Ursula Engelen-Kefer über den DGB: „Frau Merkel nicht loben“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund agiert in der Krise zu passiv, sagt Ursula Engelen-Kefer. Er brauche mehr Distanz zur Regierung.
taz: Frau Engelen-Kefer, der Gewerkschaftsbund mobilisiert am 1. Mai unter dem Motto „Gute Arbeit. Sichere Rente. Soziales Europa“ zu Kundgebungen. Sie sagen, der DGB müsse in der Wirtschaftskrise Europas stärker auftreten. Warum?
Engelen-Kefer: Im DGB müsste die Sozial- und Wirtschaftspolitik eine viel größere Rolle spielen, sowohl im Inland als auch mit Blick auf Europa. Der DGB soll ja die Einzelgewerkschaften koordinieren und in verschiedenen Feldern auch Initiativen ergreifen. Die Einzelgewerkschaften setzen vor allem auf den Bereich Tarifpolitik. Der DGB müsste dies durch mehr Eigenständigkeit ergänzen.
Aber der DGB ist nur so stark, wie es die Vorsitzenden der großen Einzelgewerkschaften IG Metall, Ver.di und IG Bergbau, Chemie, Energie zulassen.
Ja, es ist eine schwierige Gratwanderung, das war es immer. Aber dann muss man eben bestimmte Dinge auch durchfechten. Und davon sehe ich in der DGB-Spitze zu wenig.
Aber der Gewerkschaftsbund wirbt doch für einen europäischen Marshallplan.
Das Konzept für nachhaltige Investitionen in Europa ist ja auch sehr sinnvoll. Aber es reicht eben nicht, gute Konzepte zu haben. Man muss sie mehrheitsfähig machen.
Die 69-jährige promovierte Volkswirtschaftlerin war von 1990 bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Aber bei wem? Die schwarz-gelbe Regierung steht unbeirrt zum Sparkurs. Braucht es da mehr Konfrontation?
Es braucht eine sehr differenzierte Haltung zur europäischen Politik, aber eben auch eine klare Auseinandersetzung mit den Regierungskonzepten. Da müssen die eigenen Linien erkennbar sein. Es geht nicht, wie der DGB-Vorsitzende Michael Sommer es tut, auf der einen Seite Frau Merkel in höchsten Tönen zu loben und andererseits gesetzliche Mindestlöhne und einen Marshallplan für Europa zu fordern. Das trägt nicht zur Glaubwürdigkeit bei. Frau Merkel lehnt gesetzliche Mindestlöhne kategorisch ab und exportiert den Sozialabbau in andere Länder.
Im Mai 2014 wird Reiner Hoffmann von der IG BCE Michael Sommer im Amt beerben. Was für einen Kurs erwarten Sie vom neuen Vorsitzenden?
Die Linie des IG BCE ist seit Jahren klar. Der DGB soll ein Dienstleister für die Einzelgewerkschaften sein und keine eigenständige politische Kraft, schon gar nicht in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Diesen Kurs wird Herr Hoffmann wohl fortführen.
Sehr zu Ihrem Bedauern.
Ja. Vor allem die IG Metall und die IG BCE denken an die Interessen ihrer Kernklientel, die Beschäftigten der großen Industriebranchen. Da gibt es zwangsläufig eine enge Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften, Betriebsräten und Management, es geht viel um Industrie- und Tarifpolitik. Die Lage der prekär Beschäftigten rückt hingegen in den Hintergrund, obwohl ihre Zahl größer wird. Darauf nicht angemessen zu reagieren kann sich als Bumerang erweisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Resolution gegen Antisemitismus
Nicht komplex genug
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Strategien gegen Fake-News
Das Dilemma der freien Rede