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Hochschule in Berlin-Oberschöneweide„So wat wie dir helf ick nich“

An der Hochschule für Technik und Wirtschaft studieren junge Leute aus mehr als 100 Nationen. Wie gehen sie damit um, dass der Kiez eine Neonazi-Hochburg ist.

Sieht man öfters rund um den S-Bahnhof Schöneweide: Fan der NPD. Bild: dpa

„Sie erkennen mich bestimmt von alleine“, sagt Dilek Güzelçayır* vor dem Interviewtermin am Telefon. Und so ist es dann auch. Auf dem Bahnsteig im S-Bahnhof Schöneweide, wo bis hin zu den Lampen noch alles aus DDR-Produktion stammt, ist die türkischstämmige 22-Jährige die einzige Frau mit Kopftuch weit und breit.

Güzelçayır, eine kleine, zierliche Frau, studiert seit drei Jahren internationale Medieninformatik an der HTW, der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Jeden Morgen kommt sie am S-Bahnhof an und fährt von dort mit der Tram zum „Campus Wilhelminenhof“ am gegenüberliegenden Spreeufer. Die größte Berliner Fachhochschule hat ihren Standort in Oberschöneweide offiziell 2009 eingeweiht, erste Veranstaltungen fanden aber schon 2006 statt. Heute studieren fast 8.000 junge Menschen hier.

Die sechsgeschossigen ehemaligen Industriegebäude mit den hellen Klinkerfassaden tragen als Kennzeichen Buchstaben. Die Mensa – ein Neubau mit viel Glas – liegt direkt an der Spree, davor hat man mit Sand eine Strandbar aufgeschüttet. Türen öffnen automatisch, alles ist barrierefrei, wirkt neu und modern. Nichts erinnert hier an den DDR-Mief im S-Bahnhof.

Im vergangenen Jahr war die Tramlinie eine Zeit lang unterbrochen, Dilek ging die zwei Kilometer vom S-Bahnhof zur HTW zu Fuß. Der Weg führt durch die verlärmte Brückenstraße, vorbei am Nazi-Szenetreff „Zum Henker“ und dem Ausrüstungsladen „Hexogen“, den NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke betreibt. Kein gutes Gefühl.

Bevor sie 2010 ihr Studium aufnahm, kannte Güzelçayır den Kiez nur aus Erzählungen. „Ich wusste, dass es hier rechte Bewegungen gibt“, erzählt sie. Die gebürtige Berlinerin ist in Schöneberg aufgewachsen, mittlerweile wohnt sie in Tempelhof. Der Osten war für sie unbekanntes Terrain. „Da hatte ich schon ein paar Ängste.“ Als sie das erste Mal nach Schöneweide fuhr, passierte – nichts. Und auch die nächsten Male nicht. Ihre Befürchtungen schienen übertrieben.

Das änderte sich, als die gläubige Muslima anfing, Kopftuch zu tragen. „Die Leute gucken mich seitdem anders an“, sagt Güzelçayır, „nicht nur in Schöneweide“. Aber gerade hier blieb es nicht dabei. Zuerst war da das Erlebnis mit der Frau, bei der sie sich nach dem Schienenersatzverkehr erkundigte. „Eine deutsche Durchschnittsfrau, Ende 30, Anfang 40“, erinnert sich Güzelçayır. Deren Antwort lautete: „So wat wie dir helf ick nich.“

Es folgten weitere unangenehme Situationen. Wie die Fahrt mit der Straßenbahn vor Kurzem, als sie mit einer Freundin im überfüllten Waggon stand. Zwei Männer mit Glatze und Bierflaschen in der Hand guckten sie fortwährend an, erzählt Güzelçayır. Herausfordernd, aggressiv. Und im letzten Winter war sie abends in der Tram allein mit einer Gruppe Rechter. „Sie haben mich angeschaut, und ich habe versucht, jeden Blickkontakt zu meiden.“ Am Bahnhof Schöneweide verließ sie die Tram eilig als erste, die Nazis hinterher. „Die haben mir rassistische Sprüche hinterhergerufen.“ Bis die Männer, endlich, einen anderen Weg einschlugen.

