: Der Kunst dienen
ZEITGESCHICHTE Die „Monuments Men“ waren Soldaten der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, die Kulturgüter suchten und schützten. George Clooney dreht derzeit einen Film über sie in Babelsberg
VON MICHAEL SONTHEIMER
George Stout kam am 21. Mai 1945 in Altaussee an. In dem etwa fünfzig Kilometer östlich von Salzburg gelegenen Dorf begab sich der Oberleutnant der U. S. Army, im zivilen Leben Kunstrestaurator, umgehend in den Schacht des Salzbergwerks.
Der Eingangsstollen war provisorisch freigeräumt. Was Stout mehrere hundert Meter tief im Berg sah, durch Karbidlampen nur spärlich erleuchtet, übertraf alle seine Erwartungen: Stollen für Stollen gefüllt mit Kunstwerken, viele davon Stücke von kaum schätzbarem Wert.
Versteckt im Bergwerk
Die verschollenen Gemälde „Der Astronom“ und „Maler in seinem Atelier“ von Jan Vermeer fanden sich hier, Michelangelos „Brügger Madonna“ – allesamt im besetzten Westeuropa von Deutschen geraubt und für das „Führermuseum“ in Linz vorgesehen. George Stout, einer der „Monuments Men“, wie die Kameraden seine Einheit nannten, konnte insgesamt 6.577 Gemälde erfassen, die in dem Bergwerk den Krieg weitgehend unbeschadet überstanden hatten.
Anfang dieses Monats begann George Clooney in Babelsberg mit den Dreharbeiten für „Monuments Men“. Er führt Regie und hat auch das Drehbuch geschrieben. Zu behaupten, der Film sei prominent besetzt, wäre Understatement. Clooney höchstselbst spielt eine tragende Rolle, Cate Blanchett ist dabei, Matt Damon, Bill Murray, Jean Dujardin, John Goodman. Der Film, der Anfang nächsten Jahres in die Kinos kommen soll, ist einer jener Filme, die einen ganzen Strauß von Nominierungen für die Oscars erwarten können.
Großes Kino braucht Helden, und Krieg bietet stets dramatische Filmstoffe. Noch besser ist es, wenn die Helden nicht töten und zerstören, sondern schützen und bewahren: inmitten totaler Destruktion Schönes bewahren. Kulturdenkmäler, Gemälde, Goldschätze. Genau dies ist die Geschichte der Monuments Men. Der vollständige Name ihrer weitgehend unbekannten Einheit lautete, übersetzt: „Sektion Denkmäler, Schöne Künste und Archive“. Von 1943 bis zur Auflösung 1951 gehörten der Abteilung insgesamt 345 Männer und Frauen aus 13 Ländern an.
Eine Monografie über diese untypischen Soldaten im Kampf gegen Nazi-Deutschland fehlte lange. Die beiden US-Amerikaner Robert M. Edsel und Bret Witter haben sie 2009 vorgelegt, jetzt erscheint im Residenz Verlag die 541 Seiten starke deutschsprachige Übersetzung.
Die Geschichte der Kunstschützer in Uniform begann am 20. Dezember 1941. An diesem Tag, zwei Wochen nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor, versammelten sich im Metropolitan Museum of Art in New York Museumsdirektoren, Kuratoren und Restauratoren, 44 Männer und 4 Frauen. Sie sprachen darüber, ob und wie sie die eigenen Museen gegen Angriffe schützen sollen.
George Stout, ein Restaurator des Fogg Art Museum, zeigte Dias der leergeräumten Londoner Museen; und aus dem Rijksmuseum in Amsterdam: die Bilder an der Wand aufgestapelt, Rembrandts „Nachtwache“ aus dem Rahmen genommen und wie ein Teppich zusammengerollt. Die Versammelten verabschiedeten eine Resolution, in der die Kunst „als sichtbarer Beweis für das Handeln freier Geister“ gepriesen wird.
Ein halbes Jahr später schrieb George Stout ein wegweisendes Papier: Die Sicherung von Baudenkmälern und Kunstwerken, prognostizierte er darin, werde „die Beziehung zwischen den einmarschierenden Armeen und den Bewohnern dieser Länder und Regierungen beeinflussen“. Und weiter: „Durch den Schutz dieser Kulturgüter bezeugen wir Respekt für den Glauben und die Bräuche dieser Völker und zeigen, dass sie nicht nur einem bestimmten Volk, sondern zum Erbe der gesamten Menschheit gehören.“ Sein Vorschlag, dafür „Spezielle Einsatzkräfte“ zu bilden, fand zunächst keine groß Resonanz.
Im Verlaufe des Krieges zeigte sich, dass der Umgang mit Kulturdenkmälern weniger auf dem Schlachtfeld von Bedeutung war als für die Propaganda. Nachdem die Alliierten südlich von Rom die wunderschöne Abtei auf dem Monte Cassino, bei der sich die Deutschen eingegraben hatten, bei Luftangriffen pulverisiert hatten, denunzierten Deutsche und Italiener sie als Barbaren. Auch ein Sprecher des Vatikans geißelte den „Akt großer Dummheit“.
