Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Hegemonie mit Jacuzzi
Es ist der Rentnertraum: An Spaniens Küste dem scheußlichen Wetter im Norden ein Schnippchen schlagen. Doch auch dort hat Tristesse ein Zuhause.
M eine Cousine Clara und ihr 20 Jahre älterer Mann Hans haben in Ciudad Quesada an der Costa Blanca – laut Werbeprospekt im „besten und schönsten Ferienort von Europa“ – ein Reihenhaus. Zwei Terrassen, Pool, Jacuzzi in einer ordentlichen Urbanización mit Mülltrennung.
Eigentlich wollten sie dort wegen des milden Klimas überwintern. Doch im Winter ist es so trist, dass sie nur noch im heißen Sommer für drei Monate hinfahren. Den Rest des Jahres verbringen sie in ihrer bescheidenen 2-Zimmer-Eigentumswohnung in Kassel.
Sie träumten vom Süden und machten sich wie die Bremer Stadtmusikanten auf die Suche nach einem guten Platz zum Leben. Selbstverwirklichung nach der Pensionierung als mobile Altersmigranten am Mittelmeer.
Inzwischen wollen sie verkaufen, trotz fallender Immobilienpreise in Spanien. Aber den Russen, die am meisten geboten haben, will Clara ihr Reihenhaus mit den Buddhas im Garten und der Miele-Waschmaschine nun doch nicht überlassen.
ist Reiseredakteurin der taz.
Die Russen – das sind Eindringlinge in der europäischen Rentner-Internationalen am Mittelmeer. „Die benehmen sich schlecht“, meint Clara.
Dabei haben ihre ab mittags Bier trinkenden Nachbarn –Engländer – auch keinen guten Ruf. Viel anfangen können sie ohnehin nicht miteinander:
Die Engländer spielen Golf und Bridge; Hans und Clara spielen Tennis und Doppelkopf. Und: Die Engländer könnten keinen Galan de Noche von einem Oleander unterscheiden, behauptet die immer gärtelnde Clara.
Kultureller Höhepunkt für Deutsche, Engländer, Norweger, Niederländer, Russen ist der Einkauf im Shoppingcenter. Die schießen wie Pilze aus dem Boden. Dort findet man alles, nur die spanische Krise findet man nicht wirklich. Dort tobt das pralle Leben. Auf Englisch und beim Billigchinesen.
Clara kauft ihren Rioja bei Aldi, Hans schwört auf die Lidl-Grillzange und den Carlos I. Ihr Traum vom spanischen Lebensstil dank Aldi und Lidl. Die haben die kulturelle Hegemonie an der Costa Blanca, die Engländer die Sprachhegemonie und die Russen das meiste Geld.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Prozess zum Messerangriff in England
Schauriger Triumph für Rechte
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
Tarifverhandlungen bei Volkswagen
VW macht weiterhin Gewinn
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los