Zivilgesellschaft und Technologie: Kleine, freie Netze
Sie kämpfen gegen Korruption in Kamerun und bringen Netflix in amerikanische Reservate: Unabhängige WLAN-Netzwerke.
BERLIN taz | „Wo wollen wir hin?“, ist die Frage, die Jürgen Neumann den Organisatorinnen bürgerschaftlich betriebener WLAN-Netzwerke aus aller Welt stellt. Im Proberaum einer Berliner Theaterschule werden zum Abschluss einer mehrtägigen Konferenz, mit Workshops zu Technik, Bürokratie und Philosophie der Netzwerke die großen Fragen freier elektronischer Kommunikation behandelt.
Neumann ist Mitbegründer der Freifunk-Initiative, die seit nunmehr 10 Jahren am Ausbau eines Netzwerkes arbeitet, dass unabhängig von großen Konzernen und abseits der Totalüberwachung der Nutzerinnen Internetzugang ermöglichen will. Er weiss um die technischen wie politischen Herausforderungen einer selbstbestimmten Nutzung der unendlichen Kommunikationsmöglichkeiten im Internet.
Auch wenn die Herangehensweisen an den Aufbau lokaler WLAN-Netze weltweit unterschiedlicher kaum sein können, eines ist doch praktisch allen Aktiven gemein: der Kampf mit staatlicher Regulierung und früher oder später die Konfrontation mit Fragen der Datensicherheit. Die konkreten Anlässe für den Aufbau der Netzwerke sind so vielfältig wie die Muttersprachen der Aktiven.
Matthew Rantanen, technischer Direktor des Projektes Tribal Digital Village in kalifornischen Reservaten zum Beispiel beschreibt die technologische Rückständigkeit in den Gemeinschaften amerikanischer Ureinwohner als eine seit Generationen bestehende politische Herausforderung. Während die Reservate administrativ fast ausschließlich mit Bundesbehörden zusammenarbeiten, liegt die Zuständigkeit für Infrastrukturmaßnahmen, wie die Bereitstellung von Breitbandinternetzugang bei den Staaten. „Beim Überschreiten der Grenzen zu den Reservaten kann man den Abfall im Zugang zu Ressourcen fast körperlich spüren.“, erläutert er die Folgen dieser Situation.
Bruch der Monopolmacht
Von einer ganz andere Ausgangslage erzählt der 29-jährige Jurist Al Banda aus Kamerun. Die größte Herausforderung für ihn ist die Korruption der zwei großen Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen. Selbst in urbanen Ballungsräumen ist der Internetzugang nicht nur instabil und unzuverlässig, sondern auch sehr teuer. Gleiches gilt für mobile Telefonie. Das Hauptziel des unabhängigen Netzwerkes „LANd of Red Clay“, dass in der kleinen Universitätsstadt Buea entsteht, ist zuallererst der Bruch der Monopolmacht in der Kommunikation.
Banda, der als Community Manager für Activspaces, ein Projekt zur Förderung und Vernetzung von innovativen Unternehmen und Einzelpersonen tätig ist, zeigt auf, dass elektronische Kommunikation gar nicht zwingend den weltweiten Zugang benötigt. Alleine die kostengünstige und selbstverwaltete Kommunikationsstruktur vor Ort stellt einen gewaltigen Fortschritt dar. Eigene SMS-Applikationen, die das WLAN-Netzwerk vergleichbar mit WhatsApp nutzbar machen, der Zugang zu gecachten Webseiten und kostenlos zur Verfügung gestellte Inhalte von Anbietern wie dem MIT, machen das Netzwerk zu einer zwar nicht idealen, aber pragmatischen Alternative zu den vorhanden Internetangeboten.
Als gefährliche Konkurrenz zu den kamerunischen Telekomkonzernen wird das Netzwerk noch nicht wahrgenommen. Das Wachstum der Vernetzung jedoch wird über kurz oder lang zu einer Konfrontation führen, glaubt Banda. Beschränkungen über staatliche Regulierung werden dann wohl nicht ausbleiben.
In Kalifornien löst sich derweil für Rantanen und Tribal Digital Village ein erhebliches technisches Problem durch eine Ironie der Geschichte. Das größte Hindernis für die großflächige WLAN-Versorgung ist die scharfe Regulierung der Höhe von Sendemasten. Rantanen erzählt dazu von der Geschichte der Verdrängung der amerikanischen Ureinwohner in unwirtliche Landstriche. Grinsend sagt er: „Dafür gehören uns jetzt alle Berggipfel in der Gegend.“, und damit die idealen Orte für die Errichtung der Sender mit störungsfreien Sichtachsen in die Täler.
Die technische Basis der Kommunikation
Aber wo wollen die Aktiven aus Kamerun, den USA, Indien, Deutschland und zig anderen Ländern nun hin? Was bringt sie zusammen? Freifunker Neumann glaubt, dass unabhängig von der ursprünglichen Motivation die treibende Kraft der Netzwerke der Versuch ist, die technische Basis der Kommunikation selbstbestimmt zu kontrollieren. Das Zeitalter der Vernetzung hat schließlich quasimonopolistische Großkonzerne und eine neue Qualität staatlicher Überwachung mit sich gebracht. Freie WLAN-Netzwerke sind ein möglicher Weg, ein Stück weit die Kontrolle über die eigene Kommunikation zurückzugewinnen.
Der Künstler und Aktivist Julian Priest, einer der Gründer des ersten freien WLAN-Netzwerkes in Großbritannien, formuliert das als den Wunsch, das ursprüngliche Versprechen des Internets einzulösen: den sozialen Charakter der Kommunikation zu betonen und diese in den kleinen, freien Netzen mit menschlicher Wärme anzufüllen.
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