Eigener Kosmos

„Das alles hat mich eingeschüchtert“, sagt Dilek Güzelçayır, „aber ich bin auch daran gewachsen. Gerade diese Menschen zeigen dir, wer du wirklich bist.“ Trotzdem sei sie wachsamer geworden. Mittlerweile meidet sie es, alleine mit der Straßenbahn zu fahren und nimmt immer KommilitonInnen mit. Ganz anders sei das auf dem Hochschulgelände. „Die HTW ist ein eigener Kosmos“, sagt Güzelçayır. „Hier fühle ich mich sicher, alle Kulturen und Nationen treffen sich hier.“

Hochschulsprecherin Gisela Hüttinger bestätigt: In der HTW studieren Menschen aus 109 Nationen. „Trotzdem würde ich nicht behaupten, dass wir besonders international sind.“ Mit 13,1 Prozent Ausländern liegt die Hochschule hinter der FU und der TU mit jeweils knapp 20 Prozent. Trotzdem ist der Campus ein multikultureller Pol im Schöneweider Kiez.

Nach ihrem Bachelor will Güzelçayır nicht an der HTW weiterstudieren. „Viele meiner Freunde studieren an der TU, da ist die Atmosphäre im Kiez gelassener“, erzählt sie. „Aber der Wechsel von einer Fachhochschule an eine Uni ist schwierig“, setzt sie etwas resigniert hinterher. Es könnte sein, dass sie noch einige Jahre mit der Tram durch die Brückenstraße fahren muss.

* Name geändert

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18 Kommentare

 / 
  • HR
    H. Raudzus

    Ich sehe die Entwicklung in Schöneweide positiv. Der Stadtteil verändert sich. Junge Familien ziehen hin, wie schon weiter unten jemand kommentierte. In den Industrieruinen in Schöneweide sind kreative (dringend nötige!) Kräfte am Werk. Der Pleite-Max-Bahr ist bald weg. Der Bahnhof wird saniert.

     

    Die Umgebung ändert sich: Zwei kurze S-Bahn-Stationen weiter entsteht in Adlershof ein neues Viertel. Dort wird derzeit viel Wohnraum geschaffen. Damit man sich in dem riesigen Kaufland-Markt eines Tages hoffentlich nicht mehr so einsam beim Einkaufen fühlt.

     

    An dem Technologie-Standort wird sich noch einiges an Arbeitsplätzen positiv bewegen, meine Prognose.

  • B
    Blechstein

    Das ist der Preis der Individualität, wenn man sich bewußt außerhalb ungeschriebener Gesetze stellt.

    • MS
      Marmor, Stein und Eisen
      @Blechstein:

      Das Gesetz der Straße ja?

       

      Zeit zum Wertschätzen des in der Verfassung festgelegten Gesetzes. Das besagt Gleichberechtigung! Unabhängig jedweder Zugehörigkeit zu einer Religion, Ethnie oder Geschlecht.

       

      Meine Emfpehlung, Blechstein: Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland lesen. Können alle kostenlos bei der Bundeszentrale für politische Bildung beziehen.

  • FN
    FIVE ntahDOW

    Ebenso wenig normwertig fand ich im wohlhabenden Bezirk Steglitz-Zehlendorf den diskriminierenden Aufkleber auf der Rolltreppe der U-Bahn am Walther-Schreiber-Platz. Der forderte mich beim Draufsehen kürzlich dazu auf, "Sinti und Roma" kein Geld zu spenden.

     

    Ungerechtigkeit hat viele Gesichter. Genaues Hinsehen hilft dagegen besser als Verallgemeinerung.

     

    Städtische Grüße

    Betti

  • T
    TN

    Es gibt sehr viele Menschen, die gerne in Schöneweide leben und arbeiten. Viele junge Familien ziehen inzwischen hier her und machen den Kiez bunter. Ich hoffe, dass sich diese Zeitung demnächst etwas differenzierter mit Schöneweide auseinandersetzt. Die Berichterstattung ist erstaunlich einseitig.

  • N
    nihi.list

    @ACK

    Dieser Artikel besagt, dass die Westlinken und deren Zentralorgan es den Ossis immer noch nicht verziehen haben, dass diese mit der Illusion eines funktionierenden Sozialismus aufgeräumt haben.

     

    DENN: Wer vom Denken und den Idealen eben jener Westlinken abweicht, muss aus deren Sicht zwangsläufig ein Nazi sein. Etwas anderes als guter Linker oder böser Nazi scheint in deren Schubladenwelt nicht zu existieren.

  • S
    Studi

    Was möchte uns dieser Artikel eigentlich sagen?

    • G
      Gast
      @Studi:

      Meine Interpretation: wie sich Xenophobie im Alltag äußert. Zu was sie führen kann, Beispiel Abwanderung von Fachkräften. Das Phänomen Marzahn-Hellersdorf grüßt.

  • A
    ack

    'DDR Mief' - was heisst das fuer die TAZ? Alles was mit DDR zu tun hat war miefig soll es wohl heissen. Angefangen bei den miefigen Lampen, auch die HTW waere ohne Strandbar und Glasfassaden wahrscheinlich miefig. Es geht ums aeussere, wie fast alles jetzt. DDR-Lampe=Mief, Glasfassade=weltgefuehl. Eine Frau die in der BRD sozialisiert wurde hilft so wat nich, gross geworden sind die Rechten trotz Glasfassaden, mit VS-Hilfe, und aus sozialer und kultureller haltlosigkeit.

    In Schoeneweide war mal eines der groessten Elektrotechnik Standorte der DDR, nach der Wende nichts mehr. Der gewollte Zusammenbruch ohne Auffangen der Beschaeftigten hat natuerlich Folgen. Was will dieser flache und miefige Artikel mir sagen?

    • HR
      H. Raudzus
      @ack:

      Das bezog sich auf den sanierungsbedürftigen Bahnhof Schöneweide. Nehme ich an. Der Bahnhof Schöneweide wird derzeit ja umfassend überholt. Danach ist der nicht mehr miefig.

  • A
    Anna

    Und was hat das jetzt mit Nazis zu tun? Das selbe erlebt eine junge Blondine, wenn sie in einem vor allem von türkischen Einwanderern dominiertem Kiez unterwegs ist.

     

    Gerade die Berichte von aggressiven Männern, mit denen man jeden Augenkontakt vermeiden sollte, lässt aufhorchen. Das ist nichts originär rechtes, sondern mittlerweile (politisch gewollt?) Realität in jeder Großstadt in bestimmten Vierteln zu bestimmten Tageszeiten.

    • B
      Betti
      @Anna:

      Ich bin auch eine junge Frau. Zum Glück bin ich in der Situation, überall in der Stadt zu jeder Tageszeit locker rumlaufen zu können. Liegt vielleicht daran, dass ich von klein erforschte, wie die unterschiedlichen Viertel ticken. Oder dass ich Selbstverteidigung gelernt habe.

       

      Letztes Jahr saß ich wieder mal mittags in der Tram am Bahnhof Schöneweide. Ein sehr viel muskolöserer, blankrasierter Mann mit "Thor Steinar"-Jacke kam rein und baut sich vor meinem Sitz auf. Sah mir in die Augen. Ich blinkerte ihn süßlichst-naiv an, als dass ich seine Kleidung kommentierte. Gewaltprävention. Ich sah sein Verhalten trotzdem nicht als normwertig für eine Großstadt an.

       

      Danach ging ich lieber zum SPD-Ortsverein in Schöneweide und fragte die, was die von meinen Schöneweide-Beobachtungen halten. Gab noch so zehn mehr rechte Symptome, die Schöneweide zu einer No-Go-Area für einen Teil der Berliner Bevölkerung machen. Am eindringlichsten ist aus meiner Sicht nach wie vor die Bestattungswerbung auf dem Gleis Schöneweide. Assoziation KZ.

    • B
      Betti
      @Anna:

      Hi Anna!

       

      Bei einer "jungen Blondine" hieße das Sexismus. Bitte differenzieren gegenüber Rassismus. Unterschiedliche Formen der Diskriminierung sollten unterschiedlich benannt werden.

       

      Toll, dass Sie als Hauptmerkmal der beschriebenen Frau ihre Haarfarbe hervorheben anstatt blondhaarige Frau zu sagen.

  • I
    Interpretator

    Ich kann der Dame nachfühlen ... Ich habe als Deutscher 10 Jahre in Moabit gewohnt: rassistische Pöbelein, Bedrohungen usw. Als Mann blieben mir zumindest die blöden Anmachen und sexuellen Belästigungen erspart, die vielen Frauen (ohne Kopftuch) in Berlin - nicht unbedingt von rechten Deutschen - tagtäglich widerfahren. Es wäre schön, wenn man in ganz Berlin unabhängig von Herkunft, Geschlecht usw. sich bewegen könnte. Ist leider - auch für Männer und Frauen ohne Kopftuch - nicht überall möglich, auch wenn dieser Umstand nicht für einen Artikel reicht.

  • Selbst nach über 23 Jahren nach der Wende meide ich gewisse Stadtteile im ehemaligen Ostteil Berlins, dazu gehört auch Schöneweide! Ein Jammer!

    • L
      lotus
      @Michael KLlein:

      23 Jahre nach der Wende fange ich an nicht mehr Bezirke im Westen zu meiden...

  • ...schweineöde..., ;)

    • B
      Betti
      @tomas:

      "Schöner Weiden",

       

      steht an der Hauswand gegenüber der Kneipe "Zum Henker" in großen Lettern in einem Graffito. Erinnert mich immer an die Wraith aus der Science-Ficton-Serie Star Gate.