piwik no script img

Linkenpolitikerin Artus über Gender Budgeting„Das sind dicke Bretter“

Eigentlich sollte Gender Budgeting, das Aufschlüsseln öffentlicher Ausgaben nach Geschlechteraspekten, längst Praxis sein. Tatsächlich blieb es Theorie

Anders als früher beinahe gemainstreamt: Fast die Hälfte des Senatsbugdets. Bild: dpa
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Schon 2008 wollte die Bürgerschaft, die Einführung von Gender Budgeting prüfen lassen. Warum hat sich so wenig bewegt, Frau Artus?

Kersten Artus: Es war nicht gewollt. Wir hatten damals eine schwarz-grüne Regierung, die Grünen waren für die Umsetzung eines Gender Budgetings, aber die CDU hat es nie ernsthaft betrieben.

Sie haben 2012 einen Antrag gestellt, mit dem Gender Budgeting ernst zu machen. Was versprechen Sie sich davon?

Gender Budgeting bedeutet, dass die Ausgaben eines Staates nach Geschlechtergesichtspunkten überprüft werden. Wenn ich einen Euro ausgebe, benachteiligt oder bevorteilt er ein Geschlecht – zulässigerweise oder unzulässigerweise. Das kann man dann korrigieren.

Das eine ist das Aufschlüsseln der Ausgaben, das andere ist die Wirkungsanalyse. Wenn man, wie in Berlin, feststellt: 75 Prozent der Volkshochschul-Nutzer sind weiblich – was macht man dann mit diesem Befund?

Dann muss man diskutieren, ob man auch Kurse anbietet, die Männer stärker interessieren. Oder man muss sich fragen, ob man die Ausschreibung oder die Zeiten ändert. Man kann aber auch zum umgekehrten Schluss kommen: In Berlin hat man in den eher multikulturellen Bezirken gesagt: Wir wollen den migrantischen Mädchen diese Schutzräume lassen und nicht mehr Jungen hereinholen. In den eher bürgerlichen Bezirken hat man dagegen gezielt Jungen angesprochen und Material für sie gekauft.

Im Interview: 

Kersten Artus

49, ist Fachsprecherin der Hamburger Linke-Fraktion für die Themen Frauen, Wirtschaft und Gesundheit. Sie hat den Antrag der Linken zur Einführung des Gender Budgetings in Hamburg mit verantwortet.

Kritiker des Gender Budgetings – unter anderem der Bund der Steuerzahler – halten das System für zu kompliziert, um praktikabel zu sein.

Der Bund der Steuerzahler ist da in einer absoluten Minderheit. Man muss zwar gucken, ob sich Ausgaben oder der bürokratische Aufwand erhöhen. Aber es muss heute eine Schlüsselqualifikation sein, die Geschlechterfrage mitzudenken. Es findet eine unglaubliche Ressourcenvergeudung statt, weil die Teilhabe der Geschlechter in vielen Bereichen nicht ausgewogen ermöglicht wird.

Hätten Sie da ein Beispiel?

Bei einer Expertenanhörung zu Gender-Medizin hat uns ein Männerforscher erzählt, dass die Diskussion um frühe Hilfen völlig genderfrei geführt wird. Es gibt aber Anzeichen dafür, dass kleine Jungen gewaltgefährdeter sind. Oder beim Gründungsverhalten, da haben wir eine konkrete Datenlage: Frauen gelten als risikoärmer und sind an eher kleinen Krediten interessiert. Also müsste unsere neue Investitions- und Förderbank mehr Mikrokredite anbieten. Oder in der Pflege: Frauen in höheren Pflegestufen wird weniger Pflegehilfe zugestanden als Männern. Dann hat man festgestellt, dass die Frauen, die das bewilligen, ihren Geschlechtsgenossinnen eher zutrauen, dass sie das bewältigen.

Wäre eine Aufschlüsselung der Ausgaben nach sozialen oder migrationspolitischen Aspekten nicht genauso wichtig wie die nach Geschlecht?

Der Diversity-Blick wird auch immer wieder betont. Diese Daten sind mittlerweile recht gut vorhanden. Wir haben beim Gender-Budgeting aber die Thematik, dass es um die Hälfte der Bevölkerung geht, die seit Jahrhunderten strukturell und systematisch benachteiligt wird.

Die SPD hat das Gender Budgeting in ihr gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm geschrieben. Hat sich der Antrag der Linken zum Thema damit nicht erledigt?

Der sozialdemokratische Senat nimmt die Gleichstellung sehr viel ernster als Schwarz-Grün. Ich bin nur ein bisschen in Sorge, weil im gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm steht, dass es kein Geld kosten darf. Außerdem wird in weiten Teilen nur Bestandsaufnahme gemacht – wie das Gender Budgeting vonstatten gehen soll, steht nicht darin.

Wie optimistisch sind Sie, dass geschlechtergerechte Finanzen in Hamburg bald Alltag sein werden?

In den Ausschüssen ist der genderpolitische Blick noch nicht sehr weit geöffnet. Da sind noch dicke Bretter zu bohren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

7 Kommentare

 / 
  • G
    Gast

    Genderforschung ist pure Ideologie und keine Forschung im wissenschaftlichen Sinn. Es geht letztlich wieder um irgendwelche neuen Berufe wie "Gender-Buchhalter", die nutzlos sind, aber Leuten Arbeit verschaffen, die in der normalen Wirtschaft aufgeschmissen wären.

     

    Es gibt fast 200 Le(e)hrstühle für Genderforschung, die nichts sinnhaftes produzieren. Aber mancher Irrsinn hat nun einmal Methode.

  • K
    Knüller

    So einen Unsinn habe ich selten gelesen, kaum zu fassen was mit diesem Gender-Irgendwas Kram für Blüten getrieben werden... Gibt es bei Genderbeauftragten eigentlich auch eine Männerquote? Was kostet uns dieser Irrsin denn? Übrigens: ALLE Imame in Moscheen sind Männer, bitte auch hier sofort im Zuge der Genderirgendwasgerechtigkeitsbudgetingdiversitypolitcal correctness tätig werden!

  • A
    ama.dablam

    Seit die Titanic ziemlich nachlässt, lohnt immer wieder ein Blick in die taz, Satire vom Feinsten. Und wenn ich am Wochenende privat Nida-Rümelins These vom Akademisierungswahn noch kritisierte, so findet sich leider vorliegend der beste Beleg hierfür.

    Wer hat eigentlich das Gender-Budgeting dieses Artikels (Frau interviewt Frau) zu verantworten?

  • IN
    immer noch paul

    @ Claudia Cometh: Kommentar des Tages! :D

  • G
    golm

    Wunderbar, wunderbar, endlich wird alles gerecht! Wird das Konzept wirklich umgesetzt, kann es für die Männer nur noch besser werden:

     

    1. Da Männer früher sterben als Frauen, muss für Männer unbedingt mehr Geld ins Gesundheitssystem gepumpt werden.

     

    2. Da Männer nicht schwanger werden können und somit ihnen von vorherein alle Mutterfreuden unmöglich gemacht sind, sollte es zumindest einen finanziellen Ausgleich geben.

     

    3. Es wird Zeit, dass die Kriminalisierung von Männern beendet wird und sich die Gefängnisse auch für Frauen weiter öffnen und die Gerichte endlich aufhören bevorzugt Männer zu verurteilen.

     

    4. Die Bevorzugung von Frauen und Mädchen in Schule und Universität, muss auch endlich beendet werden, schließlich heißt es ja immer wieder das Mädchen und Frauen bessere Noten als Jungen bzw. Männer haben, was eigentlich nicht sein kann, wenn man bedenkt, dass Männer und Frauen gleich sind.

  • GG
    gemainstreamte Gender Budgetings

    Hilfe, wir werden amerikanisiert!

  • Gute Idee und wenn sich herausstellt, dass Frauen mehr an Leistungen bekommen (z. B. aus dem Gesundheitswesen) dann wird sich schon ein Grund finden, wie man das fortsetzen kann.

     

    Ich würde neben Gender-Medizin auch unbedingt noch Gender.Justiz und Gender-Polizei vorschlagen und Gender-Wohnungs- und Straßenbau, sowie Gender-Abfallentsorgung. Es gibt so viele schöne Themen für Genderwissenschaftlör (= korrekte Form, die auch das 4. Geschlecht und behinderte Menschen umfaßt), die jahrhundertelang nicht geprüft wurden. Auch revolutionäre Erkenntnisse, wie dass Jungen gewaltgefährdeter sind, ohne dass mön schon sagen kann, wör sie denn gefährdet, machen Mut.

     

    Toll ist auch die Entwicklung einer eigenen Methodologie, wie des Diversity-Blicks. Den Diversity-Blick hätte man sich früher gewünscht, dann wäre es nicht erforderlich gewesen, die Leute durch albere Armbinden, Namenszusätze und Stempel in den Pässen zu kennzeichnen, das hätte Kosten gespart. Wir leben in einer fortschrittlichen Zeit. Vielleicht kann man mit Diversity-Blick ausgestattet durch langes Starren auch Ziegen töten und zum Yedi-Warrior werden. Das wäre auch einmal ein wichtiger Forschungsansatz, den die EU sicher gerne fördert. Ich promoviere gerne zu dem Thema (aber nur nach strengen Bofinger / J. Butler - Prinzipien und vegan) und schreibe mit Julia und Katta ein Buch darüber.