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Die WahrheitFlippern im Café des Todes

Kolumne
von Joachim Frisch

So langsam dämmert es jedem denkenden Menschen, dass alles Brimborium uns nicht ein bisschen von der Angst vor dem Sensenmann nehmen kann.

E s wird kommen. So sicher wie das Amen im Trauergottesdienst: das Death Cafe. Freund Trend pocht schon unerbittlich an die Türen, um Freund Hein endlich wieder die Ehre eines Ortes zu verschaffen, an dem ausschließlich über ihn geplaudert wird – wie über einen kauzigen Kollegen, einen unheimlichen Nachbarn oder einen verhassten Chef, wie über ein noch immer nicht gelöstes mathematisches Problem, wie über eine poststrukturalistisch hermeneutische Ambivalenz, wie über das Hamburger Schietwetter im Juni, gegen das es niemals ein Mittel geben wird.

Das Bedürfnis, jenseits des Prekariatsfernsehens in einem analogen Zusammenhang über tiefste Ängste und vage Hoffnungen mit wildfremden Menschen zu reden, passt in den zeitgeschichtlichen Zyklus aus Euphorie und Angst. Die nun schon zwanzig Jahre andauernde Euphoriewelle mit ihren Terrabites und ihren nanotechnischen Hirn-, Herzkammer- und Gallenblasen-OPs hat Hoffnungen geweckt, Freund Hein ein Schnippchen schlagen zu können. Doch so langsam dämmert es jedem ohne digitale Prothese denken Menschen, dass all das Brimborium uns nicht ein Bit von der Angst vor dem Sensenmann nehmen kann. Sie dauert nur länger.

Also ab, zurück ins 19. Jahrhundert, zum morbiden Plaudern bei Earl Grey mit Gingercakes, der Beschwörung von schwebenden und gefallenen Engeln und nerdigen Diskussionen über Energiepermanenz bei Veränderung von Aggregatzuständen und dem rätselhaften Verlust von 23 Gramm Masse bei Eintritt des Exodus.

Toronto, London, Paris, Ottawa, Essex, Ohio, alle haben es schon, das Death Cafe, eine Art monothematischen literarisch-philosophischen Salon mit Freund Hein als invité permanent. Berlin hat es diesmal verschlafen, den Trend zu setzen, wird es aber nicht verpassen, noch rechtzeitig aufzuspringen. Deshalb hier meine Tipps an die künftigen Death-Café-Betreiber: Death Metal Style geht gar nicht, schlimmer ist nur noch Kirchentagsambiente. Und bitte nicht zur Eröffnung einladen: Beck- und Käßmann, lieber Perelman, den abgedrehten russischen Mathematiker, der kommt aber nicht.

Wenn Gauck kommt, eine Ausrede finden – notfalls wegen Trauerfalls schließen, bis er sich wieder verzogen hat mit seinen Hofschranzen. Nicht zu viele Kaffee-Aromen auf Sirupbasis, zu süß für das bittere Thema, guter Cognac zum Verlängern geht dagegen immer. Keine Kruzifixe, auch nicht mit den Jesusfüßen zur Decke, keine spirituellen Symbole und Anspielungen, denn Freund Hein hasst es, wenn sein Werk interpretiert wird, ihm gar ein Sinn untergejubelt wird. Er ist eine Art Peter Handke des Jenseits.

Freund Hein aber verdient es nicht, verehrt zu werden, denn er ist ein Arschloch, auch wenn er ab und an einen passablen Job macht (siehe: Maggie Thatcher). Bei ihm gibt es niemals eine zweite Chance, oder wie Namensvetter Peter Hein singt: Kein Freispiel drin. Doch ein Flipperautomat im Death Café wäre zu viel des Guten.

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