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Forscherin über Arbeit in Jobcentern„Vieles nach Sympathie entschieden“

Harter Job im Jobcenter: Die Sozialforscherin Natalie Grimm über die Willkür der Behörden, die durch überlastete Mitarbeiter entstehe.

Einer der begehrteren Ein-Euro-Jobs: Essensausgabe der bei der Tafel für Bedürftige. Bild: dpa
Barbara Dribbusch
Interview von Barbara Dribbusch

taz: Erst vor wenigen Tagen attackierte wieder ein Arbeitsloser eine Mitarbeiterin in einem Jobcenter, diesmal mit einem Hammer. Überrascht Sie so etwas ?

Natalie Grimm: Auch wenn es furchtbar und eine absolute Ausnahme ist, überrascht es mich nicht sehr. Ich war relativ erschrocken von den Interviews, die wir mit Mitarbeitern des Hamburger Jobcenters geführt haben. Das ist schon eine Tortur, die Arbeitsbedingungen dort und wie mit den Leistungsberechtigten umgegangen wird. Insofern überrascht es mich nicht sehr, wenn Leute da mal ausrasten.

In Ihren Interviews mit 15 Beschäftigten des Jobcenters in Hamburg stellten Sie fest, dass es sehr verschiedene Typen von Vermittlern und Sachbearbeitern in den Leistungsabteilungen gibt. Was waren die größten Unterschiede?

Es gibt einige, die sind sehr bemüht, immer das Optimale für die Leistungsberechtigten herauszuholen und sie umfassend und empathisch zu unterstützen. Aber ein Teil der Mitarbeiter steht selbst so unter Druck und empfindet seine Arbeitsbedingungen als so schlecht, dass sie ihren Frust an den Kunden auslassen. Da wird dann viel nach Sympathie entschieden.

Gibt es denn überhaupt so viel Ermessensspielräume?

Ja, zum Beispiel bei der Vergabe von Darlehen oder von Extraleistungen, etwa beim Bezug einer Wohnung oder in der Vergabe von Beschäftigungsmaßnahmen. Es gibt ja sehr gute Maßnahmen, EDV-Schulungen etwa, die sogar mal sechs Monate lang gehen. Oder beliebte 1-Euro-Jobs, etwa bei der Tafel zu arbeiten oder im Pflegebereich.

Bodo Dretzke
Im Interview: Natalie Grimm

Jg. 1978, Ist Diplom-Sozialwirtin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung. Sie forscht zu Arbeitsbedingungen im Jobcenter.

Wird das nicht allen angeboten, auf die es passt?

Die Vermittler haben jeweils mehr als 150 Fälle zu betreuen. Und eine Maßnahme ist immer ein Aufwand. Der Vermittler muss schauen, ob ein Träger Plätze frei hat. Er muss Anträge schreiben, bei der Teamleitung nachfragen. Wenn man so viele Leute zu betreuen hat, dann überlegt man es sich zweimal, ob man das für eine Person macht oder nicht. Dazu muss man auch die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter in den Jobcentern sehen. Sie müssen Kennzahlen erfüllen. Sie bräuchten mehr Zeit für die Kunden, das sagen alle. Wenn sie mehr Zeit hätten, würden sie nicht so selektiv entscheiden.

Unterstellen manche Vermittler, dass die Erwerbslosen gar nicht arbeiten wollen?

Es gibt Mitarbeiter, die sehr streng aktivieren, also die Leistungsberechtigten unter Druck setzen. Diese Vermittler waren häufig selbst auch mal prekär beschäftigt, haben vielleicht mal Sozialpädagogik studiert und sind jetzt über ihren Berufsweg frustriert. Die sagen sich: Ich mache den Job hier auch nicht, weil er mir gefällt, deswegen können die Arbeitslosen auch Dinge machen, die sie eigentlich nicht wollen, wie etwa Zeitarbeit.

Die Beschäftigten in den Jobcentern beklagen auch die ausufernde Bürokratie.

