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Deutsche Elektroband KraftwerkDas Upgrade verweigert

Wo alles begann: Im Düsseldorfer K20 führen Kraftwerk ihre zwischen 1974 und 2003 entstandenen Elektropop-Alben live auf.

Haben sich wieder einmal neu erfunden: die Band Kraftwerk. Bild: dapd

Auch ein Roboter drückt mal die falsche Taste. Am Ende von „Ätherwellen“ ertönt in der Düsseldorfer Kunstsammlung an der falschen Stelle ein tiefer Synthesizerklang und Ralf Hütter schaut ein wenig pikiert. Ein paar Minuten vorher – Punkt 20 Uhr – hatte das letzte verbliebene Gründungsmitglied von Kraftwerk zusammen mit seinen drei Mitstreitern die ersten Takte von „Roboter“ von den Workstations abgespielt.

Im Hintergrund tanzen die Roboter auf einer großen Leinwand „mechanic“, vor der Bühne stehen 850 Zuschauer und starren durch ihre 3-D-Brillen auf die Bühne. Alle sind sie gekommen – die Eltern mit Kindern und die bärtigen Hipster, die gealterten Elektrofans mit Mayday-T-Shirt und die Düsseldorfer Kunst-Schickeria. Kraftwerk sind zurück in ihrer Heimatstadt, nach gut 20 Jahren und nur ein paar hundert Meter von dort, wo alles begann.

Die Ratinger Straße ist heute die Saufmeile für das Feierabendbier, in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern aber war sie das Zentrum der westdeutschen Kunstszene, aus der auch Kraftwerk hervorgingen. „12345678“ heißt die Werkschau, bei der Kraftwerk in zwei Wochen acht ihrer Alben aufführen. Nach 43 Jahren haben sich Kraftwerk neu erfunden – wieder einmal.

Sound der alten Bundesrepublik

Die Kraftwerk, die Ende der Sechziger von Ralf Hütter und Florian Schneider als Krautrockband gegründet wurden, interessieren heute Abend nicht. Stattdessen steht die Version der Band, die mit ihrem vierten Album „Autobahn“ den Elektropop mit Futurismuszitaten schmückte, im Mittelpunkt. Mit den sieben Alben, die zwischen 1974 und 1991 entstanden, begründet sich Kraftwerks Ruf als Soundtrack zur alten Bundesrepublik.

Im Krautrock arbeiteten sich Musiker noch an den urdeutschen Mythen der schwarzen Romantik ab, Kraftwerk dagegen ließen sich vom Industriedesign der westdeutschen Gegenwart inspirieren. Das Cover von „Autobahn“ zierte das entsprechende Verkehrszeichen in Blau-Weiß, auf „Trans-Europa-Express“ präsentierte sich die Band als Kleinstfamilie mit Weichzeichner-Filter.

Dabei wanderten sie stets auf einem schmalen Grad – waren die Images von Kraftwerk jetzt eine detailversessene Parodie auf den Fortschrittsglauben des deutschen Ingenieurwesens oder einfach nur blinde Affirmation seiner Waren? Bis heute treiben Kraftwerk dieses Spiel mit Ambivalenzen auf die Spitze. Obwohl es technologisch schon lange nicht mehr nötig ist und sie die Musikproduktion problemlos an einen einzelnen Laptop outsourcen könnten, treten sie immer noch als Quartett auf.

Kraftwerk waren eine Band und präsentieren sich noch heute so. Am Ende ihres Konzerts hat jedes Bandmitglied ein kurzes Solo an Synthesizern und Digitaleffekten, bevor es mit einer kurzen Verneigung stumm die Bühne verlässt. Ein Anachronismus, aber typisch.

Seit „Computerwelt“ von 1981 ist kein Kraftwerk-Album mehr von Belang für die Gegenwart von Popmusik gewesen – und auch das war nur als Inspirationsquelle wichtig. Afrika Bambataa nahm 1982 ein Drumpattern von „Computerwelt“ und eine Melodie von „Trans Europa Express“ und erfand damit HipHop. Kraftwerk dagegen reimten „Am Heimcomputer sitz ich hier / programmier’ mir die Zukunft mir“ und hatten den Anschluss an die Zukunft zu diesem Zeitpunkt schon längst verpasst.

