobwechsel keine Verbesserungen erwarten.

Letzteres bestätigt auch eine Analyse des Instituts Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen vom November 2011. Aus ihr geht hervor, dass Bezieher von Arbeitslosengeld schneller neue Stellen annehmen, bereits Beschäftigte jedoch seltener den Job wechseln. Die Arbeitsmarktreformen in den vergangenen Jahren wirken wie eine Bremse auf die Flexibilität der ArbeitnehmerInnen: „Wer Arbeitnehmerrechte abbaut“, sagt Ingo Schierenbeck, „der gestaltet den Arbeitsmarkt eben nicht flexibel, sondern drängt damit die Arbeitnehmer in die Deckung.“

Die Jahresbilanz

Von den 360.000 Beschäftigten im Land Bremen haben im vergangenen Jahr 91.000 Menschen Steuer- oder Rechtsrat bei der Arbeitnehmerkammer eingeholt.

Während knapp 40.000 Menschen Steuerberatungen in Anspruch nahmen, suchten knapp 36.000 Hilfe in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Hierbei spielte das Thema "Vergütung" die größte Rolle.

Rund 15.000 BremerInnen nahmen die Rechtsberatung, die die Arbeitnehmerkammer BürgerInnen mit geringem Einkommen anbietet, in Anspruch - die meisten von ihnen in Schuld- und Sozialrechts-Angelegenheiten.

Kein Wunder, denn anstelle von Aufstiegschancen oder besseren Arbeitsbedingungen stehen fast nur noch schlechter bezahlte Stellen mit befristeten Arbeitsverträgen oder Leiharbeitsverhältnisse zur Verfügung: „Trotz Rückgang der Arbeitslosenzahlen: Quantität ist eben nicht gleich Qualität. Wer die Wahl hat, bleibt lieber da, wo er ist, anstatt in einem prekären Beschäftigungsverhältnis zu landen“, sagt Schierenbeck. Hinzu kämen als Hemmschuhe die Schuldenkrise und die unklare Konjunkturentwicklung.

„Mehr als jeder fünfte Arbeitsplatz in Bremen befindet sich im Niedriglohnsektor“, sagt Schierenbeck, „Tendenz: steigend.“ Auch das machte sich 2012 bemerkbar: Den größten Anteil der Arbeitsrechtsberatungen machten Fragen zur Vergütung aus, in denen es um nicht oder nicht ordnungsgemäß bezahlte Löhne und Gehälter ging. „Da sollte“, erzählt Joachim Duhnenkamp, leitender Rechtsberater bei der Arbeitnehmerkammer, „beispielsweise ein Monteur plötzlich sechs statt fünf Wochentage arbeiten – ohne Gegenleistung für die Mehrarbeit.“

Weil in Bremen jeder neunte Beschäftigte im Sozial- und Gesundheitswesen arbeitet, hat die Arbeitnehmerkammer für diese Gruppe eine Sonderauswertung vorgenommen. „Auffällig war hier, dass es sich bei den Ratsuchenden zu fast 90 Prozent um Frauen gehandelt hat, zu über 50 Prozent um Teilzeit- oder geringfügig Beschäftigte und zu fast 80 Prozent um Beschäftigte im Klinikbereich“, so Duhnenkamp. Anders als bei den anderen Beratungen spielte bei ihnen das Thema Arbeitszeit die größte Rolle: „Schlecht geregelte Schichtarbeit und unbezahlte Mehrarbeit waren vor allem bei den Teilzeitkräften die größten Probleme“, so Ingo Schierenbeck. „Das ist bedauerlich, denn gerade bei diesen Angestellten geht es ja vornehmlich um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.“

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