Syrien-Konferenz in Istanbul: Streit unter Oppositionellen
Seit einer Woche debattiert das größte Oppositionsbündnis über die Aufnahme neuer Mitglieder. Aktivisten aus Syrien sind sauer.
ISTANBUL taz | Mehr Frauen, mehr Aktivisten und mehr Liberale, so wünschen sich die regionalen und westlichen Unterstützer die syrische Opposition. Darum streitet seiner einer Woche die Nationale Koalition (NK), das größte Oppositionsbündnis, in Istanbul.
Nun ist etlichen Aktivisten in Syrien der Kragen geplatzt. In einer geharnischten Erklärung kritisierten vier Gruppen, die unter dem Dach der zivilen Lokalen Koordinationskomitees vereinigt sind, die in Istanbul versammelte NK-Führung. Seit Monaten hätten sie auf konkrete Schritte der NK gewartet, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Text. Aber die NK sei ihrer Verantwortung, auf organisatorischer, politischer und humanitärer Ebene die Führung zu übernehmen, nicht gerecht geworden.
Täglich werden in Syrien Dutzende von Personen getötet, mehr als 1,5 Millionen Syrer sind in die Nachbarländer geflohen und bis zu 4 Millionen im Landesinnern auf der Flucht. Gleichzeitig ist das Regime von Baschar al-Assad militärisch auf dem Vormarsch. Die libanesische Hisbollah hat den syrischen Aufständischen den Krieg erklärt. Und in Istanbul streiten sich Männer – und einige Frauen –, die niemand gewählt hat, seit einer Woche übe einen einzigen Punkt: die Erweiterung der NK.
Auch die Unterstützerstaaten sind sich uneins
Davon hängen alle Entscheidungen ab, wie die Teilnahme an der sogenannten Genf-2-Konferenz, die Wahl einer neuen NK-Führung und einer Interimsregierung. „Verantwortungslos“ nannte ein Mitglied der NK-Führung, das zwischen den Fraktionen vermittelt, das nunmehr schon einwöchige Gezerre.
Das syrische Oppositionsbündnis steht seit seiner Gründung im November 2012 in Katar unter Druck, seine Basis im Lande selbst zu erweitern. Dieser Druck ist vor der sogenannten internationalen Friedenskonferenz, die Mitte Juni stattfinden soll, noch einmal gestiegen. Angesichts des Zulaufs, den islamistische Extremisten in den vergangenen Monaten erhalten haben, wollen die Unterstützer, dass die Opposition ein deutliches Zeichen an die Minderheiten und die säkular eingestellten Syrer setzt.
Das Dilemma ist freilich, dass sich die Unterstützer untereinander nicht einig sind. Dabei stehen sich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und der Westen auf der einen und Katar auf der anderen Seite gegenüber. Die Saudis wollen mit allen Mitteln den Einfluss der Muslimbrüderschaft schwächen. Teilnehmer berichten von regelrechter Erpressung.
Liberale oder Muslimbrüder?
Die Saudis hätten mit der Einstellung von Geldzahlungen und Waffenlieferungen gedroht, sollte ein offenbar auch von Riad unterstütztes Bündnis um den bekannten Autor Michel Kilo nicht in die NK aufgenommen werden. Kilo, der aus einer christlichen Familie in Lattakiya stammt, genießt auch die Unterstützung der Europäer, allen voran der Franzosen. Von seiner Liste mit 22 Personen haben bei einer Abstimmung Anfang der Woche jedoch nur 6 die Aufnahme in die NK geschafft.
Katar wiederum steht hinter Mustafa Sabbagh, Muslimbruder und Generalssekretär der NK. Sabbagh würde mit Stimmenkauf die Abstimmung manipulieren, kritisieren Teilnehmer. Am Mittwochnachmittag trat überraschend der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu auf der Konferenz auf, Katar und Saudi-Arabien schickten ebenfalls Vertreter. Es ist der letzte Versuch, das Bündnis zu retten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein