Berlinale-Preisträger ohne Asyl: Verantwortung für die, die da waren
2013 war er Festivalstar, 2014 im Flüchtlingsheim. Das Schicksal des bosnischen Laiendarstellers Nazif Mujic erregt vor der Berlinale die Gemüter.
BERLIN taz | Nazif Mujic ist glücklich. Die letzten Wochen waren „super“, sagt er. Durch die vielen Besuche von Journalisten sei endlich etwas Abwechslung in seinen öden Alltag im Flüchtlingsheim gekommen. Und: Er macht sich Hoffnungen, dass er und seine Familie doch noch in Deutschland bleiben können. Viel Zeit bleibt nicht: Mujic Aufenthaltsgenehmigung läuft am 9. März ab.
Als die taz Mitte Januar schreibt, dass Nazif Mujic und seine Familie in einem Flüchtlingsheim in Spandau leben, weiß davon kaum einer: Nicht die Medien und nicht die Mitarbeiter der Berlinale. Mujic hofft, dass durch den Bericht viele auf sein Schicksal aufmerksam werden. Und „dass gute Leute in Berlin mir helfen werden“.
Mittlerweile haben ihn rund 40 Journalisten in seinem 35 Quadratmeter kleinen Zimmer im Heim in Gatow besucht, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Frankreich, Serbien und Japan. Auch die Berlinale reagierte rasch – und schickte eine Limousine ins Heim. Die brachte Mujic zu einer Anwältin, die sich seines Falls annahm. Die Kosten dafür übernehmen die MitarbeiterInnen der Berlinale, auf Initiative der Festivalleitung.
Nazif Mujic ist nun fast wieder so bekannt wie vor einem Jahr. Zum Abschluss der Berlinale 2013 war der 43-jährige Laiendarsteller zum besten Schauspieler des Filmfestivals gekürt worden. In dem halbdokumentarischen Film „Eine Episode im Leben eines Schrottsammlers“ von Regisseur und Oscar-Preisträger Danis Tanovic spielt er sich selbst.
Bald ganz unten angekommen
Seine Rückkehr nach Bosnien gleicht einem Triumphzug. Fotos aus dieser Zeit zeigen Nazif Mujic mit breitem zahnlosem Lächeln und dem Silbernen Bären – der offiziellen Auszeichnung – in der Hand. Nur wenige Monate später ist er ganz unten angekommen. Als Metallsammler konnte er nicht mehr arbeiten: Die einstigen Kollegen ließen ihn nicht mitmachen, sie verspotteten ihn: „Ein so berühmter Schauspieler, der Schrott sammeln muss.“ Auch ein Bandscheibenvorfall setzte ihm zu. Kurz: Ihm und seiner Familie fehlte es am Nötigsten, um zu überleben. So kam Mujic, Angehöriger der Minderheit der Roma, im November zurück in die Stadt seines größten Erfolgs, mit seiner Frau Senada, den beiden Töchtern und seinem Sohn.
Wenn am Donnerstag die Berlinale feierlich eröffnet wird, wird auch Nazif Mujic dabei sein. Stolz zeigt er seine Akkreditierungskarte. Er freut sich. Auch darauf, für fünf Tage aus dem engen Zimmer im Flüchtlingsheim rauszukommen, um in einem Luxushotel zu übernachten. Allein, denn seine Frau und seine Kinder bleiben im Heim. Er aber wird über den roten Teppich laufen und wieder sein zahnloses Lächeln in die Kameras schicken. Überraschend haben auch Regisseur Danis Tanovic und Amra Baksic Camo, die Produzentin des Films, ihr Kommen angekündigt. Sie wollen mit Mujic über seine Zukunft reden, sagt Mujic.
Auch der für den Fall politisch zuständige Innensenator registriert offenbar, wie viel Empörung und Mitgefühl der Fall Mujic in der Öffentlichkeit auslöst. Einstweilen wolle man sich aber aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht zu Einzelfällen äußern, war aus dem Büro von Frank Henkel (CDU) zu hören.
„Wir wollen hierbleiben“
Mujic Chancen, hierbleiben zu dürfen, stehen indes nicht gut. Am 9. März läuft seine Aufenthaltsgenehmigung ab, 11 Tage vorher muss seine Frau gehen. Er wird sie nicht allein ziehen lassen. „Wir wollen hierbleiben, um zu arbeiten und ein normales Leben zu führen, damit unsere Kinder zur Schule gehen können. Wir wollen nicht reich werden, nur normal leben“, so Mujic.
Doch Bosnien-Herzegowina gilt, wie alle anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien, als „sicherer Drittstaat“. Menschen aus diesen Ländern können also abgeschoben werden. Dass auch Armut Leben zerstören kann, wird im Asylrecht nicht berücksichtigt. Die Lage für Roma ist schwierig in Bosnien. Laut Amnesty International sind rund 70 Prozent der Roma dort arbeitslos, Human Rights Watch spricht gar von 95 Prozent.
Wenzel Michalski, Deutschlandchef von Human Rights Watch, sieht auch eine grundlegende institutionelle Diskriminierung. „In Bosnien gibt es eine Verfassung, die besagt, dass Roma und Juden sich nicht für politische Ämter bewerben dürfen.“ Es müsse Druck ausgeübt werden, damit diese Gesetze geändert werden.
Nazif Mujic schwarzer Anzug hängt im Schrank bereit. Auch den Silbernen Bären hat er dabei: Er trägt ihn immer mit sich aus Angst, ihn zu verlieren. Er sei sein wichtigstes Dokument, sagt er immer wieder. Deshalb würde er ihn auch nie veräußern. Die Doktorandin Anna Martin möchte ihn ihm trotzdem abkaufen. Symbolisch sozusagen. Wie viele BerlinerInnen, die von Mujic Schicksal erfahren haben, möchte sie etwas tun. Mit Kommilitonen hat sie Geld gesammelt, das sie ihm Ende Februar übergeben wird. Hoffentlich ist es kein Abschiedsgeschenk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung