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Kolumne Aufgeschreckte CouchpotatoesEs hat sich ausflaniert

Edith Kresta
Kolumne
von Edith Kresta

Einfach mal so durch die Stadt spazieren. Das ist nicht mehr angesagt. Heutzutage rasen selbst die Touristen als Kampfradler-Horde durch die Stadt.

Fressfeinde des Flaneurs: Radlergruppe vor der East Side Gallery in Berlin. Bild: imago/Caro

K ampfradler, Hollandradfahrer, E-Biker, Fußgänger, Rollator-Schieber – das ist die Hierarchie der Geschwindigkeit aus eigener Muskelkraft in unseren Städten. Auf der Strecke bleibt dabei der ziellos umherstreifende Flaneur.

Er wurde verdrängt, ist nutzlos, möglicherweise arbeitslos. Weder sportlich, noch effektiv. Ein Herumlungerer, Wegelagerer, der dem lieben Herrgott die Zeit stiehlt, auf jeden Fall aber im Weg steht.

Mein Freund Janis beispielsweise. Stundenlang streift er durch die Stadt, während seine Freunde joggen oder im Fitness-Center Gewichte heben, beharrlich Längen schwimmen.

Janis lässt sich treiben. Kennt die Penner an der Ecke, weiß, welche Prostituierte tagsüber wo steht, welches Café gerade geschlossen hat und wo es seit Neuestem das beste Brot, die günstigsten Markenschuhe, die größte Auswahl an biologischen Äpfeln zu kaufen gibt. Neuestes aus dem Mikrokosmos der Großstadt. Amüsant, nebensächlich, manchmal informativ.

Wolfgang Borrs
Edith Kresta

ist Reise-Redakteurin der taz.

Janis ist ein Flaneur alter Schule, wenn er geduscht, gut angezogen und aufgeräumt durch die Stadt zieht. Sein Fitnessprogramm behauptetet er. Ein Fitness-Center hat er noch nie von innen gesehen.

War das Flanieren einst Passion und gehörte zum kultivierten Lebensstil bürgerlicher Literaten, Intellektueller, Revoluzzer – so ist es inzwischen völlig aus der Mode gekommen. Uncool. Nicht nur bei Janis’ Freunden. Auch bei den vielen Touristen aus Madrid, Rom, Kopenhagen, die Berlin besuchen.

Sie erobern die Stadt längst nicht mehr zu Fuß, sondern mit dem Rad. Massenhaft. Gnadenlos. Auf Bürgersteigen, Plätzen, in Parkanlagen oder vor Straßencafés – überall Radler, gruppenweise, häufig unerprobt auf dem Sattel, den Blick stur auf Sehenswürdigkeiten statt auf die Fahrbahn gerichtet.

Kein Ort nirgends für Fußgänger. Nicht einmal in der U-Bahn. Auch dort verstellen Radfahrer rücksichtslos den Weg, wenn es draußen zu regnen anfängt.

„Geh doch wie eine Dame“, rief mir neulich Janis zu, als ich dick vermummt wie eine Kugel aufs Rad stieg. Bedenkenswert. Führte der Flaneur einst in gediegener Eleganz sein bestes Stöffchen aus, so ist der Radler von heute auch im Outfit nur noch effektiv, praktisch, allwettertauglich, selten schön anzuschauen.

Aerodynamik statt Stil, Fleece statt Samt, schweißnass statt blütenrein. Der Fußgänger im Abseits, seine Genussvariante, der herausgeputzte Flaneur, ein historisches Phänomen. Wir sind sportlich, mobil, fit, gesund, zielstrebig, schnell, selten entspannt.

Apropos Kampfradler: Letzte Woche wurde Janis auf dem Bürgersteig von einem Radler versehentlich angefahren. Knieverletzung. Nun zieht er noch langsamer durch die Straßen, aber stilecht mit Stock.

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Edith Kresta
Redakteurin
Schwerpunkte: Reise und Interkulturelles. Alttazzlerin mit Gang durch die Institutionen als Nachrichtenredakteurin, Korrespondentin und Seitenverantwortliche. Politologin und Germanistin mit immer noch großer Lust am Reisen.
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20 Kommentare

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  • P
    PepperMind

    Ich glaube einige hier nehmen den Artikel viel zu ernst und sehen die Ironie und den beschriebenen Zauber darin gar nicht. Lebensart hat ausnahmsweise mal nichts mit Rechthaberrei zu tun.

  • PD
    Pan Dora

    Ich schliesse aus meinen Erfahrungen in Berlin als passionierter Fußgängerin und überzeugter Radfahrerin und gelegentlicher Autofahrerin, dass es hier tatsächlich ein zunehmendes Agressivitätsverhalten gibt, dass die Teilnahme am Stadtleben inzwischen sehr unangenehm macht. Ob die Menschen sich nicht mehr rücksichtsvoll und vorauschauend verhalten, wenn sie als Fußgänger, Radler oder Autofahrer unterwegs sind spielt dabei keine Rolle.

    Man tritt aus der Haustür und kollidiert fast mit einer Radlerin, die sich im Recht findet auf dem Gehweg zu heizen, weil es ja nur 60 Meter bis zu ihrer Eingangstür sind. Man möchte bei Grün als Fußgängerin die Straße überqueren und wird nur deshalb nicht von einem bei Rot über die Ampel rasenden Radler gerammt weil man in letzter Sekunde schnallt, dass da was urplötzlich angerauscht kommt. Entgegenkommende Fußgängergrüppchen verteilen sich auf die gesamte Breite des Bürgersteigs, kein Wort der Entschuldigung, wenn sie einen forsch anrempeln, statt rücksichtsvoll für den Moment sich gegenseitig Platz zu machen.

    Autofahrer biegen nach links ab und fahren Fußgänger fast um, die eigentlich beim Überqueren der Strasse vorrang haben. Autosparken auf Fahrradwegen und bringen insbesondere jüngere Radler in Schwierigkeiten. Prinzipiell wird gelogen, dass sich die Balken biegen, wenn man sich über solch' rücksichtsloses und gefährliches Fehlverhaltenbescwert und der Stärkere setzt sich ins Recht. Dem Schwächeren wird verächtlich entgegen gerufen man habe sich vollkommen richtig Verhalten. Bei den einen habe ich den Verdacht, dass sie Kollisionen provozieren um Agressionen abzureagieren, bei den anderen, dass sie weder die Verkehrsregeln noch freiwilig ethische Prinzipien von Rücksichtnahme und friedvollem und menschlichen Umgang miteinander beherrschen und es gibt Opfer, wie zum Beispiel hier geschildert Anfang Mai http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/unfall-in-berlin-tempelhof-radler-bei-kollision-auf-tempelhofer-feld-schwer-verletzt/8120280.html. Der Radler der dabei auf dem Tempelhofer Feld ungebremst in einen Jogger gerast ist, ist an seinen Verletzungen gestorben. Touristen sind übrigens Gäste in einer Stadt, die natürlich auch auf ihre Umwelt Rücksicht nehmen müssen,so wie der Ortsansässige, der freundlich weiterhilft und den Weg weist...

    Das Grossstadtleben als eine allgemeine Kampfzone möchte ich nicht mehr täglich erleben, dabei tun sich nach meiner täglichen Erfahrung weder Fußgänger noch Radler noch Autofahrer als bessere Menschen per se hervor...

  • P
    Patrick

    Als kritische, links/alternativ orientierte Zeitung könnte man einige spannende Fragen stellen, die sich geradezu aufdrängen:

     

    - Warum gibt es heutzutage so viel mehr Radfahrer als früher?

     

    - Wie kommt es, daß Radfahrer häufig auf Gehwegen und in Fußgängerzonen fahren, statt auf der Fahrbahn, wo sie als Fahrzeuge hingehören?

     

    - Ist die Art und Weise, wie der Radverkehr in deutschen Städten in den Straßenverkehr einbezogen wird, zeitgemäß?

     

    - Wenn nein, was sollte man ändern, um die Situation für alle zu verbessern?

     

    Stattdessen ergeht sich die Autorin nur in den üblichen, abgedroschenen Kampfbegriffen.

     

    Peinlich!

  • M
    Michael

    Hehe...ich liebe die Bissreflexe der Rad-Apostel. Wer, wie diese, auch moralisch auf dem hohen Ross zu sitzen vermeint, kann, zumal als Germane, Kritik ganz und gar nicht vertragen.

    Alleine dafuer schon: Chapeau werte Frau Kresta!

  • B
    Besserwessi

    Bitte unbedingt zum Thema Kaffeehauslöwe was schreiben !!

  • H
    hans

    Wer Begriffe wie "Kampfradler" benutzt disqualifiziert sich selbst. Die tausenden Verkehrtoten gehen auf das Konto von Autofahrern, wer in dieser Situation (pseudo-ironisch) gegen Radfahrer hetzt, ist feige und geschmacklos.

    Autofahrer meckern neidgetrieben, weil sie auf ihrem kurzen Weg vom Parkplatz von Radfahrern überholt werden. Der Verbotswahn gegen Radfahrer auf dem Bürgersteig ist absurd: ein Radfahrer nimmt weniger Platz weg als ein Fußgänger. Wenn dann noch rücksichtsvoll und langsam gefahren wird - wo ist das Problem? Ärger gibt es nur, weil CSU/CDU im Auftrag der Autoindustrie permanent gegen Radfahrer hetzen. Das auch noch in der taz lesen zu müssen ist ärgerlich.

  • M
    Maddin

    Lösung: Autos innerorts komplett verbieten und Strassen für Fahrradfahrer reservieren.

  • DM
    Dirk Maier

    Das Problem sind in der Tat für mich die Radler.

     

    Fahre jeden Tag 12 Km per rad zur Arbeit und tue dies in eher gemächlichem Tempo, bin ob der Rücksichtslosigkeit vieler Radler extra auf Nebenstrecken ausgeweichen, doch geht dies vielerorts leider nicht...

     

    Organisationen wie der ADFC vertreten oft nur Autohasser und "Profi(renn)radler"...

     

    Dass "dösige" Fussgänger, isnbesondere Touristen an zweiter Stelle kommen, kommt dazu, aber an 2.ter Stelle wiegesgt.

  • PW
    Peter Wiesner

    Eine Fußgänger-Befragung in Berlin hat ergeben, dass Fahrradfahrer von Fußgängern als größtes Sicherheitsrisiko angesehen werden. Ich kann das nur bestätigen. Deshalb MUSS man sogar von Kampfradlern reden. Zum Thema Radfahrer vs. Fußgänger findet man im Internet fast nur Artikel der Radfahrerlobby, Radfahrgeschäfte, Radfahrerclubs, deren Anwälte etc. Probiert das mal aus....

     

    Die Umfrage:

    http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/fussgaenger/strategie/de/fussgaengerbefragung.shtml

  • J
    Jörn

    Da vergreift sich die Autorin am Wortschatz der ewig gestrigen Fahrradhasser rührt ein wenig Fitness- und Touristenhass hinein und meint damit einen Artikel schreiben zu können.

  • MS
    Martina Schneider

    "Kampfradler-Horde". Schon alleine die Wortwahl hat mich zweifeln lassen, ob ich nicht auf der Seite der Bild-Zeitung gelandet bin.

  • K
    kati

    Nun ja.

    Als Tourist will man vielleicht nicht jeden Tag durch eine Stadt schlendern, sondern auch einmal eine größere Strecke zurücklegen und die Umwelt dennoch direkter mitbekommen, als vom Doppeldeckerbus aus...

  • FH
    Felix Hildebrand

    Nochmal für Alle : Die Autos sind das Problem ! Eine Stadt die nach den Bedürfnissen der Autos zugerichtet wird, wie hier in HH, hat dann irgendwann für Flaneure auch nix mehr zu bieten außer Lärm und Dreck und breite Straßen. Hier in Altona mit demnächst einem Ikea im Zentrum wird der Wahnsinn dann endgültig zum Dauerzustand. Die paar Radfahrer die dann auch noch die Nerven verlieren sind willkommene Gegner. Die aktuelle Debatte, die den Fahrradfahrer als Täter identifiziert geht völlig daneben. Imübrigen stört mich das Gerede von der guten alten Zeit. Das viele Radfahrer modisch danebn sind ist mir lieber als Leute die STOLZ sind auf Ihren Blechpimmel mit mindestens 100 PS. Und Touristen sind herrlich ! Sie beleben eine Stadt, verflucht seid nicht so eingeschränkt.

  • W
    werner

    Liebe Frau Kresta,

    da rühren Sie aber so einiges zusammen, in Ihrem Artikeleintopf:

    Dass die meisten modernen Menschen, auch in ihrer Rolle als TouristInnen, immer geschäftig sein müssen - geschenkt;

    Dass TouristInnen jetzt auch mit dem Rad unterwegs sind - gibt schlimmeres, sollte man meinen.

    Dass für RadfahrerInnen kein Platz ist auf unseren Strassen - ein Misstand, der unbedingt verbessert werden sollte.

    Dass manche RadfahrerInnen über diese Zustände bisweilen die Contenance verlieren - ja, ist mir auch schon passiert.

    Dass Kampfradler ein Kampfbegriff der Auto-hat-Vorfahrt-Lobbyisten ist - klar.

    Dass Sie den Begriff in Ihren Titel bringen: Peinlicher Versuch, LeserInnen zu gewinnen für einen echten "Nulltext".

    Das war nix.

  • IN
    Ihr NameReino

    Sie könnten was den Spaziergänger angeht recht haben.

    Allerdings kenn ich auch die Orte wo es gutes Brot,Wein

    ectera gibt.Kenn jetzt zwar keine Bordsteinschwalben und deren Standorte dafür

    Plätze wo man noch Vögel zwitschern hört und Menschen ausruhen.Das alles mit dem Rad und nicht immer langsam. Nicht nur im Schritt öffnet sich die Welt.

    Gruß reino

  • R
    reblek

    "Auf der Strecke bleibt dabei der ziellos umherstreifende Flaneur." - Er sollte umherschweifen.

    "Sein Fitnessprogramm behauptetet er." - Da stottert jemand.

  • W
    Walker

    Thank you for this article. That's the way it is. Unfortunately.

  • U
    Uhr-Berliner

    Touristen sollten ab sofort nur noch an der Leine ausgeführt werden dürfen. Bei Hunden scheint das ja auch kein Problem zu sein.

  • JS
    Jens Schlegel

    Was gibts denn da zu sehen? Sieht der H und M, der C und A, das Kauhaus, der Vodafone - Shop in Berlin anders aus als der in Stuttgart?

     

    Nein. Aber sie stehen massenhaft zwischen dem was man sehen will. Und es kostet Zeit an ihnen vorbei dahin zu kommen, was wirklich sehenswert ist. Und die schönen Kaffees sind leider auch alles nur noch Ketten. Ja, da schmeckt der Kuchen nach der selben Pappe wie in den Backshops der Nation.

     

    Gibt es Ausnahmen? Klar. Aber die findet der Tourist wenn er langsam läuft auch nicht. Denn da sind sie ja, die O2 shops und BurgerKings die man schon kennt. Und an all denen vorbei, bis zum unbekannten, zu entdeckenden, ja das dauert halt zu lang. Man hat ja nur zwei Wochen Urlaub am Stück Zeit über dafür.

  • RR
    ralf rüpel

    Als ich behutsam auf dem Gehweg (mit Fahrradweg) in die falsche Richtung fuhr, wurde ich schon hasserfüllt angegangen von den "entspannten" Fussgängern. In seiner Kategorisierung ist der Artikel einfach der letzte Schrott. Und Obacht: Nein, werte Dame die die Zeiten wie guter Wein überdauert hat: Ich bin nicht nur Radler, auch wenns schwer vorstellbar ist, ich bin auch Fussgänger. Und über die rücksichtslosen unter ihnen kann ich mich auch aufregen...