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Politologe über Sexismus„Es braucht Fingerspitzengefühl“

Was darf Mann noch sagen? Schwierig, meint Dag Schölper vom Bundesforum Männer. Erlaubt sei, worauf zwei sich einigen.

Hoffentlich kein Mädchenbier, trotz komischem Hut. Bild: dpa
Simone Schmollack
Interview von Simone Schmollack

taz: Herr Schölper, wurden Sie schon mal von einer Frau sexuell belästigt?

Dag Schölper: Nein.

Von einem Mann?

Das schon. Aber nicht auf die selbe Weise, in der FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle mit der Journalistin umgegangen ist.

Sondern?

Ich empfinde es beispielsweise als unangemessen, wenn ich zu einem bestimmten Bier greife und hören muss: Das ist doch ein Mädchenbier.

Das ist schon diskriminierend?

Wenn ich als Mann einem bestimmten Erwartungsdruck entsprechen muss und abgewertet werde, ist eine Grenze überschritten. Da greift ein Distinktionsmechanismus, meist verbunden mit einem Späßchen, der im Alltag häufig vorkommt.

Dag Schölper

Der 35-Jährige ist Politologe und Geschäftsführer des Bundesforums Männer, einer profeministischen Interessenvertretung für Männer, Jungen und Väter.

Er sagt, Sexismusopfer legten sich häufig Erklärungen dafür zurecht, warum sie sexuell belästigt wurden. Dabei sollte der Rechtfertigungsdruck auf der anderen Seite lasten.

Herr Brüderle hat seine Anmache sicher auch als Späßchen gesehen. Wo beginnt die Differenz zwischen Flirt und Belästigung?

Das kommt auf die Situation an. Das gesprochene Wort kann in unterschiedlichen Momenten unterschiedliche Wirkungen entfalten. Aber: Ein Chef hat sich jede anzügliche Bemerkung gegenüber Untergebenen zu verkneifen, und sei sie noch so positiv gemeint. Ein Kompliment zwischen zwei Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen, darf hingegen sein.

Sexismus ist also immer eine Frage der Macht?

Ohne Machtgefälle funktionieren verbale sexuelle Übergriffe nicht. Jemand, der aus einer niederen Position heraus solche Attacken versuchen würde, hätte schon verloren, bevor er überhaupt angefangen hat.

Warum?

Weil sein Angriff verpuffen würde. Unabhängig davon wagen sich kaum Untergebene, Chefs auf eine solche Weise anzusprechen. Ein Machtgefälle entsteht im Übrigen nicht nur aufgrund von Hierarchien. Das gibt es auch zwischen Menschen auf gleicher Ebene.

Was ist erlaubt, was nicht?

Das ist schwer zu sagen. Das ist einerseits abhängig von den Absprachen, die zwischen Menschen herrschen. Wenn zwei sich auf einen bestimmen Umgang miteinander verständigt haben, dann ist das okay. Auch wenn das für Außenstehende vielleicht nicht so ist. Andererseits kommt es auch immer auf die Tagesform der Beteiligten an. Manchmal kann eine Bemerkung, die gestern noch durchgegangen wäre, heute zutiefst verletzten.

Brauchen wir neue Regeln für den Umgang miteinander?

Eindeutig abwertende Begriffe und Verniedlichungen haben tabu zu sein – sowohl im Job als auch privat. Das „Schätzchen“ im Büro gehört ebenso dazu wie der „Wichser“. Aber jetzt einen Kodexkatalog zu entwickeln halte ich für nicht zielführend.

Wieso?

Weil ein Sprachregelkatalog unrealistisch ist. Der würde unter anderem zur Folge haben, dass das Spielerische zwischen den Geschlechtern, das häufig auch im Büro vorkommt, verloren ginge. Das Ergebnis wäre eine komplette Entsexualisierung. Ein stupides platonisches Nebeneinander will doch niemand.

Was, wenn jemand spielerische Grenzen nicht erkennt?

Es braucht Fingerspitzengefühl, um ausgewogen zu kommunizieren. Das ist nicht leicht. Aber das kann man lernen.

Komplimente sind also noch möglich?

Es wäre tragisch, würden die jetzt verboten.

Und wenn jemand ein Kompliment nicht als solches versteht, sondern als sexistische Anmache?

Das Gefühl, verletzt worden zu sein, nicht wegdrücken, sondern als Grenzüberschreitung anerkennen und sie dem Gegenüber mitteilen. Komplimente können auch mal danebengehen. Es muss aber möglich sein, sich zu entschuldigen und zu signalisieren: Hier bin ich zu weit gegangen, das habe ich verstanden.

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16 Kommentare

 / 
  • B
    Brigitte

    Frage an "ich" zu "Ohne Machtgefälle funktioniert Sex nicht !":

     

    Soll das eine allgemeine oder persönliche Feststellung sein? Gibt es Belege dafür, dass das allgemein so ist?

     

    Bei mir ist es genau umgekehrt: Sex funktioniert nur, wenn ich mich als Partnerin auf Augenhöhe akzeptiert fühle.

     

    Vielleicht sind die Menschen einfach verschieden?

  • B
    Brigitte

    Christophe T. hat recht: es bleibt schwierig.

     

    Insgesamt gefällt mir der Artikel, auch wenn er nicht perfekt sein mag. Ich kann die Positionen von Dag Schölper gut nachvollziehen, auch wenn ich nicht alles teile. Das mit dem "Mädchenbier" z. B. sehe ich wie Thorsten Rust. Ansonsten finde ich die Darstellung gut verständlich und differenziert. Mir geht es ähnlich, auch wenn ich ein Jahrzehnt älter und eine Frau bin.

     

    Was ich in der Debatte insgesamt vermisse, ist eine Diskussion der Tatsache, dass sich Frauen tatsächlich oft nicht wehren (können?), obwohl es vermeintlich so einfach scheint. Obwohl ich eine im allgemeinen selbstbewusste und sogar als besonders mutig bekannte Frau bin, fällt es auch mir schwer, in der Grauzone von leicht angeschwipsten Männersprüchen und "versehentlichen Berührungen" sofort die anscheinend nötigen Grenzen zu setzen. Ich neige immer noch dazu, den anderen zu entschuldigen ("Hat er bestimmt nicht so gemeint.", "Diese Berührung war bestimmt aus Versehen."), bleibe erstmal in der Situation und erkenne erst, wenn es weitergeht, dass ich mich geirrt habe. Dann ziehe ich mich aus der Situation heraus, ohne das von mir innerlich missbilligte Verhalten klar und deutlich anzusprechen und abzulehnen, und vermeide ähnliche Situationen künftig mit diesem Mann. Irgendwann, nach Monaten oder Jahren, gerate ich dann mit einem anderen Mann wieder in eine ähnliche Situation und reagiere wieder genauso. Ist das ein Generationenproblem, das sich auswächst? Liegt das am Patriarchat und wir Frauen haben es aus jahrtausendealter Erfahrung doch noch in den Genen, dass Männer uns potenziell (lebens-)gefährlich werden können und deshalb nicht frontal angegangen werden dürfen? Gibt es dazu wissenschaftliche Untersuchungen?

     

    Niemand wird übrigens zum "Gender-Krüppel", wenn er/sie sich Sexismus verkneift! Wie hier bereits geschrieben wurde, können wir uns alle so verhalten, wie wir es für richtig erachten, sollten aber bereit sein, uns zu verändern. Das schließt die Fähigkeit, sich für Fehler zu entschuldigen, ein. Das bricht niemanden einen Zacken aus der Krone - es zeugt im Gegenteil von besonderer Stärke.

  • H
    HamburgerX

    Wo bleibt eigentlich der Aufschrei gegen das männerdiskriminierende und damit sexistische "Frauenstatut" der Grünen?

     

    Diese ewige Heuchelei der Betroffenheits- und Empörungsfanatiker ist dermaßen pathologisch geworden, dass einem Angst und Bange um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit werden kann.

     

    Harmlose Flirtsprüche werden als Staatsskandal ansehen, verfassungswidrige Parteigesetze wie das Frauenstatus sind den Medien oder der Opposition keiner Silbe würdig. Peinlich!

  • A
    anke

    Und "das Spielerische" nimmt keinen Schaden, wenn man aus einer "Tagesform" heraus irgendwelche "Grenzüberschreitungen" mitteilt, wo gestern noch keine waren und/oder morgen keine mehr sein werden?

     

    Hm. Die Sache mit dem Sexismus scheint ja komplizierter zu sein, als man gemeinhin annimmt. Zumal man ja doch eher selten zu zweit allein ist auf der Arbeit. Die diversen KollegInnen haben doch sicher ganz unterschiedliche Schmerzgrenzen, nicht? Das kann ja ein schönes Kuddelmuddel geben, wenn sich permanent jemand bei jemand anderem entschuldigen muss, weil er oder sie die aktuelle Tagesform nicht so ganz erfasst oder den Adressaten seiner Scherze verwechselt hat!

     

    Was mich aber wirklich mal interessieren würde ist: Was hat es auf sich mit dem "Machtgefälle", das nicht "aufgrund von Hierarchien" entsteht, sondern "zwischen Menschen auf gleicher Ebene"? Irgendwie tut sich mein Verstand gerade etwas schwer mit dem Gefälle der Ebene. Ich bitte um Aufklärung.

  • R
    Realo

    Ohje, der Versuch des linksakademischen Großstadtmilieus, die Regulierungswut jetzt sogar auf die Sprache zwischen Individuen (also nicht etwa nur auf die Sprache zwischen Behörde und Individuum) auszudehnen, muss Klardenkende einfach sprachlos machen.

    Der Mensch pflanzt sich eben durch Paarung fort und nicht durch Zellteilung, dementsprechend muss man wohl damit leben, dass hin und wieder ein Mann versucht, sich einer Frau anzunähern.

    Früher hieß das Flirten, heute Sexismus.

    Und nein, ich bin kein Ewiggestriger, sondern 29 Jahre alt.

  • A
    Adman1

    z.B. an der Kasse im Supermarkt: "Wollen Sie einen Kassenzettel, junger Mann", "Danke, nein, schönen Tag noch. Toll, wie Sie heute Ihre Haare haben".

    Die Kassiererin war um die 35. Hübsch, schön, könnte Model in einem Campari-Spot sein...

    Ich bin 64!!!!

    Wer von uns beiden war nun sexistisch. Sie, ich, wir beide????

  • S
    steffen

    Hm...da wird hier tagelang engagiert gegen Deutungshoheiten angeschrieben, die meinen, sich zwischen zwei Leute schieben und dabei deren persönlicher Deutung der Situation samt dabei entstehendem Gefühl (Wut, Ekel, Ärger etc.) das Wasser abgraben zu dürfen, und nun haut hier Frau Schmolleck einen Satz wie diesen raus: "Das ist schon diskrimierend?"!?

     

    Rhetorischer Trick?!

     

     

     

     

    25524 Itzehoe

  • L
    Loi

    Mädchenbier...weil Mädchen ist es also abwertend, ????

    AHA,

    das ist alles so alltäglich, wie zum Beispiel Mädchen zicken rum usw. dabei sind Jungs ebenso "zickig" oder bockig?. Wenn sie ihre Meinung sagen oder ganz klar was sie wollen

     

    Oder benimm dich nicht wie ein Mädchen,,,,ebeso abwerten bezüglich des weiblichen Geschlechts, das machen auch genügend ach so bekloppte Mütter.

  • CT
    Christophe T.

    in der Tat es bleibt schwierig :)

  • SW
    S. Weinert

    Das Interview ist für mich ein weiteres Zeichen für das regelmäßige Scheitern theoretischer Soziologie/Politologie an einer davon weit entfernten Realität.

     

    Ohne Machtgefälle funktioniert Sexismus nicht, die niedere Position verliert? Von wegen! Wenn sich in einer Abteilung das gestreute Gerücht erst verfestigt, die neue Leiterin hätte sich "hochgeschlafen", führt die folgende Auseinandersetzung faktisch meistens dazu, dass die Abteilungsleiterin versetzt wird. Konflikte dieser Art sind für die Leitung einfach nur geschäftsschädigend; wo nur Betriebsergebnisse zählen, kommt es auf Details nicht an.

     

    Als Hautproblem sehe ich jedoch die gesellschaftlich verordneten Regeln, die immer diskutiert und gefordert werden ("Schätzchen ist tabu"), die ebenfalls mit der Realität häufig nichts zu tun haben. Meine Abteilung arbeitet seit zehn Jahren nahezu unverändert miteinander - da haben sich anderen Umgangsformen entwickelt. Ich darf meine Kollegin "Schätzchen" nennen (O-Ton: "Wir haben zusammen nach der Betriebsfeier betrunken auf einer Parkbank übernachtet, da der letzte Bus schon weg war - da darfst du mich auch Schätzchen nennen"), ohne das dies als Ausdruck von Sexismus oder Abwertung begriffen wird. Probleme entstehen erst dann, wenn ein/e Neue® hinzukommt. Soll man die etablierte Abteilungsodnung einfach fallen lassen, aus Rücksicht einer Einzelperson gegenüber, die noch keinen Status innerhalb der Grupppe besitzt? Wenn sich neun Mitarbeiter duzen und der hinzukommende zehnte wird konsequent mit "sie" angesprochen, weil es der äußeren Konvention entspricht, wird er/sie sich dann nicht ausgegrenzt und gemobbt fühlen? Es ist schwierig, den rechten Ton zu finden. Sicherlich aber wird es nicht irgendwelchen Elfenbeinturmprinzen aus der Politologie oder Soziologie gelingen, diesen gordischen Knoten für uns alle zu lösen.

  • E
    emil

    die artikel hier werden ja immer dusseliger. wie wäre es mal mit einer definition von sexismus?

     

    dauernd dieses, ach das ist also sexismus?!, ist ja unterträglich.

  • BU
    Brauer und Mälzer

    Ach Ihr Tazler!

    Da hat die Simone ein doch sehr heikles Interview gut geführt und Ihr PappnasInnen versaut das Ganze mit der blöden Bildunterschrift.

    Erstens ist der "komische Hut" nicht "komisch" sondern mit Hopfen (humulus lupulus) umkränzt, zweitens ist das auf dem Bild konsumierte Münchner Bier von der Bittere her definitiv kein "Mädchenbier" und drittens würde niemand, der sich Hopfen an den Hut steckt auf selbigen in seinem Bier verzichten.

    Und wenn der knuddelige Dag solche Probleme mit seinem "Sexismus" hat soll er halt anständiges Bier mit Hopfen und ohne Limettendreck aus braunen oder grünen Flaschen trinken!

    Prost, Du Nordlicht!

  • I
    ich

    "...Ohne Machtgefälle funktionieren verbale sexuelle Übergriffe nicht. "

     

    Ohne Machtgefälle funktioniert Sex nicht !

  • BG
    Bernd G.

    Hauptsache in Deutschland wächst eine Generation von Gender-Gefühlskrüppeln heran (zu denen ich mich bewusst auch zähle), die sich bei jedem "Guten Tag schöne Frau" mit einem Bein im Gefängnis wiederfinden. Dann sollten doch lieber die Kinder des unerwünschten Geschlechts abgetrieben werden wie in Indien, das ist sehr viel humaner.

  • TR
    Thorsten Rust

    -Zitat-

    "Ich empfinde es beispielsweise als unangemessen, wenn ich zu einem bestimmten Bier greife und hören muss: Das ist doch ein Mädchenbier"

    weil:

    "Wenn ich als Mann einem bestimmten Erwartungsdruck entsprechen muss und abgewertet werde, ist eine Grenze überschritten.."

    -Zitat Ende-

    Entlarvende Aussagen.

    Viele Männer sind sich offensichtlich nicht bewusst, wie tief sie im Sexismus verankert sind.

    Warum sonst würde ein "Mädchenbier" als herabwürdigend eingestuft?

  • M
    Mike

    Brüderele hat ja auch nur ein peinliches Kompliment gemacht und sich damit vollkommen blamiert. Belästigt hat er niemanden damit.

    Das Problem an dieser Debatte ist, dass die Selbstüberschätzung eines Politikers jetzt als Sexismus verkauft wird und das schadet Frauen, die wirklich benachteiligt oder bedrängt werden. Und verunsichert Männer, denn morgens, alkoholisiert ist so ein Spruch deutlich eher angemessen als mittags im Büro.

    Teilweise wurde es mit Strauß-Kahn in einen Topf geworfen. Eine mlgliche Vergewaltigung ist aber etwas grundsätzlich anderes als ein plumper, peinlicher Flirtversuch.