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Ende eines BuchvertriebsRestposten der Anarchie

Die Vertriebs-Föderation Anares in Bremen war lange mehr als ein Buchvertrieb für anarchistische und gesellschaftskritische Literatur. Seit einiger Zeit wurden die Bestellungen weniger, bald ist es vorbei.

Klima-neutral - und bald weg: Der Buchvertrieb Anares von Gerald Grüneklee. Bild: Michael Bahlo

BREMEN taz | Gerald Grüneklee schiebt die graue Feuerschutztür auf, dahinter folgt noch eine Metalltür und dann noch eine. Es ist, als wäre er in den Untergrund gegangen. Um zu seinen Büchern zu gelangen, kämpft er sich durch einen dunklen Gang. Hinter den drei Kellertüren lagert das Rest-Sortiment des Anares-Buchvertriebs: Anarchismus, Mao, Sticker, Noam Chomsky.

2006 schloss das Ladengeschäft von Anares in Bremens Szeneviertel Steintor. Seitdem bearbeitet Grüneklee die Buchbestellungen aus dem Kellergeschoss eines Ärztehauses im dörflich geprägten Bremer Stadtteil Borgfeld. Bis Ende des Jahres soll es noch weitergehen. Danach ist Schluss.

Grüneklee wandert vom Karton mit Antimilitarismus zum Regalbrett mit Ökologie. Über 20.000 Titel hat Anares gelistet. Herbert Marcuses „Kultur und Gesellschaft I“ in Violett, „Vietnam – Genesis eines Konflikts“ in Giftgrün, Marx und Bakunin, daneben „Anfänge der chinesischen Arbeiterbewegung 1919–1926“ oder „Vorschläge jenseits der Lohnpolitik“. Einige Bücher sind mehrfach eingelagert, viele überhaupt noch nicht katalogisiert. „Für eine Urlaubsvertretung müsste ich zwei Tage lang aufräumen“, sagt Grüneklee. Auf der Anares-Website wirbt er noch damit, dass man für Lagerbesuche Termine abmachen kann. Seit Monaten war niemand mehr da.

Der kühle Raum duftet zart nach altem Papier. Kaum Feuchtigkeit und nur wenig Tageslicht dringt durch die vergitterten Kellerluken. Für Bücher ist das gutes Klima. Neon-Röhren springen an. Die Bodenkacheln sind kaum zu sehen, zwischen den Holzregalen türmen sich beschriftete Bananenkartons und Versandkisten aus gelbem Plastik, überall ragen Stapel empor, ein Labyrinth aus Büchern, Burgen aus Büchern. Eine Ruine.

Anares, das war einmal mehr. 1975 startete der „Freiheitliche Buchvertrieb“ als Vorläufer in Gummersbach, 1985 gründete sich die Anares-Förderation. Es wuchsen anarchistische Vertriebsgruppen in Köln, Mannheim, Stuttgart, Wien und Bern.

Seit 1990 ist Grüneklee dabei. Aus Hannover belieferte er die Postleitzahlen-Bereiche 1, 2, 3 und die DDR, war Ansprechpartner für anarchistische Verlage im Norden, organisierte libertäre Buchmessen. Mit dem Trotzdem-Verlag kooperierte Grüneklee 1995 für die Herausgabe der Neuauflage von Michael Bakunins „Gott und der Staat“, später für Paul Lafargues „Das Recht auf Faulheit“ oder „Das ABC des Anarchismus“.

Anares sollte anarchistische Ideen verfügbar machen, Texte wurden gesucht und verbreitet, über 50 Ausgaben der eigenen „Anares-Infos“ entstanden. In einer Zeit, als die Barsortimente der Großhändler noch nicht so allumfassend waren, gab es viele linke Titel nur bei Anares. Die dezentrale Föderation war selbst Großhändler für Infoläden und Büchertische. Bulliweise kaufte Grüneklee Restbestände direkt von linken Verlagen, war Antiquar, Autor und Herausgeber. Nicht immer wurden alle Rechnungen beglichen, Anares machte Schulden. Ende der Neunziger schläft die bundesweite Förderation ein, Grüneklee macht in Bremen weiter.

In seiner Büroecke im Keller legt Grüneklee einen Zettel auf einen Haufen aus anderen Zetteln, der ihm fast bis zur Brust reicht. „Bestellschein, Rechnung, alles überprüfen und dann in die Versandtasche“, sagt er. An der Betonwand über dem Schreibtisch hängt ein Poster, darauf eine Frau in einer Sommerallee. „Wer Bücher liest, entdeckt andere Welten“, so der Spruch. Darunter steht ein Rondell mit Stempeln: „Büchersendung“, „Bitte nicht knicken“, einer mit politischer Botschaft: „Gedanken sind der Anfang von Taten“.

Und dann noch ein Stempel, den Grüneklee auf gebrauchte Versandtaschen drückt: Der Spruch erklärt, warum es ökologisch Sinn macht, alte Briefumschläge wieder zu verwenden. Der Vertrieb von Anares ist klimaneutral und war eine der ersten Einrichtungen überhaupt, die vom Kaffeekocher bis zur Heizung auf den CO2-Ausstoß durchgeprüft wurde. Ein Alibi? Grüneklee hat es auf der Website erklärt: „Die Wachstumsmaschine muss durchbrochen werden – oder der ungezügelte Kapitalismus schafft die Erde ab.“

Ein paar Sachen verkauft Grüneklee nicht. Esoterik oder Militaria, die wären lukrativ, aber er verzichtet. „Man kann es verrückt nennen oder konsequent“, sagt er. Einmal hat eine NPD-Ortsgruppe ein Buch von Mao bestellt.

Grüneklee schlendert wieder hinter eines der Regale. „Es läuft nicht so dolle“, sagt er. „Schnellstmöglich Bücher einscannen und versenden? Da kann ich mich auch in der Fabrik ans Band stellen“. Klar sei er frustriert, „wie soll es auch anders sein, wenn man so ein Projekt einstellt?“

Als Leseratte und politischer Mensch war er auf das Anares-Projekt gestoßen. Ihn fasziniert das Buch als Medium, auch dessen Ästhetik. Nachdem sein Sohn geboren wurde, suchte er etwas, womit er ökonomisch und arbeitsorganisatorisch flexibel war. „Nach dem Mauerfall war klar, dass wieder eine nationalistische Stimmung aufkam.“ Sein Engagement bei Anares sei „Teil der Intervention gegen Nationalismus“ gewesen. Er ist Schöpfer des Slogans „Anarchie statt Deutschland“. Als Aufkleber hat er ihn verbreitet. Der Spruch wurde ein Renner. „Das erste Kapital, außer den Kosten für die Aufkleber, waren 50 Mark für eine Anzeige in der taz.“

Bislang konnte sich Grüneklee von den Verkäufen noch ernähren. Aber es werde immer enger. Durch das Internet seien die Preise bei Antiquariaten ohnehin eingebrochen, auch auf dem Neubuchmarkt spricht Grüneklee von einer „Amerikanisierung“. Und Solidarkäufe? „Das ist ein wunder Punkt“, sagt er, die gebe es seit den 80er-Jahren kaum noch, im Gegenteil: „Die Leute folgen einem Bequemlichkeitsdenken und nicht dem politischen Bewusstsein“, sagt er. Es ärgert ihn.

Bei Bestellungen, die über die Website ZVAB für antiquarische Bücher bei ihm eintreffen, fallen ihm oft Namen von Leuten auf, die selbst gegen die „Neoliberalisierung“ anschreiben. „Warum fragen die nicht direkt, ob wir ein Buch da haben?“ Bis in die 90er-Jahre hätten gute Bücher noch gute Preise gehabt. Heute herrsche eine Zockermentalität. „Es gibt keine Kollektivität mehr, nur noch Individuen, die ein Buch bestellen“, sagt Grüneklee, der Anarchist.

Zu Ende ging es mit dem Ladengeschäft allerdings aus profaneren Gründen. Bei Veranstaltungen war die Bude voll, Lesungen fanden statt, politische Vorträge. Von manchen Bekanntschaften, die im Laden entstanden, habe er erst viel später erfahren. Aber dann kam 2004 eine Baustelle, ein halbes Jahr lang wurde die Straße aufgerissen. „Danach kam der Laden nicht wieder richtig ins Laufen.“ Um nun vom Stadtzentrum nach Borgfeld zu gelangen, dauert es eine halbe Stunde.

„Wir sind immer noch der Buchvertrieb mit dem umfassendsten anarchistischen Sortiment“, sagt Grüneklee. Die Website wurde vor ein paar Jahren noch mal neu gestaltet, eine Genossenschaft sollte geschaffen werden. Es wollte nicht klappen. Bücher verlegen will er weiterhin, einmal kommt noch ein Anares-Katalog in gedruckter Form, eine Bibliografie anarchistischer Bücher. Das ist dann der Abschied.

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4 Kommentare

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  • S
    SchwarzerKater

    Schade drum... :/ Aber leider sind Bücher halt auf dem absteigenden Ast. Und Bücher für Randgruppen erst recht.

     

    Ich werd nochmal im Laufe des Herbsts bestellen,

     

    solidarische Grüße,

     

    J.

  • M
    Malatesta

    was für dumme kommentare. Wo sich doch schon auf eine libertär-emanzipatorische geschichte bezogen wird: Max Stirner, Michail Bakunin, Peter Kropotkin, Errico Malatesta, Alexander Berkman, Emma Goldman, Erich Mühsam, Rudolf Rocker - alles "Massenmörder"? Die libertären bewegungen sind im gegensatz zu vielen leninistischen, maoistischen etc. strömungen egalitär und herrschaftskritisch, mithin auch eine alternative zum barbarischen, zerstörerischen kapitalismus, auf die sich zu besinnen lohnte (was hier und da in den letzten jahren selbst bürgerliche feuilletons schon bemerkten). Insofern entsprechen doch wohl weder antikapitalistische noch vulgärkommunistische kommentare der intention und den aussagen des textes. Besser nochmal lesen!

  • R
    Raschkralle

    @vschmidt: (Lenin, Trotzki, Mao,etc.) ist eine hübsch willkürliche Aufreihung, aus der vor allem eines spricht: ihr Antikommunismus der eine Beschäftigung mit Geschichte bei ihnen zu ersetzen scheint. Nun denn, glauben sie ruhig weiterhin an die "Gesetze des Marktes", seien sie glücklich mit dem "Markt" und ignorieren sie ruhig, dass an den Folgen der weltweiten kapitalistischen Vergesellschaftung und der "Inwertsetzung" nahezu aller Lebensgrundlagen täglich mehr Menschen sterben als Alle, die im Namen des Sozialismus/Kommunismus zu "Massenmördern" wurden, je an täglichen Opfern zu verantworten gehabt hätten, selbst nach den aufgeblähesten Greuelmärchen westlicher AutorInnen. By the way: Stalin hat auch ziemlich viel geschrieben, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Pol Pot übrigens auch. Aber um diese beiden Autoren statt ihrer ahistorischen Dreierreihung genannt hätten, braucht es vielleicht schon etwas reale Kritik an Fehlentwicklungen in staatssozialistischen Ländern. Damit möchte ich Sie nicht überfordern.

  • V
    vschmidt

    Manchmal ist es ja schon beruhigend, dass die Gesetze des Marktes nicht ignoriert werden können. Zudem ist es erfreulich, dass das allgemeine Interesse an Literatur zurückgeht, die von Massenmördern verfasst wurde (Lenin, Trotzki, Mao,etc.).