Das ist ein großes Problem. Die Leute erzählten mir, dass wenn sie aus dem Urlaub zurückkommen, sie immer wieder E-Mails vorfinden mit Neuregelungen in den Gesetzen und Anweisungen. Das sollen sie dann irgendwie umsetzen, oft ist die EDV aber darauf noch gar nicht eingestellt.

Viele der Mitarbeiter in den Jobcentern sagen, für einige Kundengruppen gebe es gar keine Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt, weil darunter so viele chronisch Kranke und schwer Vermittelbare sind.

Das beschäftigt alle Befragten in der Studie. Sie sagen: Wir sollen alle integrieren, aber ein Großteil der Kunden kann man nicht einfach so integrieren, für die gibt es nichts auf dem Arbeitsmarkt. Das würde von der Politik zu wenig beachtet. Für diese Kundengruppen müsste es ein anderes System geben, Bürgerarbeit oder Grundeinkommen, meinen die Mitarbeiter in den Jobcentern.

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7 Kommentare

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  • I
    Irmi

    24.05.2013 16:04 UHR

    von LAra Croft:

     

    Lach mich scheckig, da ist jemand gefrustet weil diese I fehlt. Was ein Problem, welch ein Drama.

    Das mit der Frauenquote ist noch nicht ausgeglichen, dann erst wird es automatisch dastehen.

     

    Ne nicht noch mehr Leute die auf dem Stuhl kleben, gut bezahlt unfreundlich sein können,weil sie keiner rausschmeissen kann und uns Steuerzahler dazu verpflichtet denen dann auch noch weit höhere Renten zu zahlen, wie sie ein normaler Rentner bekommt, der weit länger arbeiten muss. Diese Leute vom Jobcenter schicken die Antragsteller dann in ! € jOBS. Sollen sie doch mal diese Jobs machen.

     

    Oder wenn es nur 6 € für einen Job gibt und die Antwort von der Argetante besser als nichts kommt.

    Die interessiert das Argument nicht was dann bei solchen Löhnen für eine Rente bei rum kommt. Kann ich verstehen das da Leute krätzig werden.

     

    Sie schreiben von den Tafeln die unnütz wären würde man Hartz IV so erhöhen, das die Leute davon leben können.

     

    Gebe ich Ihnen recht A B E R es gibt auch viele Leute mit absolut null Bock auf Arbeit, die sich überhaupt nicht bewegen wollen Arbeit zu finden, da soll der Satz bleiben wie er ist. Nur so kommen die auf die Idee wenigstens Flaschen zu sammeln, nicht um die leer zu saufen, sondern dafür Geld zu bekommen und sich Essen kaufen zu können nicht Alkohol.

     

    Ich habe auch kein Verständnis dafür, das es Leute gibt, die ein Kind nach dem anderen basteln um schön Geld zu bekommen

     

    Auch kein Verständnis, wo der Staat den Null Bock Leuten die Miete zahlt Jahre lang, aber die Mieter das Geld nicht weiter leiten wo es hin muss. Und dann noch die Wohnungen versiffen und zerstören und dann abhauen. Solche Leute würde ich ausfindig machen und einsperren, für jeden Euro Mietschulden einen Tag Knast und anschließend verdonnern zur Arbeit in Wohnungen verdonnern, wo auch solche gewohnt haben.

     

    Man muss der Ehrlichkeit halber auch sagen, das es genug Leute gibt, die den Staat voll ausnutzen und darum es kein Wunder ist, wenn es weniger gibt. Aber die normalen Leute sollen besser leben.

     

    Auch Rentner müssen weit mehr Geld bekommen.

     

    Was auch so ein Hirnschuss ist, das Leute die eine erschwingliche Wohnung haben ausziehen müssen, weil der Staat darauf besteht ihnen stünde diese Wohnung nicht zu weil zu groß. Da kommen dann Umzugskosten auf den Staat zu, und die neue Wohnung ist nicht billiger eher teurer, aber wegen unserer Prinzipienreiterei muss der umziehen.

  • W
    Wolfgang

    Auf meine Bewerbung bei der Arbeitsagentur in Berlin, mit meinen Vorraussetzungen als Facharbeiter und Meister: 35 Vollzeitarbeitsjahre, u. a. als Produktionsfacharbeiter-Ausbilder-Lehrgangsleiter etc., bekam ich nach f ü n f Monaten eine schriftliche Absage von der zuständigen BA-Berlin-Mitte: "Sie verfügen über keinen a k a d e m i s c h e n Bildungs-Abschluss ..."

  • W
    Wunder

    Eigentlich ein Wunder, dass angesichts des Unrechtssystems Hartz4 nicht wesentlich mehr passiert...

    Das Bedingungslose Grundeinkommen ist zwingend zu verwirklichen, wenn nicht noch mehr derartige Katastrophen passieren sollen!

  • D
    DerDemokrator

    @LaraCroft

     

    Schön und gut was sie da fordern aber solange der Kapitalismus von Wirtschaftlern als alternativlos angesehen wird, werden allerhöchstens Nuancen verstellt.

    Wenn also Tafeln abgeschafft werden wird mehr Polizei benötigt um Randale wg. zu geringer Sozialunterstützung zu verhindern.

    Dabei werden sich dann Normalbürger und Mittellose feindlich gegenüber stehen, keinesfalls die Verursacher dieser Kahlschlagpolitik genannt "Globalisierung".

     

    Ciao

    DerDemokrator

     

    P.S. Auch der mündige Bürger steht in Verantwortung wenn er statt Trigema-Unterwäsche, Kik-Klamotten kauft, vor allem wenn er sich Besseres leisten kann.Ich sehe verdammt häufig Luxuskarossen vorm Aldi.

  • LC
    LAra Croft

    Die Kritik der Sozialforscherin Natalie Grimm greift zu kurz und ist zu unpolitisch.

     

    Man muss endlich die Strukturen verändern, deren Fundament ursprünglich ausgerechnet von Rot-Grün auf Bundesebene gelgt wurde.

     

    Die Überlastung der Jobcenter-Mitarbeiter ist politisch gewollt. Sie könnte sofort abgeschafft werden, in dem die Jobcenter mehr Leute einstellen.

     

    Schöner Nebeneffekt: Das würde auch die Zahl der Arbeitslosen reduzieren.

     

    "Die Sozialforscherin Natalie Grimm über die Willkür der Behörden, die durch überlastete Mitarbeiter entstehe."

     

    Die Jobcenter-MitarbeiterInnen (es sind größtenteils Frauen, liebe taz, wieso führt ihr nicht endlich flächendeckend das große "I" ein, ich fühle mich als Frau von der einseitigen männlichen Sprachfrom nie angesprochen) haben meist selbst nur Zeitvertröge, dadurch werden sie selbst in Angst gehalten und sind für die Aufforderung, die Arbeitslosen auch mal grundlos durch existenzgefährdende Sanktionsmaßnahmen (existenzgefährdende Hartz-IV- Geldkürzungen) "zugänglicher".

     

    Durch diese Kürzungen, die gegen die Menschenrechte verstoßen, spart die Bundesregierung Millionen Euro auf Kosten der Ärmsten ein. Gleichzeitig hat der bundestag mehrheitlich über 700 Milliarden Steuergelder, ohne Bedingungen zu stellen, den Zocker-Bankenbanken zugeschustert, die uns die Finanzkrise eingebrockt haben. Gestz Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM).

     

    Alle Parteien müssten sich endlich für die Abschaffung der demütigenden rot-grünen Hartz-IV-Gesetze einsetzen, auf deren Grundlage die Menschen in Deutschland massenhaft in Dumpinglohn-Jobs gezwungen werden, - egal wie gut ihre berufliche Qualifikation ist !

     

    Das psychologisch und politisch audgeklügelte Ausbeutungs-Hartz-IV-System macht die Menschen kaputt, sowohl die die im Jobcenter arbeiten, als auch die die auf der anderen Seite des Behördentisches stehen, die sich mit der Behördenwillkühr herumschlagen müssen.

     

    Arbeit im Pflegebereich muss anständig bezahlt werden, Ein Euo Jobs müssen u.a. in diesem Bereich verboten werden !

     

    Die sogenannten Tafeln, die Armutsküchen, mit denen u.a. die reichen Kirchen sowie PolitkerInnen auch noch auf Kosten der Armen ihr Image aufbessern, müssen abgeschafft werden. Supermärkte sparen Mio. Euro Entsorgungskosten durch die Tafeln, die ihnen kostenlos die abgelaufenen Lebensmittel abnehmen.

     

    Die Tafeln werden sofort überflüssig, wenn die Hartz-IV-Sätze und Renten endlich so erhöht werden, dass sie existenzsichernd sind !

     

     

    Genug Geld dafür ist da:

    Milliarden Gelder der Krankenversicherten verschwinden z.B. jährlich im Korrumptionssumpf, in dem Ärzte und Pharmaindustrie abzocken. Bauprojekte wie Stuttgart 21 sind Milliardengräber.Die banken müssen für ihre teuren Fehler selbst bezahlen, anstatt die SteuerzahlerInnen.

  • EI
    es ist nicht leicht, dennoch

    Mir hat mein Job auch nicht gefallen, weil so heftig über Jahre gemobbt wurde, Gewinner waren immer die Mobber, weil die GL nichts unternommen hat. Dennoch hat das nie ein Kunde zu spüren bekommen.

     

    Das Dümmste was man gemacht hat, war den Herrschaften in den A-Agenturen auch noch den Sozialbereich aufs Auge zu drücken. Ein Jahr bevor diese Aufgabe übernommen werden sollte, wurde das Personal "geschult", aber ohne vorher die Programme kennengelernt zu haben, erzählte eine Exmitarbeiterin. Sie fühlen sich total überfordert, weil man vieles schon wieder vergessen hat. Es gibt wohl auch Leute,wenn es um Geld aus dem Sozialtopf geht, tatsächlich richtig aggressiv werden.

     

    Es gibt Mitarbeiter, die psychisch richtig fertig sind, sie werden immer wieder bedroht, das sind Leute die wohl sehr genau wissen, was man aus dem Staat rausholen kann und wehe sie bekommen es nicht, da geht die Post ab. Ich kann mir nicht vorstellen, das Einheimische sich derart aufführen.

     

    Wer permanent solch aggressiven Leuten ausgesetzt ist, da sollten dazwischen Freitage sein um sich erholen zu können und vor den Zimmern müssen Wachleute stehen. Sobald da einer meint laut werden zu dürfen, Sachen in die Ecke pfeffern oder so, er/sie disziplinarische Folgen spüren muss, und wenn es drastische Geldkürzungen sind, oder verschieben von Anträgen, bis der Typ gelernt hat wie man sich zu benehmen hat.

     

    Es müsste in den Behörden das Personal immer wieder geschult werden, Kurse wie bleibt man ruhig, evt. Selbstverteidigung wegen der Agris. Alle müssen lernen mit den Leuten die vor ihnen sitzen nicht umzuspringen wie mit Bettlern.

     

    Schlecht an der Sache, die oberundreundlichen Leute werden auch nicht entlassen, da sie leider unkündbar sind.

  • D
    DerDemokrator

    Die Bürokratie scheint momentan alles irgendwie an die Wand zu fahren:

    Ärzte die mehr Zeit mit dem Ausfüllen von Formularen verbringen müssen als mit ihren Patienten

    Ehrenamtliche denen bei der Ehrenamtsarbeit mißtraut wird.

    Normal Jobsuchende die Sklavenjobs annehmen müssen um nicht gesperrt zu werden

    Langzeitarbeitslose mit hoher Bildung die zu Hilfsarbeiterjobs gezwungen werden

    Banken die ihr Personal gegen nicht funktionierende Bankmaschinen austauschen ...

     

    Diese Negativbeispiele lassen sich beliebig fortsetzen,ich habe nur solche aufgezählt die mich in letzter Zeit selbst irgendwie betrafen.

     

    Ciao

    DerDemokrator

     

    P.S. Veröffentlicht mal mehr Leserkommentare, schließlich sind wir Leser diejenigen für die ihr arbeitet ;-)