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Nächtlicher ÜberfallSEK-Einsatz im falschen Stockwerk

Ein Polizei-Spezialeinsatzkommando stürmt irrtümlich eine falsche Wohnung. Für die Staatsanwaltschaft Göttingen ist das nur ein „bedauerliches Versehen“.

Irrte sich im Stockwerk und stürmte die falsche Wohnung: das SEK Niedersachsen. Bild: dpa

HAMBURG taz | In der Nacht zum 25. Oktober 2012 stürmte das Spezialeinsatzkommando (SEK) der niedersächsischen Polizei in Rollhausen bei Duderstadt die Wohnung der Familie Smith (Namen geändert). Dann stellten die Beamten fest, dass sie sich im Stockwerk geirrt hatten.

Die Familie hat inzwischen traumatisiert die Wohnung aufgegeben und Rollhausen verlassen. Frau Smith und die 19-jährige Tochter befinden sich in psychologischer Behandlung. Trotzdem stellte die Staatsanwaltschaft Göttingen das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und der Verletzung der Sorgfaltspflicht gegen die SEK-Verantwortlichen ein, es sei ein „bedauerliches Versehen“ gewesen. Der Göttinger Anwalt der Familie, Sven Adam, hat Beschwerde eingelegt und den Fall auch der Generalstaatsanwaltschaft in Braunschweig vorgelegt.

Auslöser des Großeinsatzes war ein Querulant, der bereits mehrfach durch falsche Anzeigen die Polizei beschäftigt hatte. Am Abend des 24. Oktobers meldete er bei der Polizei Duderstadt, dass ihm von einem Nachbarn des „1. Obergeschosses“ eine Waffe an den Kopf gehalten worden sei. Die Polizei Duderstadt rückte an und sicherte das Terrain und die Etage, in dem sich die besagte Wohnung befand, die jedoch eher als „Hochparterre“ zu bezeichnen ist.

Die Einsatzleitung vor Ort entschied wegen der unklaren Lage, das SEK anzufordern, postierte aber lautlos zwei Polizisten vor der Wohnungstür, um einen möglichen Amoklauf zu verhindern – lautlos darum, weil sich im Treppenhaus Akustik- und Bewegungsmelder befanden. In den späten Abendstunden traf das SEK ein. Zwei SEK-Aufklärer nahmen mit den Duderstädter Polizisten vor der Wohnung Kontakt auf, verständigten sich im „Hochparterre“ über Blickkontakte und Handzeichen, dass es sich um die verdächtigte Wohnung handeln würde. Dann verließen die vier das Gebäude, damit der „Zugriff“ erfolgen konnte.

Das SEK

Nach dem Anschlag auf das Olympische Dorf in München 1972 bauten die Landespolizeien Sondereinsatzkommandos (SEK) auf.

Über mindestens ein SEK verfügt jedes Bundesland im Norden. Hamburg hat ein Mobiles Einsatzkommando (MEK), das Zielpersonen auch aus der Bewegung heraus mobil festnehmen kann.

Zur Aufgabe von SEKs gehört die Terrorismusbekämpfung, Geiselbefreiungen und der Zugriff auf bewaffnete Täter.

Präventiv werden SEKs aber auch bei Observationen oder für den Personenschutz eingesetzt.

Umbenannt wurde das SEK inzwischen in „Spezialeinsatzkommando“, weil der alte Name zu sehr an das Sondereinsatzkommando Eichmann der SS erinnerte.

Dann passierte, was nicht passieren dürfte. Um 0.30 Uhr standen plötzlich sechs vermummte Gestalten im Schlafzimmer von John Smith und seiner Frau, die panisch von einem Raubüberfall ausgingen. „Und dann haben sie mich mit Kabelbindern gefesselt: Ich hab vor Schmerzen geschrien“, sagte Smith damals dem NDR. „Erst dann haben sie mich nach meinem Namen gefragt.“

Den Beamten sei schnell klar geworden, dass sie sich in der Etage geirrt haben, denn seine Wohnung befand sich direkt unter dem Dach – also nach Angaben des Anrufers im „2. Obergeschoss“, wenn das „Hochparterre“ als „1. Obergeschoss“ gezählt würde. „Das SEK hat sich in der Wohnung geirrt“, sagte der Leiter des Polizeikommissariats Duderstadt, Otto Moneke. „Da ist uns ein interner Kommunikationsfehler unterlaufen.“ Auch bei der anschließenden Erstürmung der Wohnung im Hochparterre wurde keine Waffe gefunden.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Die beiden Duderstädter Polizisten haben in ihren Berichten eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie unzweideutig auf die Wohnung des vermeintlichen Waffennarren im „Hochparterre“ gezeigt hätten. „Warum den sich korrekt verhaltenden örtlichen Beamten, die auch ihr Leben riskiert haben, nicht geglaubt wird oder sie gar nicht vernommen werden, ist derzeit das Geheimnis der Staatsanwaltschaft“, sagt Smiths Anwalt Adam.

Er verweist darauf, dass der Anrufer inzwischen vom Amtsgericht Duderstadt wegen mehrfacher falscher Anschuldigung zu 13 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde, was der zuständige Amtsrichter bestätigt. „Dass die Polizei allerdings die falsche Wohnung gestürmt hat, ist ihm nicht anzulasten“, sagt der Richter der taz.

„Dass SEK-Beamte, die derartige Eingriffsbefugnisse in unser Leben haben, so ihre Sorgfaltspflicht verletzen und derartig schlampig arbeiten, darf nicht folgenlos bleiben“, sagt Adam.

Der Sprecher der Göttinger Staatsanwaltschaft Michael Buick bestätigt am Donnerstag gegenüber der taz die Intervention des Anwaltes: „Wir haben heute die Beschwerde bekommen und prüfen, ob wir die Ermittlungen wieder aufnehmen“, sagt Buick. Das werde sicherlich bis nächste Woche dauern.

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4 Kommentare

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  • G
    Gast

    Zum einen wird hier in Grundrechte eingegriffen. Da darf man etwas weniger Dilletantismus auf Seiten der Poizei erwarten.

    Zum anderen ist die Brutalität, dass die Opfer vermutlich diesen Überfall nie wieder vergessen können und sich nie wieder sicher fühlen zuhause. Psychische Schäden werden bleiben. Und wenn sich dann ein Opfer umbringt, weil es die Angst nicht mehr ertragen kann, dass vielleicht wieder etwas passiert oder die Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommt, sagt Otto Moneke am Grab des Opfers: "Da ist uns ein gravierender Kommunikationsfehler unterlaufen."

  • EA
    Ein anderer

    Die meisten Leute, die sich üblicherweise über Polizisten aufregen, hatten in ihrem Leben niemals eine Waffe in der Hand, waren noch nie in einer lebensbedrohlischen Situation und wissen ganz genau, wie einfach es ist, "nur" in den Oberschenkel zu feuern... Arroganz und Selbstgerechtigkeit allerorten: Was hat das im Artikel beschriebene mit Polizeigewalt zu tun? Niemand wurde gefoltert, und als der Fehler entdeckt wurde, wurden die zu Unrecht verdächtigten sofort freigelassen. Man sollte ihnen die psychische Behandlung zahlen, aber warum den SEK-Beamten der Lebensgrundlage entzogen werden soll, das kann wohl nur jemand verstehen, der selbstgerecht auf dem Sofa sitzend die Welt nur im Rahmen seiner lustigen Ideologie wahrnehmen möchte...

  • D
    Drachenstein

    Das Hauptproblem in Deutschland ist, dass sowas für die Beamten keinerlei dienstliche Konzequenzen hat. Die StA schaut da fast immer weg. Eine Krähe hackt ja der anderen kein Auge aus.

     

    In den USA bekam doch der eine Typ einige Millionen Dollar Entschädigung, weil er 5 Tage unschuldig im Gefängnis saß. Hier wird man mit 25€ angespeist.

     

    Deutschland ist ein Täterschutzland !

  • J
    Jemand

    Wichtiger ist doch die Frage: Werden die Opfer der Polizeigewalt entschädigt? Eine Schmerzensgeld-Zahlung in 4-stelliger Höhe fände ich angemessen.