Debatte Studienfinanzierung: Der Selbstbedienungsladen
Stipendien nutzen denen, die sie am wenigsten brauchen. Dabei wäre gerechte Elitenförderung durchaus möglich – mit dem Bafög.
E s will etwas heißen, wenn schon die Beschenkten selbst abwehren. Auf 300 Euro steigt der Zuschuss, den begabte Studierende ab dem Wintersemester bekommen, eine Summe, die Deutschlands sogenannte Studenten-Elite einfach so erhält, ohne jede Prüfung der Bedürftigkeit, unabhängig davon, was ihre Eltern zum Lebensunterhalt beisteuern oder sie selbst durch Jobben verdienen.
Bildungsministerin Annette Schavan hat als eine ihrer letzten Amtshandlungen dieses sogenannte Büchergeld für Stipendiaten der Begabtenförderwerke kurzerhand verdoppelt: Exzellenz war der christdemokratischen Politikerin selbst dann noch das Wichtigste, als sie sie ihrer zweifelhaften Dissertation wegen selbst nicht mehr glaubhaft vertreten konnte.
Die Büchergeld-Erhöhung ist ein Paradebeispiel für die Verlogenheit einer selbst erklärten Bildungsrepublik. Wie unfair dieses Geschenk ist, sieht sogar ein Teil der Stipendiaten ein: Eine Initiative von ihnen spendet das Büchergeld denjenigen, die es nötiger haben, 26.000 Euro waren es allein im vergangenen Jahr. Studierenden, die nach ihrem Abschluss beste Chancen auf ein gutes Einkommen haben, so vorbehaltlos Geld zuzuschießen, ist absurd. Wer Hartz IV beantragt, muss seine Verhältnisse minutiös offenlegen. Wer das Etikett der Begabung trägt, erhält die Förderung frei Haus.
29, ist Bildungsredakteur im Inlandsressort der taz. Er bekam während seines VWL-Studiums Bafög – zählt mit elf Semestern aber wohl nicht mehr zu den Turbostudierenden, die auf einen Rabatt hoffen dürfen.
Ein Antistreber-Stipendium
Dieser Bonus wäre vielleicht zu rechtfertigen, wenn ein Stipendium wirklich denjenigen leistungsfähigen jungen Menschen ein Studium ermöglichen würde, die ohne das Geld zurückschrecken würden. Entsprechend werden Stipendien als soziale Wohltat verklärt. Die private und damit gebührenpflichtige Zeppelin-Universität in Friedrichshafen wirbt neuerdings mit einem Antistreberstipendium, das sich ausdrücklich an Sitzenbleiber, Legastheniker oder Gründungspleitiers richtet. Die Bundesregierung verkauft die Summen, die sie ins Stipendienwesen pumpt, ebenfalls als eine Art leistungsgerechte Aufstiegshilfe.
Das Gegenteil ist allerdings der Fall. Stipendien erhalten überwiegend diejenigen, die ohnehin aus begünstigten Familien stammen. Eine Studie des Hochschulforschungsinstituts HIS zeigte vor wenigen Jahren: Während die Hälfte aller Studierenden aus Akademikerfamilien kommen, sind es zwei Drittel aller Stipendiaten der Begabtenförderwerke. Bei der Studienstiftung des Deutschen Volkes, dem elitärsten der Eliteförderwerke, kommen lediglich 21 Prozent aus Familien ohne akademischen Hintergrund.
Dass das Förderwerk sein Wirken als Ausdruck gesellschaftlicher Verantwortung rühmt, grenzt an Realitätsverleugnung. Nirgends lässt sich die Reproduktion des deutschen Bildungsbürgertums so gut beobachten wie bei den Stipendien. Und kurioserweise haben ausgerechnet diejenigen kaum ein Problem mit der Förderung einiger auf Kosten der Allgemeinheit, die Studiengebühren stets mit dem Hinweis rechtfertigten, eine Krankenschwester solle nicht mit ihren Steuern für die Ausbildung des Chefarztsohns aufkommen müssen.
Der Habitus entscheidet
Dass das Stipendienwesen einem Selbstbedienungsladen privilegierter Schichten gleicht, liegt daran, dass gute Leistungen als Voraussetzung einer Förderung nicht für alle gleichermaßen zu erreichen sind. Es liegt vor allem aber darin begründet, dass neben Noten zusätzliche weiche Kriterien bei der Stipendienvergabe eine Rolle spielen: Engagement, Motivation, Persönlichkeit – Kriterien, die sich fast nach Belieben auslegen lassen. In den Auswahlgremien sitzen Akademiker, die dabei instinktiv den Akademikernachwuchs bevorzugen. Der richtige Habitus entscheidet über den Zuschuss.
Als Entschuldigung für diese Elitenförderung muss das Bafög herhalten, das die Breitenförderung abdecke und sich nach der Bedürftigkeit richte. Das ist aber ein falsches Alibi: Denn wenn man Begabte besonders belohnen möchte, ist das Bafög der einzige vertretbare Weg.
Bis vor Kurzem beinhaltete das Bafög sogar eine implizite Elitenförderung: Ein Teil der Studienförderung wird beim Bafög als Darlehen gewährt. Studierende, die besonders schnell zum Abschluss kamen oder zu den 30 Prozent der besten eines Prüfungsjahrgangs zählten, konnten auf Rabatte bei bei der Rückzahlung hoffen. Ihre Darlehensschuld verringerte sich um bis zu 25 Prozent. Rund 11.000 Absolventen profitierten jedes Jahr davon.
Übers Bafög fördern
Natürlich kann man sich auch über diese Regelung streiten: Gute Absolventen finden in der Regel gut bezahlte Jobs. Warum sollte der Staat denjenigen ihre Schulden erlassen, die sie am ehesten begleichen können? Verteilungspolitisch ist das Unsinn.
Wenn man aber unbedingt begabte Studierende unterstützen will, ist der Weg über das Bafög der bessere: Er ist treffsicherer als ein Stipendium, das statt auf dem Abschlusszeugnis nur auf einer Prognose aus Abitur- oder Zwischennoten und den zweifelhaften Auswahlverfahren der Förderwerke beruht. Und vor allem: Es päppelt nicht ohne Not diejenigen, die aus gut betuchtem Hause kommen. Ausgerechnet den Leistungsbonus beim Bafög hat Annette Schavan, die die Zahl der Stipendien in ihrer Amtszeit auf 45.000 verdoppelt hat, aber gestrichen. Ab diesem Jahr ist die Regelung entfallen.
Die Begründung dafür ist abstrus. Zu groß sei der Verwaltungsaufwand beim Bafög-Rabatt gewesen, zu schwierig die Prüfung, ob die Absolventen wirklich zu den besten zählten. Bei den Stipendien ist der Aufwand keineswegs geringer – nur dass ihn die Förderwerke erbringen müssen oder die Universitäten, die sich bei der Vergabe der sogenannten Deutschlandstipendien außerdem um zusätzliche private Mäzen bemühen müssen.
Durch das Streichen der Bafög-Prämie spart der Bund 12 Millionen Euro im Jahr. Das ist nicht viel; es entspricht annähernd der Summe, die ihn das fragwürdige Deutschlandstipendium kostet.
Dass die neue Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) nun die Reformbedürftigkeit des Bafög betont, ist prinzipiell gut. Wenn sie es ernst meint, sollte sie bei der Gelegenheit die Begabtenförderung mit reformieren – und sämtliche Stipendien abschaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Spaniens Staatschef im Nahkampf
Ein König mit Cojones
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala