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Aufstand der Flüchtlinge (2)„Dein Kopf geht davon kaputt“

In Bitterfeld steht ein Flüchtlingscamp. Drei der Bewohner sind seit Mittwoch im Hungerstreik. Das Leben in Vorort-Lagern halten sie nicht mehr aus.

Ein Herz für Flüchtlinge? SpringBreak-Festival in Bitterfeld Bild: imago / star-media

BITTERFELD taz | Kaum ein Mensch ist zu sehen. In Bitterfeld sind die Straßen leer. Die 15.000 Einwohner der Stadt in Sachsen-Anhalt machen Mittagsruhe. Nur in einer Ecke des Robert-Schumann-Platzes redet eine blonde Frau auf eine Gruppe Männer ein. Der Trubel fällt auf. Neben einem weißen Pavillon wehen Transparente: „Rassismus tötet“ und „Abschiebung ist Mord“. Oumarou Ousman und fünf weitere Männer haben sie gemalt.

Sie sind aus Niger oder dem Iran geflohen und wohnen in einer der nahen Massenunterkünfte, in Friedersdorf oder Marke. Oder vielmehr: Sie haben dort gewohnt. Denn am 1. August schlugen sie mitten in Bitterfeld ihre Zelte auf und starteten ein Protestcamp. Das stört die Frau.

„In einem fremden Land können sie um etwas bitten, aber nicht fordern“, sagt sie. Doch Ousman fordert: die Residenzpflicht abzuschaffen, das Arbeitsverbot, die rassistischen Schikanen. „Wir haben zu viel vom Leben im Lager“, sagt er. Drei Geflüchtete sind seit Mittwoch sogar im Hungerstreik.

2002 ist Ousman aus Niger geflohen. Der heute 47-Jährige hatte sich eingemischt, sich zivilgesellschaftlich engagiert. Irgendwann wurde das gefährlich. Fast hätte die Armee ihn geschnappt. Asyl hat Deutschland ihm dennoch nicht gewährt.

Er zieht ein gefaltetes Papier aus seiner Tasche. „Aussetzung der Abschiebung“ prangt oben drüber – seine „Duldung“. Ein roter Balken, der quer über das Blatt läuft, verstärkt die Botschaft der Unterzeile: „Der Inhaber ist ausreisepflichtig!“

Widerstand

Unsichere Rechtslage, überfüllte Unterkünfte, Gutscheine statt Geld - für Flüchtlinge gibt es viele Gründe, zu protestieren. In ganz Deutschland gehen sie jetzt auf die Barrikaden. Ihr Protest ist organisierter, radikaler, verzweifelter als je zuvor. Karte des wachsenden Widerstands Juli/August 2013.

Viele hätten Depressionen

Vieles, was Ousman hier sein Leben schwermacht, steht auf diesem Fetzen: „Erwerbstätigkeit: nicht gestattet“. Oder dass er sich nur in Sachsen-Anhalt bewegen darf. Die „Residenzpflicht“ galt bis vor zwei Jahren sogar innerhalb des Landkreises. Alle drei Monate muss er seine Duldung verlängern. Er kann sich nie sicher sein – seit zehn Jahren. Zehn Jahre, in denen er in der Unterkunft in Friedersdorf hausen musste. „Dein Kopf geht davon kaputt“, sagt er. Viele hätten Depressionen. In Bitterfeld wollen sie nun gehört werden.

Als die Frau wegradelt, ist wieder Ruhe. Unterschriftenliste und Spendendose bleiben leer. In einem Café in Rufweite heben die Gäste nur selten ihren Blick von den Kuchentellern. „Die kriegen doch alles in den Arsch geschoben“, sagt eine ältere Frau über die Flüchtlinge. Hinübergehen will sie nicht.

Hinter dem Materialzelt wummert ein Generator, eine Kaffeemaschine blubbert im Gras. Im Schatten einer Kastanie macht Ousman es sich gemütlich. Viel ist hier nicht zu tun. Doch in den Lagern war das auch nicht anders. Etwa 170 Menschen leben dort jeweils. Die anderen wollten nicht protestieren, „weil sie Angst haben“, sagt Ousman.

Friedersdorf liegt in einem Waldstück, ein paar Kilometer vor Bitterfeld. Dort seien sie abgeschnitten, erzählen die Flüchtlinge. Kein Internet, kein Handyempfang. Ameisen kröchen in die Betten. Die Zustände haben Kreistagsmitglieder bestätigt. Sie hatten Friedersdorf besucht, nachdem im April ein Bewohner gestorben war – laut Flüchtlingen wegen mangelhafter medizinischer Versorgung.

Angst vor Neonazis

„Zehn Jahre Bitterfeld“, sagt Ousman. „Ich kann hier nicht mal eine Stunde durch den Ort gehen, ohne als Neger beschimpft zu werden.“ Aus Angst vor Neonazis schlafen Unterstützer mit im Camp, Nachtwachen wurden eingeteilt.

Etwa 88.400 Geduldete leben in Deutschland, über 37.000 länger als sechs Jahre. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt – Deutschland will, aber kann sie nicht abschieben. Etwa weil im Herkunftsland Krieg herrscht oder weil die Betroffenen gesundheitlich die Strapazen einer Abschiebung nicht überstehen würden.

Ousman ist geduldet, weil er keinen Pass besitzt. Den zu beschaffen ist schwer und würde in Niger ein Vermögen kosten. Weil er an seiner Abschiebung nicht „mitwirkt“, wird ihm die Existenzsicherung gekürzt. 217 Euro durfte er sich im letzten Monat beim Sozialamt abholen. Andere bekämen nur 184 Euro.

Ein Polo fährt vor: Kariertes Hemd, Socken in Sandalen – der Mann vom Ordnungsamt. Kurzer Blick – alles okay. Morgen kommt er wieder. Das Camp ist als Demo angemeldet, der Landkreis zuständig. Dessen Sprecher erklärte, ein Gespräch vor Ort sei „nicht notwendig“, es habe bereits viele Gespräche gegeben. Angezeigte Mängel an der Unterbringung würden abgestellt, „dabei handelt es sich jedoch meistens um Kleinigkeiten“. Grundsätzliche Mängel gebe es nicht.

Bis 29. August dürfen die Flüchtlinge campen. „Ich gehe nicht zurück ins Lager“, sagt einer der Iraner. „Wir haben nichts zu verlieren“.

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14 Kommentare

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  • K
    Kowalski

    Kein Internet, kein Handyempfang. Ameisen kröchen in die Betten.

     

     

     

    Und wie war es in ihrer Heimat?

     

     

     

    Aussiedler wurden übrigens auch verteilt habe aber nie von Protescamps gehört.Von Flüchtlingen nach dem Krieg wollen wir gar nicht reden die wohnten manchmal 15 Jahre ohne Wasser,Strom und Klo und mussten Unkraut fressen wenn sie nicht verhungern wollten.Wurde der Mund in Lagenr aufgemacht beim Essen anstehen wurde zugemacht und es gab für niemanden mehr was.

  • A
    augenwischer

    Lea, absolut! Das sind Menschen, die von Sozialstaat und Demokratie schreiben ABER bitte nicht für jeden. Wo kämen wir denn hin (dann müssten wir ja teilen)? Dabei wird die globale Realität ganz einfach ignoriert, es wird ignoriert, dass der ach so soziale deutsche Staat sich an anderen Ländern bereichert und zu der Unsicherheit beiträgt, vor denen diese "gesetzbrechenden Asylsuchenden" (haha! das ist nicht mal ziviler Ungehorsam liebe MitbürgerInnen) fliehen müssen. Jeglicher Vorwurf von Rassismus perlt an derartig selbsgerechten Menschen ab, sonst könnte man nicht so argumentieren und glauben dass alles einfach so weitergehen kann wie bisher.

  • L
    Lea

    Na, schreiben hier Personen des rechten Randes? Vielleicht gar bloß eine Person, die den Anschein erwecken will, hier schreibt eine Vielzahl an Kommentator_innen? Begriffe wie "Weltsozialamt" und Aussagen "Gesetzesbrechende Asylsuchende abschieben" entsprechen dem menschenverachtenden Propagandawortschatz der NPD. Letztere Aussage gleicht deren Grundtenor "Kriminelle Ausländer abschieben".

    • @Lea:

      Wie schön muß das ein, mit solch schlichtem schwarz/weiß Weltbild leben zu können.

       

       

       

      Bei von linkem mainstream abweichenden Meinungen schwingt man bequem die Nazi-, oder Rassismus-Keule, und wirft alles in einen unverdaulichen Nazi-Eintopf.

       

       

       

      Die NPD hat auch antikapitalistische Aspekte. Sind die Linken deshalb Nazis?

       

       

       

      Grüne Begriffe und Aussagen wie biologische Landwirtschaft, gegen Atomkraft, Gentechnik, Überfischung, Massentierhaltung, Tierversuche, etc. finden sich auch in der NPD.

       

      Sind die Grünen deshalb Nazis?

       

       

       

      „"Gesetzesbrechende Asylsuchende abschieben" : wurde jüngst in einem schweizer Referendum beschlossen.

       

      Fast 80 % der Schweizer stimmten dafür.

       

      Die Schweizer: ein Volk von Nazis?

       

       

       

      http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-06/schweiz-asylrecht-referendum

  • RS
    Rechtsanwalt Steinbächer

    Dazu müsste die geforderte Mitwirkung erst mal möglich sein. Oft genug wird seitens der Ausländerbehörde eine Mitwirkung erwartet, für die der Betroffene auf Dritte angewiesen ist.

     

    Die Beschaffung eines Passes ist zB ohne die (auch finanzielle) Möglichkeit einer Fahrt zum Konsulat (so weit vorhanden) nicht möglich. Die Gebühren ausländischer Behörden werden ebenfalls nicht als einmaliger Bedarf anerkannt. Es bleibt also vielleicht noch: Den der Sprache oft nicht mächtigen bzw mit dem Verwaltungsgericht unvertrauten Betroffenen vorzuwerfen, sie hätten sich gegen die unrechtmäßigen Mitwirkungsaufforderungen oder Sanktionsbescheide nicht rechtzeitig vor Bestandskraft gewehrt.

     

    Dazu muss aber erst mal innerhalb der Widerspruchsfrist ein Anwalt

     

    /eine Anwältin gefunden werden, die/der bereit ist, auf eigenes Risiko oder Kosten das außergerichtliche Verfahren anzustoßen.

     

    Irgendwo bei Bitterfeld oder an anderen entlegenen Orten.

     

    Zoltan Steinbächer, RA

  • Mich würde interessieren, warum er keinen Pass mehr hat und warum es seit 10 Jahren nicht möglich war, einen Ersatz zu beschaffen. Wieso bekommt er noch 217 Euro + kostenlose Unterkunft und andere Leistungen, wenn er nicht mitwirkt. Das ist mir unbegreiflich.

     

     

     

    Und warum wird über die Dauer lamentiert, wenn man nicht mitwirkt? Absolut unverständlich.

  • S
    Steffi

    Ich rege mich mittlerweile nicht mehr über solche Artikel auf, die mit der Mitleidsmasche kommen. Warum hat der Mann aus Nigeris keinen Pass? Weggeschmissen, weil er wusste, dass er dann nicht abgeschoben werden kann?

     

    Keiner behauptet, dass Lager toll sind, aber je mehr eingelassen werden oder von selber kommen, desto voller wird es.

     

    Ich schaue nicht mehr hin, wenn ich auf eine Gruppe Asylanten, die es mittlerweile in jeder Stadt gibt. Ich lebe mein eigenes Leben, und Deutschland kann nicht die Welt retten.

     

    Wenn in meiner Nachbarschaft ein Lager aufgemacht werden sollte, werde ich mich Protesten anschließen. C'est tout.

  • HB
    Harald B.

    Jedes Land sollte selbst entscheiden, wie und unter welchen Bedingungen es Menschen fremder Länder aufnimmt. wer sich nicht an die bei uns geltenden Gesetze hält und versucht, sie durch Hungersteiks zu unterlaufen, sollte sofort in sein Heimatland zurückgeschickt werden.

    • S
      Sabine
      @Harald B.:

      Finde ich gut. Volle Zustimmung, denn so kann es nicht weitergehen. Haben wir denn nichts mehr zu bestimmen in diesem Land?

  • D
    D.J.

    @Wolfgang,

     

     

     

    ich versuche Sie mal ernstzunehmen. Fassen wir zusammen: Sie sind dafür, dass jeder, der möchte, nach D kommen darf. Daher meine Frage (ich versuche Leute wie Sie irgendwie zu verstehen): Glauben Sie, dass unter der Bedingung eines unbeschränkten Einwanderungslandes ein Sozialstaat existieren kann? Von anderen Problemen erst mal völlig abgesehen.

  • U
    unbenannt

    „In einem fremden Land können sie um etwas bitten, aber nicht fordern“ Das ist die Ansicht vieler Leute hier in Deutschland. Aber das Recht auf Menschenrecht und Menschenwürde gilt in der ganzen Welt auch in Deutschland muss es gelten.

     

     

     

    Da ich Jahre an Erfahrung habe was Asylsuchende betrifft, haben viele Menschen dieses Recht wohl nicht.

     

     

     

    Das die Menschen psychisch krank werden ist kein Wunder. Ich denke da besonders an die Menschen die man von Lampidusa nach D. geschickt hat, obwohl man genau wusste, das sie hier nicht aufgenommen werden aufgrund der Abkommen. Sie aber wie Ware hin und her zu schieben, wissend wie sie vorher in Italien leben mussten, ist unmenschlich.

     

     

     

    Wer sich nicht wirklich mit den Menschen die im Asylverfahren stehen beschäftigt hat, kann nicht wissen was das bedeutet. Paragraphen hin oder her, hier geht es um Menschen keine Tiere.

    • @unbenannt:

      D ist nicht das Weltsozialamt, und kann nicht alle 40 Millionen der weltweiten Flüchtlinge aufnehmen.

       

      Das wollen Sie scheinbar nicht begreifen.

       

      Klar, das klingt für Realitätsverweigerer wie Sie „hartherzig“.

       

      Ich bin da für eine demokratische Vorgehensweise: mit einer Volksabstimmung.

       

      Oder wollen Sie lieber Grenzen auf für Alle, ungebremste Zuwanderung für jeden, plus Sozialhilfe?

       

      Das gibt’s in keinem Land der Welt.

       

      Warum sollte D so blöd sein???

       

      Erklären Sie das mal. Bin gespannt.

  • W
    Wolfgang

    Es ist die Hautfarbe, der Rassismus der Mehrheit der Erwachsenenbevölkerung in Deutschland. Man redet viel von "demografischer Alterung" in Deutschland, wäre es nicht so, gäbe es kein Rassismus, so würde man, unabhängig von den sozialen und wirtschaftlichen Fluchtgründen, alle Menschen aufnehmen und sie ausreichend sprachlich und beruflich qualifizieren. Bei den deutschen Rassisten und Nationalisten, bei der Mehrheit in den staatlichen Behörden und Ministerien (deutsche Beamtenschaft), in den bürgerlichen Parteien, in den Landes- und Bundes-Regierungen und in den Parlamentsmehrheiten, findet diese humanistische Forderung keine Zustimmung. // Natürlich bedarf es auch eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohnes, nicht unter 13-Euro-Std., um den deutschen Faschisten und Kleinbürgern, die Verhetzung der Bevölkerung unmöglich zu machen! Das Kapital und seine deutschen Wirtschaftsverbände, sie brauchen aber den Rassismus und Nationalismus, um die unteren sozialen Klassen gegeneinander auszuspielen (so wie u. a. in den USA und/bzw. in Australien).

  • "„Zehn Jahre Bitterfeld“, sagt Ousman. ... Ousman ist geduldet, weil er keinen Pass besitzt."

     

     

     

    Das ist das Problem. Jeder Fall muss innerhalb 100 Tagen abschließend geklärt werden. Duldungen darf es nicht mehr geben. Entweder wird der Asylstatus anerkannt oder es wird sofort zurück geführt.