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Schuhfirma unter politischem DruckBirkenstock verstolpert sich

Die Latschenfirma kündigt mitten im Wahlkampf an, ein Werk von Hessen nach Sachsen zu verlegen. Für die Politik ein willkommenes Thema.

Rein in die Latschen, auf in den Osten Bild: imago/Schöning

WIESBADEN taz | Der Schuhhersteller Birkenstock hat unter politischem Druck den geplanten Umzug eines Werks mit 281 Arbeitsplätzen gestoppt. Vor zwei Wochen hatte das Unternehmen erklärt, eine Fabrik vom osthessischen Uerzell ins sächsische Görlitz an der polnischen Grenze verlagern zu wollen. Nun hat Birkenstock das Vorhaben verschoben.

Begründet wurde die Schließung des Werkes in Hessen mit der Ineffizienz des dortigen, dreistöckigen Gebäudes, während am künftigen Standort im 500 Kilometer entfernten Görlitz eine moderne Lagerhalle – gebaut von dem in Uerzell erwirtschafteten Geld – leer stehe.

Von einer Entlassung der Angestellten in Uerzell war keine Rede, im Gegenteil. Ihnen wäre der Umzug bezahlt und eine Beibehaltung der Löhne auf Westniveau zugesichert worden. Unter dem Motto „Eine Region steht auf“ hatte daraufhin ein parteiübergreifendes Bündnis aus Lokalpolitikern mit Solidaritätskundgebungen gegen die Pläne mobilgemacht.

Daniel Müller, der örtliche Vertreter der IG Metall, sagte der taz am Montag: „Das Problem ist, dass die Menschen in der Region verwurzelt sind. Die Belegschaft ist durchschnittlich 46 Jahre alt, mit einer durchschnittlichen Betriebsangehörigkeit von 20 Jahren. Ganze Familien arbeiten da“, und die seien nicht mal eben umzusiedeln. Die eigentliche Zumutung sei, dass der Umzug „ohne erkennbaren Grund“ vollzogen werden solle: „Anstatt in Abfindungen könnte das Unternehmen auch das Angebot der Politik annehmen und in eine neue Halle an der A 66 investieren.“

SPD nennt Vorgehen „Sauerei"

Unlängst schaute denn auch der Spitzenkandidat der hessischen SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, vorbei und nannte die Vorgehensweise von Birkenstock „eine Sauerei, respektlos bis zum Anschlag.“

Birkenstock selbst fühlt sich falsch verstanden, wollte sich aber am Montag auf Anfrage der taz nicht äußern. Im Handelsblatt hatte Geschäftsführer Oliver Reichert nicht ganz zu Unrecht auf den Wahlkampf verwiesen und geklagt: „Wir sind 240 Jahre alt und haben daher eine dicke Haut. Aber wir finden es schade, dass mit einer Traditionsmarke so umgegangen wurde.“

Das Unternehmen befindet sich auf Expansionskurs vor allem in Osteuropa, während die „Gesundheitsschlappen“ derzeit in Großbritannien und USA als schickes Mode-Statement längst einen gewissen Kultstatus genießen. Die Produktion soll mittelfristig verdoppelt, die Präsenz in den nächsten Jahren auf 130 Länder ausgeweitet werden.

Gespräche mit Investoren laufen an

Zwar gibt es im Zuge der Modernisierung bereits „Umstrukturierungen“ im mittleren Management. Derzeit werden aber eher neue Mitarbeiter gerade für die Produktion gesucht und eingestellt.

Mit der Verschiebung des Umzuges gewinnt die Geschäftsführung nützliche Zeit. Angekündigt sind Gespräche mit möglichen Investoren, die einen Teil der Belegschaft in Hessen übernehmen könnten. Umgekehrt wird diese Belegschaft nach taz-Informationen bereits mit Forderungen nach Lohnkürzungen unter Druck gesetzt. Um „die Braut zu schmücken“ für eine Übernahme.

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6 Kommentare

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  • C
    ChKreß

    Im Artikel wird darauf hingewiesen, dass es sich nicht gehöre mit der Traditionsmarke Birkenstock "so umzugehen".

    Was die Menschen vor Ort (ich selbst wohne dort) jedoch dazu antreibt sich derart harsch zu wehren, ist die Tatsache, dass der Umgang des Unternehmens mit seinen Mitarbeitern alles andere als vornehm war (und ist).

    Nicht nur, dass die meisten Menschen von der Werksschließung aus der Zeitung erfahren mussten.

    Die ALSA-Mitarbeiter haben über Jahre den Gesellschaftern geglaubt, dass sie nur mit untertariflichen Löhnen das Unternehmen am Leben halten können - so weit, dass deren Lohn im Moment 15%(!) unter dem Tariflohn der Branche liegt.

    Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, sagt die Geschäftsleitung nun aus, dass Lohnnebenkosten kein Grund für den Umzug seien.

     

    An dieser Stelle könnte man noch mindestens fünf weitere Dinge nennen, die dafür sorgen, dass die Menschen vor Ort aufgebracht sind. Es ist nicht das Was, sondern das Wie!

     

    Und ich hoffe, dass die Geschehnisse hier bei uns der TAZ noch den ein oder anderen Artikel Wert sein werden.

  • T0
    Tortes 01

    @Quotenmensch:

    Es ist nicht immer das schlechteste, wenn Politiker in Unternehmensentscheidungen reinreden können. Auch das ist gelebte Demokratie :-)

     

    Wenn die Unternehmer machen könnten, was sie wollten, hätten wir hier bald Zustände wie in mittelamerikanischen Bananenrepubliken.

     

    Wie geht den das ach so tolle "Traditionsunternehmen" Birkenstock hier mit seinen Mitarbeitern um ? Mit den Menschen, die dem Unternehmen jahrzehntelang Umsatz und Gewinne erwirtschaftet haben ?

    Anstand und Respekt im Umgang mit Menschen/Mitarbeitern sieht anders aus ...

     

    Aber bei Birkenstock soll in Sachen Lohnkosten jetzt wohl eben auch nur noch alles "Geiz ist geil" sein ... das ist wohl der wahre Grund, warum man unbedingt an die deutsch-polnische Grenze will.

     

    Werden die Birkenstock-Latschen dann im Schuladen billiger ?

    Wohl kaum ...

     

    Das Geschäfsmodell stinkt gewaltig nach einem Modell "Nokia light"; von Bochum nach Rumänien umziehen zum Arbeitskostensparen und Gewinnemaximieren und dann den ganzen Laden vor die Wand fahren.

    Denn so, wie die Arbeiter in Rumänien bezahlt wurden, so haben die dann auch gearbeitet.

     

    Wer mit Nüssen bezahlt, bekommt eben Affen an die Werkbank (frei nach einem Sprichwort).

     

    Ich warte drauf, dass Birkenstock dann mit Mann und Maus in der Oder untergeht. :-)))

    • L
      lampedusa
      @Tortes 01:

      erst auskennen, dann schreiben! - Görlitz liegt an der Neiße.

  • M
    Michale

    Nur mal so: Arbeitslosigkeit in Hessen 5.9%, Arbeitslosigkeit in Sachsen 9,1%.

     

    Eigentlich sollten die Gewerkschaften und die ach so soziale SPD den Umzug begrüßen. In Sachsen werden die Arbeitsplätze und Steuereinnahmen sicher nötiger gebraucht. Aber dumpfer Lokalpatriotismus zählt dann halt doch mehr.

  • Wenn Politiker und die Politik direkt die Unternehmensentscheidung beeinflussen und damit bestimmen, ob ein Unternehmen umziehen/wegziehen kann, können wir gleich den Kommunismus einführen!

    Dann bleibt einem Unternehmen nur noch eines übrig:

    " Firma ganz legal langsam und sicher an die Wand fahren -das ist hierzulande erlaubt-,

    dann unflexiblen MA zum Jobcenter "überweisen" oder über eine steuerfinanzierte Auffangsgesellschaft abwickeln! Dann nach China, Indien oder Südeuropa um ein neues Werk mit neuem Personal aufstemmen!

    • W
      widerborst
      @Quotenmensch:

      Unternehmer - nehmen

      z.B. Infrastruktur in Anspruch, fordern die ein,

      fingern die sich hin etc;

       

      ich weiß zwar nicht, was Sie mit dem Che andeuten wollen, aber mir ist nich immer das " USA - handsoff" meines Vaters und seines besten Freundes

      ( Blohm, Venezuela; 20er Jahre& 3.Chef 60er) in den Ohren;

      gemeint war vor allem Junited Fruit;

      und nicht nur Südamerika ist voll derer Wirtschaftsruinen; verlassen, weil anderorts mehr und billiger zu verdienen war; dank Monokulturen => wasted land.

       

      Warum - meinen Sie, war Chile such a prick in the ass of USA, daß Kissinger und die CIA 9/11 inszenierte und insbesonder zwei weltberühmte Kommunisten tötete?

       

      bei Birki - sind ja auch bekanntlich nicht nur die abgebildten Jesuslatschen so bräunlich.

       

      Mit Sozialbindung des Eigentums brauch ich ihnen sicherlich erst gar nicht zu kommen!