Liebeserklärung ans Zeitungssterben: Solang es Missstände gibt
Die Medienkrise wirbelt alles auf und Journalisten müssen sich wieder in die Welt begeben. Räumt eure Schreibtische!
Es gibt die Schönheit der Medienkrise, das Gute am Zeitungssterben. Es ist, als reiße jemand das Fenster auf: Manuskripte wirbeln auf, Frühlingsluft im Flur, die Wehrlosigkeit gegenüber dem Neuen.
Es gibt einen Sinn in diesem Absturz: Journalisten, deren Aufgabe es ist, sich in die Welt zu begeben, müssen sich in die Welt begeben. Alles neu. Räumt eure Schreibtische. Geht auf die Straße, da ist das Leben, das wir kennen müssen, wenn wir schreiben. Es ist nicht so, dass etwas stirbt und nichts nachkommt. Journalisten werden ewig gebraucht, immer und überall, solange es Missstände gibt.
Wie es Ärzte gibt, solange wir krank sind. Wie es die Küstenwache gibt, solange wir aufs Meer fahren. Journalisten verfluchen Autoritäten. Sie sind Optimisten. Sie kämpfen. Im Zweifel sind jene, die Kapital aus Journalismus schlagen wollen, Gegner. Der Kapitalismus hat Angst vor Journalisten, er liebt die Journalismus-Simulation.
Es ist nicht so, dass die Verlage die Herrscherinnen über Stift und Papier sind. Es gilt: Da ist ein Problem, wir werden Zeuge, wir legen Zeugnis ab. Wir haben Misstrauen, ein Notebook, wir haben Internet. Dieser Beruf ist einfach, denkt man sich die Ablenkungen weg, die Verwässerungen, die Störungen. Das Gute: Journalisten können nicht anders, als ihren Beruf auszuüben, solange sie ihre Augen offen halten.
Journalisten brauchen keine Aufträge, keine Chefredaktionen, keine Schreibtische, keine Durchwahl, keine Verlage, keine Weihnachtsfeiern, keine Konferenzen, sie brauchen keine Großraumbüros, sie brauchen keine Adressen, sie brauchen keine Kantinen, keine Reisekostenabrechnungen, keine Etagen.
Sie brauchen Mut. Diese Krise ist wunderbar.
Leser*innenkommentare
Jon
Gast
"Umschmelzungsprozess" nannte Walter Benjamin das mal in seinem "Autor als Produzent".
Es ist zwar etwas naiv, bei eine derartigen Krise zu behaupten, es würde ausreichen, "rauszugehen" - jedoch sollte man es auch als Chance verstehen für neue Medien, neue Platformen, neue Perspektiven.
Wie sehr sich doch Miesepeterei und Esoterikgesülze gleich sind.
chris
Gast
Ich las mal "Wenn Zwei das gleiche von sich geben, ist einer überflüssig" und genau das ist es, an was ich bei den deutschen Zeitungen denke.
Ich schaue rein und alle, aber auch alle tun das gleiche, schreiben das gleiche mit Abstufungen und ackern die gleichen Themen durch.
Sorry, Leute, aber in einer Welt, die so viel Themen hat und verschiedene Blicke sogar auf ein Thema zuließe, gibt es Chorgesang ohne Ende?
Gleichgültig ob Wirtschaft, Gesellschaft, Prozesse, Sport, Umwelt - ich finde Themen, die scheinbar in gemeinsamen Konferenzen abgestimmt zwischen verschiedenen Redaktionen veröffentlicht wurden.
Sagt mir doch mal, wozu man die dann alle noch braucht? Wegen der Arbeitsplätze? Wegen Meinungsbildung haben sie sich selbbst zum großen Teil bereits seit langem überflüssig gemacht.
FocusTurnier
Gast
Herr Dachsel,
spätestens seit Brüderle und dem #Aufschrei hat sich der deutsche (und vor allem weibliche) Journalismus selbst ins Abseits gestellt. Da wird es auch nix mehr helfen, die Schreibtische zu räumen und "raus zu gehen". Im Gegenteil: Das "Schreibtische räumen" wird dann wohl auch eintreten, aber anders, als Sie sich das vorstellen. Weil die Hälfte der potentiellen Leser in diesem Land die Medien einfach nicht mehr ernstnehmen können, weil Sie absolut nicht mehr differenzieren.
MfG
FT
flujo
Gast
Nette Satire über die Nebenwirkung von Esoterikmessen-Besuche. Sorge dich nicht, lebeundsoweiteretc.pp
Falls der Artikel aber ernst gemeint sein sollte, richtet er sich sicher an Leute, denen Papi die Miete, das Essen, die Krankenversicherung und die Altersvorsorge zahlt, während sie voll wild und frei, unabhängig von Verlagen und Chefs ihre voll spannenden und bedeutsamen Artikel schreiben, um sie dann, ja dann was eigentlich? Auf noch einem der unzähligen Blogs zu veröffentlichen? Ach ich vergaß, Papi oder ein Freund des selben hat ja sicher Beziehungen...
"Sie brauchen Mut. Diese Krise ist wunderbar." ja genau, diese selbstherrliche Satire ist wunderbar
frechdachs
Gast
wenn die werbekunden zu 80 % die zeitung finanzieren können nicht die journalisten zu 100 % die zeitungsinhalte bestimmen und schon gar nicht inhalte servieren,die schhandtaten der werbekunden beschreiben
schöne neue globale miserfolglose dauerwellenwelt
ich empfehle die lektüre unsres hahawirtschaftsblatts,dessen großmeister die peinlichen unterwerfungsgesten orchestriert und sie auch selbst verschnörkelt vollführt.
oder wie OMA sagte:
DESSEN BROT ICH FRESS ,DESSEN LIED ICH SING
da hilft auch nicht das glück im vornamen