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Die WahrheitSchwindelerregende Linksabbieger

Die Fahrer des Paketdienstes UPS in den USA sind dazu angehalten, so oft wie möglich rechts abzubiegen. Das hat seine Gründe.

... und nach dem Aussteigen immer links ums Auto gehen. Bild: ap

In der Ruhe liegt die Kraft, lautet eine obligate Floskel. Doch selbst wer auf der Intensivstation ans Bett gefesselt ist oder in die Einzelzelle gesperrt, huscht naturgemäß in Windeseile um die Erdachse. (Tröstet das?)

Wer zum Beispiel sein Dasein überwiegend in Berlin, also etwa am 52. geografischen Breitengrad verbringt, dreht täglich eine Runde von 24.700 Kilometern, das heißt pro Stunde etwa 1.000 Kilometer. Dies bedeutet allerdings wenig im Vergleich zu der Rotation, der eine Freundin von mir ausgesetzt ist, die grade in Singapur arbeitet. Unweit des Äquators wird sie am Tag 40.000 Kilometer transportiert, also fast 1.700 Kilometer pro Stunde. Taumelt sie eher als wir hier? Halten Sie sich fest, bevor Sie die folgende Antwort umhaut: Nein.

Sollten Sie nie über die Ursache nachgedacht haben, sei sie hier, nun ja, erklärt: Alles um einen herum, ob in Berlin oder in Singapur, dreht und windet sich ja jeweils genauso flott mit. Wie schwindelerregend es indes der Elektropost ergeht, die mir die Freundin zu schicken pflegt und die Minuten später auf meinem Rechner landet, darüber grübeln wir jetzt lieber nicht.

Die dolle Erkenntnis von der rastlosen Rotation des Erdballs ruft man sich vielleicht ab und zu in Erinnerung, um Ruhe als einen relativen Zustand einzuschätzen oder ratlos dem modischen Begriff der Entschleunigung gegenüberzutreten.

Wie dem auch sei, vor wenigen Augenblicken und wie bestellt traf eine E-Mail der Freundin aus Singapur ein, in der sie auf ein englischsprachiges Buch hinwies, das jüngst auch auf Chinesisch veröffentlicht wurde, auf Deutsch bislang nicht: „Big Data“ heißt es. Flugs mailte ich zurück, im Netz kürzlich über einen der beiden Autoren, den Internetjuristen Viktor Mayer-Schönberger, gelesen zu haben. Und: „Ich schildere dir, liebwerte Freundin, eine Episode daraus, indem ich dich gleich in die USA beame.“

Eingangs geht es in dem Buch nämlich offenbar um den Paketdienst UPS. Dessen Fahrer in den USA sind dazu angehalten, so oft wie möglich rechts abzubiegen, selbst wenn sie links abbiegen müssten, um ihr Ziel direkt zu erreichen. Auch „wenn diese Anweisung unsinnig erscheint, ist sie doch ökonomisch rational. Der Paketdienst spart damit jedes Jahr zehn Millionen Dollar.“

Hinter dieser Vorgabe steckt eine sogenannte Big-Data-Analyse. Eine Software vereint mehrere schier gigantische Datensätze – Unfallstatistiken, Statistiken über den Benzinverbrauch, Aufzeichnungen über Millionen Touren der UPS-Fahrer. Zusammengefügt entspringt daraus das Ergebnis, „dass die UPS-Transporter deutlich seltener in Unfälle verwickelt sind, wenn sie nicht links abbiegen und somit den Gegenverkehr kreuzen, sondern stattdessen dreimal rechts abbiegen und dann geradeaus die Straße überqueren, von der sie ansonsten links abgebogen wären.“

Nein, ich habe der Freundin keineswegs die Geschichte eigens geschildert, sondern ihr fix die entsprechende Adresse auf der Zeit-Online-Seite geschickt, in Ruhe, linksherum und unfallfrei.

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2 Kommentare

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  • W
    wauz

    Satire darf alles - Geschwafel darf nicht!

  • P
    PeterWolf

    Das stimmt, beim Rechtsabbiegen sterben lediglich Fußgänger und Radfahrer im toten Winkel (allein in Köln dieses Jahr schon vier), der Lieferwagen wird dabei kaum beschädigt! Und das Blut verschwindet bei der nächsten Fahrzeugwäsche.