Also sammelten sich im englischen Shrivenham, in Oxfordshire, im Frühjahr 1944 Amerikaner und ein paar Briten, insgesamt 12 Mann, der Kern der Monuments Men, größtenteils Experten, meist um die 40 Jahre alt: Kunsthistoriker, Kuratoren, Restauratoren. George Stout wurde zur zentralen Figur der Truppe. Am 26. Mai 1944, elf Tage vor dem D-Day, der Landung der Alliierten in der Normandie, erließ Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower einen wegweisenden Befehl zum Schutz „historischer Monumente und Kulturgüter“. Die Befehlshaber sollten „Zurückhaltung und Disziplin üben“, aber gleichzeitig besäße „das Leben unserer Männer Vorrang“
Mit genau diesem Widerspruch waren die Monuments Men vom ersten Tag an nach der Invasion konfrontiert. Das Leben ihrer Soldaten war den Kommandeuren im Zweifelsfall wichtiger als tote Steine. Wenn deutsche Soldaten beispielsweise aus Kirchen heraus schossen, feuerten die Alliierten selbstverständlich zurück. Um Plünderungen zu verhindern, stellte die Kunstschützer „Betreten verboten!“-Schilder vor zerstörten Gebäuden auf. Wenn das nicht half, wirkte zumeist ein Schild „Vorsicht Minen!“
„Während die Front weiterzieht“, schrieb George Stout im August 1944 an seine Frau Margie, „mehren sich die Anklagepunkte gegen die Deutschen. Sie haben sich sehr schlecht benommen, in den letzten Tage der Besatzung haben sie regelrecht gewütet. Von daher erscheinen sie nicht mehr als ein schuldiges Volk mit kriminellen Führern. Sie erscheinen alle als Kriminelle.“ Die Monuments Men arbeiteten unter schwierigen Bedingungen. Sie waren auf die verschieden Armeen der Alliierten verteilt, die wenigsten von ihnen hatten Autos. Stout hatte auf eigene Faust einen deutschen Kübelwagen, den Vorläufer des VW-Käfers, requiriert.
Die Zentrale der Räuber
Bald wurden den Kunstschützern auch klar, welchen gigantischen Kunstraubzug die Deutschen in denen von ihnen eroberten Ländern ausgeführt hatten. Spätere Schätzungen beliefen sich auf 5 Millionen Kunstwerke; geraubt aus Kirchen, Museen, Universitäten, Synagogen und privaten Wohnungen und Häusern. Ein großer Teil des Raubguts hatte Juden gehört. Sie waren geflüchtet oder waren interniert und deportiert worden. Die Deutschen erklärten ihre Kunstwerke zu „herrenlosem Besitz“, der dem Deutschen Reich verfiel.
Paris war die Zentrale der Räuber, hier agierten die Männer des Einsatzsstabes Reichsleiter Rosenberg (ERR). Mitte März 1941 schickte der ERR beispielsweise einen Sonderzug mit 25 Waggons voll geraubter Kunstwerke von Paris nach Neuschwanstein. Zum Glück gab es im größten Kunstdepot der deutschen Besatzer in Paris, im Museum Jeu de Paume, eine mutige Frau. Rose Volland sympathisierte mit der Résistance und notierte heimlich und unter Lebensgefahr, welche Kunstwerke die Deutschen abtransportieren und wohin die Transporte gingen. Sie registrierte auch, dass Hermann Göring insgesamt 21-mal im Depot auftauchte, um sich Bilder für seine Privatsammlung zu sichern.
Nach der Befreiung von Paris vermittelte Volland ihr wertvolles Wissen an den Monuments Man James Rorimer, den späteren Direktor des New Yorker Metropolitan Museum. Mit ihren Hinweisen auf geheime Kunstdepots in Deutschland, ergänzt durch Dokumentenfunde und Aussagen eines ehemaligen ERR-Offiziers, begannen die Monuments Men eine Schatzsuche.
In den Salzminen von Merkers in Thüringen fanden sie die Büste der Nofretete und wertvolle Gemälde aus Berliner Museen. Stout ließ die Kisten aus den feuchten Stollen bergen und auf 32 Zehntonner-LKWs nach Frankfurt transportieren.
Im Schloss Neuschwanstein entdeckten Monuments Men unter anderem den Großteil der in Frankreich gestohlenen Kunstsammlung der jüdischen Familie Rotschild. Im thüringischen Bernterode stießen sie in einem Salzbergwerk in mehreren hundert Meter Tiefe auf Särge mit den Überresten von König Friedrich II. und Paul von Hindenburg, die preußische Kronjuwelen und Hunderte von Gemälden. Im Gegensatz zu den Russen, deren Trophäenbrigaden Kunstwerke sofort in die Sowjetunion schaffen ließen, transportierten die Monuments Men ihre Funde in die vier Central Collection Points, von wo aus sie später ihren rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben wurden.
Die Geschichte ist faszinierend, das Buch „Monuments Men“ ist es allerdings nicht. Zumindest für Historiker ist es eine Zumutung. Dialoge und Szenen sind munter erfunden, die Quellen nur rudimentär nachgewiesen. Was verbürgt und was der Fantasie der Autoren entsprungen ist, lässt sich höchstens erraten. Von Hitler heißt es, dass er als junger Mann zehn Jahre lang „ohne ein festes Dach über dem Kopf“ herumgezogen sei – was kompletter Unsinn ist. Anderes ist unfreiwillig komisch, etwa wenn ein Monuments Man als „gestählt im Feuer der Museumswelt“ charakterisiert wird.
Die zumindest partielle Inkompetenz der Autoren mag nicht wirklich überraschen. Robert M. Edsel ist ein einstiger Tennisprofi und späterer Ölunternehmer. Sein Coautor Bret Witter ist bislang als Verfasser von anrührenden Büchern über Hunde und Katzen in Erscheinung getreten.
George Clooney könnte dennoch einen guten Film drehen: Düstere Katakomben, wunderschöne Kunstwerke, gierige Nazis, aufrechte Amerikaner. Der Stoff hat es einfach in sich.
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