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Das Montagsinterview„Eine Maske, die entblößt“

Gudrun Märtins fand schon immer, dass sich der Tänzer nicht so wichtig nehmen sollte. Der klassische indische Tanz kommt ihr dabei sehr entgegen.

Tanzt die Geschichten der indischen Götter: Gudrun Märtins. Bild: Miguel Ferraz

taz: Frau Märtins, warum tanzen Sie Odissi? Es gibt doch viele indische Tänze.

Gudrun Märtins: Es gibt inzwischen neun oder zehn klassische Tänze. Die berühmtesten sind der nordindische Kathak und der südindische Bharatanatyam. Das sind traditionelle, mit dem Hinduismus verbundene Tänze. Der Odissi, der in den 1960er Jahren im ostindischen Bundesstaat Odisha (bis 2011 Orissa) entstand, ist ein für die Bühne konzipiertes Derivat sehr alter indischer Tempeltänze.

Warum haben Sie sich für Odissi entschieden?

Gudrun Märtins

40, geboren in Wilhelmshaven, hat erst eine Schneiderlehre absolviert und von 1992 bis 1998 in Indien bei Sangeeta Dash in Bhubaneshwar im Bundesstaat Orissa (heute: Odisha) den Tempeltanz Odissi studiert.

2005 schloss sie ihr Tanzstudium an der Pracheen Kala Kendra Universität in Bhubaneshwar mit dem Master of Arts ab.

Seit 2002 lebt sie in Hamburg, lehrt Odissi und tritt bei Veranstaltungen und Festivals in Indien und Europa auf.

Wegen der Ästhetik. Im Gegensatz zu den anderen, von den islamischen Eroberern und später von den Engländern beeinflussten Tänzen werden im Odissi nicht nur die Gliedmaßen, sondern auch der Torso bewegt – Hüfte, Oberkörper, Seiten. Dadurch entstehen sehr sinnliche, weiche Bewegungen.

Wie alt sind die Tänze, auf denen der Odissi basiert?

Die ersten Belege für einen strukturierten, für die Bühne inszenierten indischen Tanz finden sich um 500 v. Chr. Der erste Beweis dafür ist das Natya Shastra. Das ist das erste Kompendium weltweit, das sich mit den Techniken der Darstellenden Kunst auf der Bühne befasst.

Welche Geschichten erzählen Sie im Odissi-Tanz?

Alte Liedtexte und Mythen, die meistens von hinduistischen Göttern handeln. Der beliebteste Gott im Odissi ist Krishna, über den es unendliche viele Geschichten gibt. Der mit den Gopis – den Kuhhirtinnen – Spiele spielt oder andere Ränke schmiedet. Man setzt dabei nicht nur den Körper, sondern auch die Mimik ein. Es ist also eine Mischung zwischen Schauspiel und Tanz.

Muss sich der Tänzer mit den dargestellten Figuren identifizieren?

Es gibt ja auch beim Schauspiel verschiedene Schulen und der indische Tanz steht der Brecht’schen Verfremdung nahe. Das heißt, dass sich der Tänzer zwar in die Figur einfühlt, aber immer Abstand hält.

Wie schafft man das?

Das ist ein Balance-Akt, den man lernen kann. Meine Lehrerin hat mir immer, wenn ich mich zu sehr in etwas reingesteigert habe – die Mimik von Zorn oder Ekel zum Beispiel –, gesagt, dass das nicht schön sei. Denn darum geht es ja gerade: nicht von sich selbst preiszugeben, sondern Allgemeingültiges auszudrücken, das alle Zuschauer verstehen können.

Der Tänzer trägt also immer eine Maske zur Schau?

Ja. Eine Maske, die dahinter guckt. Die entblößt.

Man nimmt sich selbst zurück.

Ja, darum geht es. Und genau das hat mich von Anfang an so fasziniert am indischen Tanz: dass es eben nicht um die Person geht, die es macht. Sondern je mehr sich die Person, die agiert, zurücknimmt, desto besser wird es.

Und kühler.

Nein, im Gegenteil. Es erzeugt Demut. Das Verständnis davon, dass es um etwas Größeres geht als um einen selbst.

Nämlich?

Das kommt darauf an. Manche glauben an einen bestimmten Gott. Für andere ist es das Universum oder der Lauf der Geschichte.

Wie hat Ihre persönliche Tanz-Geschichte angefangen?

Ich war immer gern auf der Bühne, habe immer gern getanzt und wollte eine Zeit lang Schauspielerin werden. Mit 16 habe ich mit orientalischem Tanz angefangen und dazu viel gelesen: 1001 Nacht und später die alten indischen mythologischen Schriften: die Upanishaden und das Ramayana. Damals wusste ich noch nicht, dass es indischen Tanz gibt.

Wann haben Sie es bemerkt?

Als ich in Frankfurt eine Schneiderlehre machte und zufällig indischen Tanz sah. Dessen Verbindung von Schauspiel und Tanz hat mich umgehauen.

Warum?

Es hat mich an Stummfilme erinnert, weil es so ästhetisch und ausdrucksstark ist und ja auch absichtlich überzeichnet. Die Tänzerinnen haben mir dann gesagt, dass man diesen Tanz in Indien systematisch lernen kann. Und diese Idee, eine Ausbildung zum indischen Tanz zu machen, das hat mich gereizt. Da musste ich hin.

Wer hat Sie gelehrt?

Man kann indischen Tanz inzwischen an Hochschulen studieren. Der traditionelle Weg ist aber, dass man sich einen Meister sucht und bei ihm wohnt. Man wird von diesem Lehrer akzeptiert wie ein Kind, gehört zum Haushalt, übernimmt Pflichten und bekommt dafür ständig Unterricht. Meine Lehrerin hat mir zum Beispiel beim Kartoffelschälen erklärt, was ein Tanzstück aussagt und welche Geschichte dahinter steht.

Mussten Sie eine Aufnahmeprüfung bestehen?

Nein. Ich habe mich mit meiner Lehrerin Sangeetha Dash von Anfang an sehr gut verstanden. Es war gleich ein sehr herzliches Verhältnis und sie hat mich sofort akzeptiert.

Was für ein Mensch ist sie?

Sie tanzt seit ihrer Kindheit, ist acht Jahre älter als ich und sehr liebevoll.

Gab Sie Ihnen auch regelmäßigen Unterricht?

Es gab keinen strengen Lehrplan, sondern eine schrittweise Ausbildung. Meine Lehrerin hat mir etwas gezeigt, mich dann allein trainieren lassen, bis sie fand, dass ich es verarbeitet hatte und das Nächste lernen könnte.

Wie lange waren Sie bei ihr?

Sechs Jahre. Dann bin ich nach Deutschland zurückgegangen.

Wären sie gern in Indien geblieben?

Ja. Aber dann hat sich meine Lehrerin von ihrem Mann scheiden lassen und ist weggezogen. Da ist für mich einiges weggebrochen. Denn einerseits wollte ich nicht ohne sie in Bhubaneswar, der Hauptstadt von Odisha, bleiben. Andererseits wollte ich nicht hinter ihr herziehen, weil sie sich erst mal ein neues Leben aufbauen musste. Sie ist ja in eine andere Stadt gezogen.

Warum?

Weil sie das Gerede der Leute fürchtete.

Ist Bhubaneswar denn ein Dorf?

Nein. Da leben 500.000, 600.000 Menschen. Trotzdem ist es so übersichtlich, dass sie das Gerede fürchtete. Gerade die Tanz-Szene ist ja sehr übersichtlich. Ich glaube aber auch, das sie das Ganze dramatischer gesehen hat als ihre Umgebung – vermutlich, weil sie damals selbst noch sehr konservative Auffassungen hatte. Aber sie musste es tun, es ging einfach nicht mehr anders. Sie ist dann fast geflohen aus dem Haus ihres Mannes.

Auch vor Gewalttätigkeit?

Ja.

Für eine Tanz-Ausbildung eigentlich keine gute Atmosphäre, immer die Ehekräche mitzubekommen…

Ja. Aber es gehört eben zum Leben dazu.

Wie haben Sie sich eigentlich verständigt?

Mit meiner Lehrerin auf Englisch. Das engt aber ein, weil das nur die Gebildeten verstehen, und deshalb habe ich versucht, auch Oriya zu lernen. Das fiel mir anfangs sehr schwer, aber dann hat meine Lehrerin ein Kind bekommen und mit ihm habe ich mitgelernt. Das ging gut und irgendwann war ich so weit, dass ich auf dem Markt mit den Bauern quatschen konnte. Das hat großen Spaß gemacht. Das war ein ganz anderes Leben – und dann ging ich leider wieder weg.

Warum?

Nach dem Weggang meiner Lehrerin wäre die einzige Alternative gewesen, mich dort selbstständig zu machen. Aber das ist in Indien noch schwerer als hier.

Fahren Sie noch nach Indien?

Ja. Ende April trete ich auf einem Festival in Delhi auf.

Ist es für eine Europäerin schwer, sich mit den indischen Tänzern zu messen?

Das hängt vom Niveau ab. Die indische Gesellschaft – auch die Tanz-Szene – ist sehr hierarisch gegliedert: Denen, die im Tanz erfahrener sind als man selbst, muss man unter Umständen sogar die Füße berühren. Das ist ein Zeichen von Ehrfurcht und der andere antwortet mit einer wohlwollenden Geste.

Mussten Sie ihrer Meisterin, bei der Sie wohnten, täglich die Füße berühren?

Nein. Aber als ich später nochmal einen Monat bei ihrem Meister verbrachte, habe ich jeden Morgen seine Füße berührt.

Macht das Spaß?

Nun ja, es gehört dazu. Und die Meister erwarten es auch, wenn man es ernst damit meint, den Tanz zu lernen.

Mögen Sie es auch, wenn man Ihnen huldigt?

Je länger ich dort war, desto öfter ist es mir passiert, dass Kinder das bei mir versucht haben. Ich fand das immer unangenehm.

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