Mit dem Aufkommen von Sampling machte der technologische Futurismus Kraftwerks dem Durchstöbern des Archivs Platz und Kraftwerk-Songs wurden zu Samplequellen par excellence. Kraftwerk selbst hatten sich da schon längst aus der Musikgeschichte verabschiedet und wieder einmal neu erfunden. Mit dem nur 30 Sekunden langen „Expo 2000“-Jingle, dem Tour-de-France-Album von 2003 und einer Reihe von Auftritten mit Laptops schrieben sie sich endgültig in die frisch kanonisierte Popgeschichte der BRD ein – Kraftwerk wurden so ikonisch wie die Verkehrsschilder und Phrasen, die sie zitiert haben.

Rückblickend erscheint diese Phase fast wie ein Teil eines Masterplans. Kraftwerk begannen, den eigenen Mythos zu kultivieren. Einen großen Anteil daran hat Peter Boettcher, der die Band und ihre Roboteravatare seit 1991 fotografiert. Seine Bilder sind ebenfalls in Düsseldorf zu sehen.

Boettcher positioniert die Kraftwerk-Roboter in den Bildwelten des Fordismus, der zu diesem Zeitpunkt seine Blüte längst hinter sich hatte: Kraftwerk auf dem Dach des Fiat-Komplexes, Kraftwerk im Centre Pompidou und Kraftwerk vor dem State Theatre in Detroit, wo die „Mensch-Maschine“ als Allegorie auf die Geschichte der afroamerikanischen Diaspora seit der Sklaverei gelesen wurde und im Detroit-Techno ihren afrofuturistischen Widerhall findet.

Der eigene Mythos

Erst nachdem das Image von Kraftwerk zu einem sich selbst erhaltenden System geworden ist, konnte die letzte Neuerfindung stattfinden – die Musealisierung. Kraftwerk wurden zum lebenden Exponat, das man ähnlich einer Blockbusterausstellung von David Hockney weltweit in A-Klasse-Museen und als Headliner auf Festivals „platzieren“ kann: letztes Jahr im MoMA, im Februar in der Tate Modern und im Sommer auf dem Sonar-Festival in Barcelona.

In Düsseldorf wird das Gesamtkunstwerk Kraftwerk als Vorreiter einer spezifischen Düsseldorfer Pop-Tradition präsentiert, inklusive eines Uni-Symposiums über die „Mythenmaschine“ und einem etwas peinlichen Pressefoto von Organisatoren und Sponsoren mit Kraftwerk-LPs vor der Brust. Das ist einerseits sympathisch, weil sich öffentliche Kulturinstitutionen um Pop bemühen. Karten für die Kraftwerk-Konzerte waren zwar streng limitiert, aber mit 50 Euro nicht übermäßig teuer.

Andererseits wirkt der Düsseldorfer Versuch, die lokale zeitgenössische Elektronikszene über den Umweg Kraftwerk ins Pantheon der Musikgeschichte zu holen, dann doch ein wenig bemüht. Die elektronische Musik des gegenwärtigen Düsseldorf vom Umfeld des Clubs Salon des Amateurs bis zu den Neo-Kraut-Newcomern Stabil Elite hat von Kraftwerk zuerst den Willen übernommen, qua stilbewusstem Referenzrahmen zum Kunstobjekt zu werden.

Sie machen Pop für Sammler: gespickt mit Avantgardezitaten ohne jemals avantgardistisch zu sein. Die pointierte Überspitzung des zeitgenössischen deutschen Alltags, der Kraftwerk in ihren besten Momenten gelungen ist, sucht man hier vergeblich.

Kraftwerk selbst changieren bei der Aufführung ihres Albums „Radioaktivität“ am Samstag dagegen mühelos zwischen Werkschau und Leitartikel. Ralf Hütter singt die erste Strophe des Titelstücks „Radioaktivität“ auf Japanisch, auf der Leinwand blinkt „Fukushima“ neben „Tschernobyl“ und „Harrisburg“. Trotzdem kommentiert ihr Auftritt gerade deshalb unsere Gegenwart, weil sich die Band dem Upgrade verweigert hat.

In „Nachrichten“ verkündet eine Nachrichtenstimme, dass im Jahr 1985 über 55 Kernkraftwerke in Deutschland stehen werden. Die elegante Mobilität, die Kraftwerk in „Trans-Europa-Express“ besingen, ist spätestens auf der Heimfahrt wieder vergessen. Kraftwerk haben eine Zukunft erfunden, die niemals eingetreten ist, und halten an ihr fest.

Pünktlich um 22 Uhr ist Schluss und ein letztes „Music Non-Stop“ hallt durch den Saal. Auf der Leinwand zurück bleibt die Vektorgrafik eines Roboterkopfes – in 2-D.

„Kraftwerk – Roboter“. Fotoausstellung von Peter Boettcher, NRWForum Düsseldorf, bis 30. Januar. Die Konzerte sind ausverkauft.

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