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Empire State Building wird 82Die imperiale Spitze des Traums

In Rekordzeit hochgezogen, wurde das Empire State Building am 1. Mai 1931 eröffnet. Bis heute dient es als Projektionsfläche der Metropole.

Bis das One World Trade Center eröffnet wird, ist es das höchste Gebäude der Stadt: das Empire State Building mit nächtlich leuchtender Spitze. Bild: reuters

NEW YORK taz | Ob jemand New Yorker ist oder nicht, erkennt Shaniqua West an der Art, wie die Person in ihr Lokal kommt. „Es ist eine besondere Haltung“, sagt sie. „Selbstsicher. Zielstrebig. Direkt.“

Die junge Frau nimmt Bestellungen entgegen. Meist von den Beschäftigten, die in den 101 Stockwerken über ihr arbeiten. Morgens schickt sie Spiegeleier, Bagels und Pancakes auf den Weg nach oben. Mittags Salate, Hühnchen und Fisch. Nachmittags mit Zuckerguss bedeckte Karotten- und Kürbiskuchen.

Stammkunden kommen mit einem der 73 Aufzüge aus den Büros in das mit dunkelbraunem Marmor dekorierte Foyer herunter. Gehen vorbei an der Rezeption, wo Besucher fotografiert werden, bevor sie in die oberen Stockwerke fahren. Und entlang an den Wänden mit den frisch restaurierten Intarsienarbeiten im Stil der 30er Jahre. Sobald sie ihre Stammkunden kommen sieht, gibt Shaniqua West das Essen in Auftrag.

Der geplante Börsengang

Wenn sich der größte Eigentümer durchsetzt, geht das Empire State Building demnächst an die Börse: Peter Malkin und sein Sohn Anthony wollen einen "Realty Trust" bilden - mit 18 weiteren New Yorker Gebäuden. Das Empire State Building, mit einem Schätzwert von über 2,3 Milliarden Dollar, wäre darin das Kronjuwel. Es wäre der größte US-Börsengang seit Facebook im vergangenen Mai.

Längst nicht alle 2.800 Eigentümer des Empire State Building sind damit einverstanden. Die meisten haben ihre Anteile von Vorfahren geerbt, die oftmals 1961 Anteile für damals 10.000 Dollar pro Einheit erworben hatten. Nach der Bewertung der Malkins sind die insgesamt 3.300 Anteile heute je 325.000 Dollar wert. Einzelne Eigentümer halten das für stark unterschätzt.

Der Börsengang ist nur möglich, wenn 80 Prozent der Eigentümer zustimmen - bislang sind es nur 75 Prozent, die Frist wurde immer wieder verlängert. In dieser Woche prüft das Oberste Gericht im Bundesstaat New York außerdem, ob die von den Malkins vorgeschlagene neue Eigentümerstruktur überhaupt zulässig ist. (dora)

„Ich weiß, was sie wollen“, sagt sie, „und ich weiß, dass sie keine Zeit haben.“ Die anderen, die direkt von der 33. Straße ins Café Europa kommen, sind oft Schlenderer. Leute, die sich erst einmal umschauen. Aber sobald sie an der Salatbar ankommen, werden auch sie Teil des Stakkato im Produktionsablauf: Grünzeug auswählen – zwei Schritte. Dressing auswählen – zwei Schritte. Kasse – zahlen.

Nur einmal oben gewesen

Die 26-jährige Afroamerikanerin Shaniqua West hat immer in Brooklyn gelebt, auf der anderen Seite des East River. Die ersten 14 Jahre konnte sie auf der Insel Manhattan eine Landschaft aus zwei Bergen aus Beton, Stahl und Glas sehen. In Lower Manhattan gipfelte die menschengemachte Topografie im World Trade Center. Ein paar Kilometer weiter nördlich, in Midtown, ist der höchste Punkt bis heute die Antenne des Empire State Building. Shaniqua West beschreibt ihr Verhältnis zu dieser Stadtlandschaft als „Liebe“. Manchmal gibt sie Touristen Tipps, was sie noch besuchen könnten.

Ihr selbst fehlen dafür Zeit und Geld. Die junge Frau arbeitet sieben Tage die Woche. Muss Schulden für das Studium zurückzahlen. Macht am Wochenende zusätzlich ein Praktikum. Und verbringt jeden Tag fast zwei Stunden in der Subway. „Das ist völlig normal“, findet sie.

Die Spitze des Wolkenkratzers, der sich mit 381 Meter Höhe und 330.000 Tonnen Gewicht über ihrem Arbeitsplatz auftürmt, hat sie nur einmal als Achtjährige besucht. Damals war sie „aufgeregt und eingeschüchtert“. Heute beeindruckt der Wolkenkratzer sie nicht mehr. Der einzige Zwischenfall, der ihr einfällt, hätte überall in den USA passieren können: eine Schießerei. Auf der Straße ermordete ein Mann seinen früheren Chef, der ihn entlassen hatte. Anschließend gaben Polizisten 16 Schuss ab. Töteten den Mörder und verletzten acht Passanten. Das war im August 2012.

Thematisch bestrahlt

Wer New York als Erster den „Empire State“ genannt hat, verliert sich im Dunkel der frühen Jahre der USA. Heute schmückt der imperiale Spitzname die Autokennzeichen des Bundesstaates. Und die Welt assoziiert damit den Wolkenkratzer. Die verdünnte Spitze des als Bleistift vom Architekturbüro Shreve, Lamb & Harmon entworfenen Gebäudes wird jeden Abend thematisch beleuchtet. Als Barack Obama wiedergewählt wird, ist der Turm blau angestrahlt (die Farbe seiner Partei). Am Nationalfeiertag ist er rot, weiß und blau. Zum muslimischen Aid-al-Kebir-Fest wird er grün. Es ist die Projektionsfläche der Metropole.

Rund vier Millionen Besucher fahren jedes Jahr für je 25 Dollar (mit dem Aufzug in den 86. Stock) oder für 42 Dollar (in den 102.). Sie sind noch immer eine Haupteinnahmequelle. 2008 wurde eine Modernisierung begonnen, um das Hochhaus, in dem nichts ohne Strom funktioniert, „umweltverträglich“ zu machen. Die Investitionen von 550 Millionen sollen vor allem neue Kunden anlocken. Mehr Banken, Versicherungen und Unternehmen wie LinkedIn, die höhere Mieten zahlen und ganze Etagen benötigen.

Vorerst geht diese Rechnung nur teilweise auf. Ende 2012 standen mehr als 30 Prozent der Fläche im Empire State Building leer. Das erinnert an die Anfangsjahre, als die New Yorker über das „Empty State Building“ witzelten. Erst nachdem der Monsteraffe King Kong mit einer zappelnden Menschenschönen in der riesigen Faust an der Fassade hochgeklettert war, belebte sich das Geschäft.

Wetteifern in der Höhe

Das Empire State Building ist eine Geschichte von Männern, die um den höchsten und am schnellsten errichteten Turm wetteifern. Zwei Autounternehmer – der eine von Chrysler, der andere von General Motors – wollen auf dem Höhepunkt der 20er Jahre die Wolken über Manhattan erobern. Chrysler vollendet seinen Turm als Erster. Und setzt in einem bis zuletzt geheim gehaltenen Überraschungscoup im Herbst 1930 ein verschnörkeltes Art-déco-Dach oben darauf. Wenige Tage später beschließen die Investoren, das bereits halbfertige Empire State Building von den ursprünglich geplanten 320 auf 381 Meter aufzustocken.

Von seiner Eröffnung am 1. Mai 1931 bis zur Eröffnung des World Trade Centers im Jahr 1972 ist es das höchste Gebäude der Stadt. Heute stehen in Chicago und auf der Arabischen Halbinsel und in Asien höhere Wolkenkratzer. Wenn in Lower Manhattan in ein paar Monaten das One World Trade Center mit 541 Meter Höhe an der Stelle des alten World Trade Center eröffnet, wird das Empire State auch in New York wieder auf Platz zwei rücken.

Aber die Erfolgsgeschichte wird bleiben. Das Empire State Building steht für den Willen, sich nicht beeindrucken zu lassen. In New York werden selbst Katastrophen zu Geschichten von Heldentum. Nach den Attentaten des 11. September 2001, nach dem totalen Stromausfall vom Sommer 2003 und nach dem Wintersturm „Sandy“ im vergangenen Oktober hat die Stadt sich jedes Mal selbst gefeiert.

Terrorismus, marode Energieanlagen und steigendes Meeresniveau? New York beweist „resilience“ – Widerstandsfähigkeit – und baut trotzig noch höher, noch größer. Anders als andere europäische Niederlassungen in der neuen Welt war die Stadt nie ein religiöses oder politisches Unternehmen. Von dem Moment, als die Dutch West India Company die Insel Manhattan im Jahr 1626 für 60 Gulden von örtlichen Indianern erwarb, ging es ums Geschäft.

Rasant gebaut

Das Empire State Building entsteht in der Rekordzeit von 14 Monaten. Während 3.400 Männer den Wolkenkratzer in die Höhe ziehen und manchmal ein Stockwerk pro Tag bauen, steigt am Boden die Arbeitslosigkeit von 9 auf 24 Prozent. Die USA auf dem Weg in die Große Depression. Auf der Baustelle dokumentiert Fotograf Lewis Hine die „Sky Boys“. Seine Bilder zeigen grinsende Arbeiter, die in schwindelerregender Höhe auf Stahlträgern sitzen, rauchen und Butterbrote essen. Keiner trägt einen Helm. Keiner ist angeseilt. Manche haben nackte Oberkörper und Beine. Kein Afroamerikaner ist zu sehen.

In den USA lechzen sie nach solchen Erfolgsgeschichten. Im 80. Stock erzählen große Schautafeln davon. Selbst die Zahl der Todesopfer gerät dabei zur Erfolgsmeldung. „Nur“ fünf Arbeiter sind beim Bau ums Leben gekommen.

Am Fuß des Wolkenkratzers versuchen junge Frauen und Männer mit ausländischem Akzent, Tickets wie auf dem Basar zu verkaufen: „Das höchste Gebäude“ – „Die beste Aussicht“. Manche sind erst seit Kurzem in den USA. Auf dem Bürgersteig vor der Hausnummer 350 an der Fifth Avenue wollen sie ihre eigene US-amerikanische Erfolgsgeschichte beginnen. Für 8 Dollar die Stunde, plus Kommission pro verkauftes Ticket. Immer wieder stellen sich Männer in weinroten Uniformen und Hüten neben die Straßenverkäufer. Notieren, was die sagen. Und geben es, wenn sie es für falsch halten, per Walkie-Talkie weiter.

Die Leute in Weinrot wachen über die Sicherheit des Empire State Building. Wenn Touristen Fragen haben, schauen die Wachleute auf Spickzetteln nach, die sie in der Brusttasche tragen. Die Antenne über ihnen strahlt Dutzende Radio- und Fernsehsender aus. Sie haben Knöpfe im Ohr. Aber ihre privaten Mobiltelefone müssen sie bei Dienstbeginn im Spind lassen. Vorschrift des Arbeitgebers. „Wenn hier eine Bombe platzt“, schimpft einer, „kann ich nicht einmal meine Frau anrufen“. Wer protestiert, bekommt die Antwort: „Niemand ist gezwungen, hier zu arbeiten.“

Schuhe wienern

Julio Galvis hat mit elf Jahren sein erstes Paar Schuhe hergestellt. Vor 35 Jahren ist er aus Kolumbien in die USA gekommen. Und ein New Yorker geworden. Seit einem Vierteljahrhundert repariert er Schuhe im Erdgeschoss des Empire State Building. Es ist „das beste building der Stadt“, schwärmt er, „sauber und sicher“. Der „shoe shine“ existierte schon im Waldorf Astoria Hotel, das 1929 abgerissen wurde, um Platz für das Empire State Building zu machen. Bis heute thronen die Kunden auf Ledersesseln, die Schuhputzer sitzen auf Hockern vor ihnen und wienern ihre Schuhe.

Der 61-Jährige arbeitet von 7 Uhr morgens bis Viertel vor sechs am Abend. Vorher und nachher ist er von und nach Queens unterwegs. Auf der Spitze des Wolkenkratzers, aus dem seine Kunden kommen, ist er einmal gewesen. Die Freiheitsstatue hat er nie besucht. „Keine Zeit“, sagt er.

Vor ein paar Tagen sind zwei Bomben in der Zielgeraden des Marathon von Boston explodiert. Aber Angst vor Attentaten hat Julio Galvis nicht. „Wer aus einem Land kommt wie ich, ist mit Gewalt aufgewachsen“, sagt er, „nur hier ist so etwas neu.“ Am Eingang seines Salons stehen ein Paar Schuhe. Sie gehörten dem Mann, der im vergangenen Sommer erschossen wurde. Er hätte sie am selben Tag abholen sollen.

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