Kolumne Gott und die Welt: Der Best-Buy Bachelor
Bildung als Ware: Die Investitionen in ein Studium an US-Universitäten sind immens. Aber sie können sich lohnen. Ein Besuch in Dartmouth.
W ilhelm von Humboldt sah in der Bildung eines Menschen die „proportionierliche, allseitige Entfaltung seiner Fähigkeiten, Friedrich Schiller spekulierte in seinen „Briefen zur ästhetischen Erziehung“ über einen „ästhetischen Staat“ – fern der Maschinerie des Absolutismus.
Goethe schließlich erdachte sich im „Wilhelm Meister“ eine „pädagogische Provinz“. Derlei an einer deutschen Universität zu suchen, ist müßig, es dort zu finden, unmöglich.
Indes: In den USA scheint derlei nicht nur möglich, sondern wirklich zu sein. Etwa am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire, wo der Autor dieser Zeilen in diesem Sommer das Vergnügen hatte zu lehren.
Hanover: Eine idyllische Kleinstadt mit ziegelroten Häusern entlang täglich penibel gekehrter Straßen, mit überwältigenden Grünflächen, rücksichtsvollen Autofahrern und Studierenden, deren Dresscode im Sommer darin besteht, Sportkleidung zu tragen: die jungen Herren meist knielange Shorts sowie Baseballmützen, den Schirm gerne in den Nacken gekehrt, die jungen Damen – wie ihre Kommilitonen – stets rucksackbeladen in Shorts.
Das Niveau, auf dem diese sehr jungen Studierenden schwierigste Texte debattieren und in ihren midterm papers reflektieren, ist hoch, ihr aufmerksames Interesse ohne jede Heuchelei, die Lehr- und Lernatmosphäre trotz erheblicher Arbeitsbelastung erstaunlich entspannt.
Artes liberales
Seminare von der Größe, wie sie in Dartmouth stattfinden – vier in einer kleinen beziehungsweise sechzehn Studierende in einer „großen“ Veranstaltung –, waren an deutschen Universitäten zuletzt in den 1970er Jahren, vornehmlich in Tutorien, zu erleben. Die Studierenden selbst sind im Schnitt ein bis eineinhalb Jahre jünger als in Deutschland – vieles erinnert an einen Oberstufenkurs.
Derartige „Liberal Arts Colleges“ stehen in der Tradition der mittelalterlichen Universität mit ihren „Artes liberales“ , die als Vorbereitung für ein Studium der Theologie, Juristerei oder Medizin galten: unter anderem Dialektik, Astronomie, Musik.
Allgemeinbildung als Voraussetzung für professionelle Kompetenz? Bildung als Selbstzweck? Ist der deutsche Bildungsgedanke in den USA institutionelle Wirklichkeit, gleichsam eine hegelsche Wahrheit geworden? Eher nicht! Wirft man einen Blick in die 2013 erschienene Ausgabe eines Handbuchs mit dem Titel „The Best Value Colleges. The 150 Best-Buy Schools“, so entpuppt sich der Besuch eines Colleges als eine nicht gerade unerhebliche Investition in Status und Karriere.
Dartmouth College etwa nimmt nur 10 Prozent der Bewerber an, die jährliche Gebühr – das Studium zum Bachelor dauert dort vier Jahre – beträgt 43.782 Dollar, worin die Kosten für Wohnen in Höhe von 12.954 Dollar ebenso wenig eingeschlossen sind wie „sonstige“ Kosten in Höhe von weiteren etwa 3.000 Dollar.
Das Handbuch führt zudem genau auf, wie hoch die durchschnittliche Verschuldung jener ist, deren Eltern das College nicht bezahlen können: 17.113 Dollar. Gleichwohl: Die Investition zahlt sich aus: eine kürzlich erschienene Studie berichtet, dass 54 Prozent des Führungspersonals der USA und 42 Prozent der höheren Regierungsbeamten aus gerade einmal zwölf privaten Colleges und Universitäten kommen.
Bildung nur als soziale Differenziertheit?
Personen mit Collegeabschluss leben zudem länger, rauchen weniger, weisen kein Übergewicht auf und neigen in geringerem Ausmaß zu Depressionen. Vor allem verfügen sie später über ein höheres Einkommen und sind der Demokratie verpflichtet: Collegeabsolventen gehen eher zur Wahl als Personen, die einen normalen Schulabschluss aufweisen.
Bildung als Ware, Investition und doch auch als persönlichkeitsentfaltender Selbstzweck: Muss man also Adorno recht geben, der in seiner „Theorie der Halbbildung“ 1959 mit Blick auf die USA konstatierte: „Während die ursprünglich sozialen Differenzierungsmomente kassiert werden, in denen Bildung bestand – Bildung und Differenziertheit sind eigentlich dasselbe –, gedeiht an ihrer Stelle ein Surrogat. Die perennierende Statusgesellschaft saugt die Reste von Bildung auf und verwandelt sie in Embleme des Status.“
Wirklich? Insgesamt mag es zwar eine „Theorie der „Halbbildung“ sein, die er verfasste, indes: alle Bildung auf „soziale Differenziertheit“ zu reduzieren, dürfte ihr nicht gerecht werden. „Theorie der Halbbildung“ wurde 1959 publiziert, der ebenfalls in Frankfurt lehrende Heinz Joachim Heydorn antwortete ihm 1968 mit der lesenswerten Schrift „Über den Widerspruch von Bildung und Herrschaft“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod