Politologe über Steinbrücks Kompetenzteam: „Keine inhaltliche Botschaft“
Das Kompetenzteam von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist komplett. Politikforscher Timo Grunde vermisst mutige Personalien.
taz: Herr Grunden, Peer Steinbrücks Kompetenzteam steht. Was sagt uns das nunmehr komplette Personaltableau?
Timo Grunden: Es gibt im Team verdiente Parteipolitiker, die er berücksichtigen musste. Aber auch erstaunlich viele Seiteneinsteiger, mit denen er demonstrieren will, dass er Unabhängigkeit und Sachkompetenz schätzt.
Steinbrück hat sein Team in vier Chargen vorgestellt. Ist das kluge Aufmerksamkeitsökonomie oder nerviges News-Generieren?
Wenn er das gesamte Schattenkabinett auf einmal vorgestellt hätte, wäre das für einen Tag eine Nachricht gewesen, aber auch keine besonders große. Von den zwölf Leuten hätte niemand gezielt Aufmerksamkeit bekommen. Insofern ist es richtig, das auf mehrere Termine zu strecken und so nach dem Wäscheleinen-Prinzip immer wieder neue Nachrichten zu schaffen.
Sind Sie überrascht worden?
Nein. Es gibt jetzt niemanden im Team, von dem man sagen könnte, er oder sie ist eine mutige Entscheidung. Steinbrück hat es leider nicht geschafft, mit seinen Nominierungen auch eine inhaltliche Botschaft zu verknüpfen, jedenfalls keine, die besondere Aufmerksamkeit erzeugt.
38, ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Regieren an der Universität Duisburg-Essen. Zurzeit lehrt der Politikwissenschaftler an der Universität Gießen.
Am Montag gab der SPD-Kandiat die letzten drei Mitglieder seiner aus sechs Frauen und sechs Männern bestehenden Wahlkampfmannschaft bekannt. Die Investmentbankerin und frühere saarländische Finanzministerin Christiane Krajewski übernimmt in seinem Kompetenzteam das Thema Wirtschaft. Für die Entwicklungspolitik soll Cornelia Füllkrug-Weitzel zuständig sein, die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt. Für die Kulturpolitik holte Steinbrück Oliver Scheytt in sein Team. Der 55-Jährige ist Geschäftsführer der Ruhr.2010 GmbH, die das Ruhrgebiet 2010 mit Essen als Europäische Kulturhauptstadt präsentiert hatte.
Die anderen Mitglieder des Kompetenzteams hatte Steinbrück schon zuvor ernannt:
Gesche Joost (Internet): Die 1974 geborene Kielerin ist Professorin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin.
Yasemin Karakasoglu (Bildung): Die 48-Jährige hat türkische Wurzeln und ist Konrektorin für Interkulturalität an der Bremer Uni.
Karl Lauterbach (Gesundheit): Der 50 Jahre alte Politiker mit der Fliege ist der Gesundheitsexperte der Bundestagsfraktion.
Matthias Machnig (Energie/Umwelt): Der 53-Jährige ist derzeit Wirtschaftsminister in Thüringen und managte den SPD-Wahlkampf 1998.
Thomas Oppermann (Innen/Recht): Der 59-jährige Parlamentarische SPD-Fraktionsgeschäftsführer gilt schon lange als ministrabel.
Florian Pronold (Verkehr/bezahlbares Wohnen): Der 40 Jahre alte Karrierepolitiker ist SPD-Chef in Bayern und Verkehrsexperte der Bundestagsfraktion.
Manuela Schwesig (Frauen, Familie, Aufbau Ost, Demografie): Die 39-jährige Sozialministerin Mecklenburg-Vorpommerns profiliert sich seit Jahren auch auf der Bundesebene.
Klaus Wiesehügel (Arbeit): Der 60 Jahre alte Chef der Gewerkschaft IG BAU war ein Kritiker der Agenda-2010-Reformen von Gerhard Schröder und soll nun als Bindeglied zu den Gewerkschaften fungieren.
Brigitte Zypries (Verbraucherpolitik): Die 59-Jährige Juristin war von 2002 bis 2009 bereits Bundesjustizministerin. (dpa/rtr)
Aber ist nicht zum Beispiel Gesche Joost als Fachfrau für Netzpolitik ein starkes Signal?
Das stimmt, sie ist eine interessante Person. Aber sie hat keinen Ressortposten, der wahlentscheidend sein wird. Für einen größeren Effekt hätte sie ein anderes Ressort gebraucht, zum Beispiel Wirtschaft oder Forschung und Technologie.
Warum fehlt im Kompetenzteam der Bereich Außenpolitik/Verteidigung?
Außenpolitik ist in der Kanzlerdemokratie immer Chefsache. Außerdem ist auf diesem Feld für die SPD nichts zu gewinnen. Kein amtierender Kanzler wurde jemals auf dem Feld der Außenpolitik geschlagen. Und dass Verteidigungspolitik im Wahlkampf eine große Rolle spielen wird, denke ich eher nicht.
Jetzt, wo das Personal steht – wie könnte der SPD-Wahlkampf nun Fahrt aufnehmen?
Die SPD kann die Wahlen nur bei den Wählern zu Hause gewinnen, mit Themen aus ihrer Lebens- und Arbeitswelt. Außerdem muss die SPD-Kampagne endlich die Stärken ihres Kandidaten ausspielen. Steinbrück ist ein Kandidat, der auch konservative und liberale Wähler der sogenannten Mitte ansprechen kann. Denn der einzige schwarz-gelbe Trumpf ist momentan doch nur die Kanzlerin. Doch die Kampagne, die jetzt für Peer Steinbrück gemacht wird, wäre eigentlich eine für Hannelore Kraft. Steinbrück ist kein Kandidat, der glaubwürdig soziale Gerechtigkeit personifiziert. Andererseits: Schwarz-Gelb kann ihn eben auch nicht als naiven Poesie-Sozialisten abstempeln. Er könnte für seriöse Wirtschafts- und Finanzpolitik stehen, während andere Sozialdemokraten das Thema Gerechtigkeit bearbeiten.
Was sagen Sie – wie relevant sind Schattenkabinette für Wähler?
Das ist nicht so wahnsinnig bedeutend. Aber es ist wichtig, dass einzelne Personen dabei sind, die Stärken repräsentieren, die der Kanzlerkandidat selber nicht hat. Und da sehe ich nicht die nötige Reibung.
Hätte Steinbrück den Termin der Präsentation besser schieben und an diesem Krisentag zu den Hochwassergeschädigten zu fahren, um „am Gummistiefelwettbewerb“ teilzunehmen?
Das so zu formulieren, war dumm von ihm. Trotzdem kann er sich jetzt nicht auf einen Wettbewerb um das beste Krisenmanagement einlassen. Die Kanzlerin, die Ministerpräsidenten können das. Der Kanzlerkandidat nicht, weil ihm sofort Wahlkampf-Kalkül unterstellt würde. Dies ist die Stunde der Exekutive. Für solche Fälle hat man schließlich eine Regierung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen