Schamanen-Treffen in Mexiko: Gegen die bösen Schwingungen
Scheitern, Krankheit, Tod? Helfen Magier mit Tiger-Kontaktlinsen? Ein Selbstversuch beim Zauberfestival im mexikanischen Catemaco.
Schritte schlurfen über den Steinboden, die Tür des Behandlungszimmers geht auf, und er steht vor mir: Guicho, ein großer, schlanker Mann mit Adlernase und Schnurrbart. Um seinen Hals baumelt ein Schildkrötenschädel, Kojoten- und Krokodilzähne klimpern daran. „Was ist denn los, meine Liebe?“, fragt mich der Schamane mit ruhiger, summender Stimme.
Ich bin zum Festival gereist in der Hoffnung, die Beziehung zu meiner besten Freundin zu kitten. Einen richtigen Streit hatten wir nie. Der Raum, den wir uns gegeben haben, ist Stück für Stück größer geworden. Warum also nicht den Zauberern des mexikanischen Catemaco eine Chance geben?
An diesem Wochenende kommen Touristen von überallher nach Catemaco im Osten Mexikos, um gemeinsam mit den Magiern das Festival des ersten März zu feiern, sich dort mit Reinigungsritualen von allem Bösen zu befreien und Kenntnisse auszutauschen.
Der Ort: Catemaco ist eine Kleinstadt mit 50.000 Einwohnern am Golf von Mexiko. Hier tummeln sich so viele Hexen, Heiler und Schamanen wie an keinem zweiten Ort im Land. Manch einer bezeichnet Catemaco sogar als magischen Mittelpunkt der Welt. Über die Ursache seiner Magie haben die Dorfbewohner viele Theorien. Manche glauben, die Energie sei so stark, weil Catemaco im Zentrum dreier Vulkane liegt; ein Fischer erzählt, der Vulkansee sei ein magischer Spiegel ins Universum; und wieder andere berufen sich auf die Geschichte Catemacos, das schon zur Zeit der Olmeken das Handelszentrum für Heilkräuter war. Mit der Ankunft der Spanier vermischte sich die traditionelle Heilkunde mit spanischen Bräuchen und westafrikanischen Voodoo-Praktiken. Bis heute praktizieren die Zauberer von Catemaco ihren ganz eigenen Magiemix.
Das Festival: Immer am ersten Freitag, dieses Jahr am 6. März, kommen sie von überallher, um sich von den negativen Energien zu befreien. Mittlerweile wird das Festival von der Regierung des Bundesstaates Veracruz mit rund 62.000 Euro vollfinanziert, denn Catemacos magischer Ruf hat sich zu einer lukrativen Einnahmequelle gemausert: für Magier und Tourismus. Der Tourismus-Direktor schätzt die Zahl der Besucher auf rund 20.000.
Vom Warteraum bis auf den Gehsteig schlängeln sich Plastikstühle. Guicho, der eigentlich Luis Tomás Marthen Torres heißt, ist ein gefragter Mann in Mexiko. Dem Politikmagazin Proceso zufolge vertraut sogar der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto auf den Magier und darauf, dass er bösen Schwingungen ein Schild vorsetzt.
Amulette und Kräuterelexier
Im Behandlungszimmer erkläre ich Guicho mein Anliegen, doch der scheint mir überhaupt nicht zuzuhören und kneift stattdessen die Augen zusammen. Sein Blick durchbohrt mich. „Zwischen dir und deiner Aura klafft ein Abgrund, und das Böse ist dir nahe“, sagt er. Wie nahe, und was heißt nahe überhaupt? Scheitern, Krankheit, Tod? Er drückt mir einen Stapel Tarotkarten in die Hand. „Zieh eine, irgendeine.“
Auf meiner Karte prangt ein weibliches Skelett, eine Sense in der Hand. „Der Tod“, murmelt er. „Tod!“, hallt es dumpf in meinem Kopf. Dann fragt er: „Bist du mit deinem ersten Partner im Bösen auseinandergegangen?“ – „Ja“, antworte ich verdutzt. „Er hat dich verhext, damit dir niemand mehr mit Liebe begegnet.“ Die Spannung in mir löst sich wie eine Brausetablette in Mineralwasser.
Während ich mir noch vorstelle, wie mein Exfreund in Franken ums Feuer tanzt und mich mit einem Fluch belegt, präsentiert Guicho mir ein Amulett und ein Kräuterelixier. „Damit reibst du dir täglich die Brust ein, und in einer Woche ist der Fluch gebannt“, sagt er. Ich wühle in meiner Handtasche nach meinem Geldbeutel. Den Preis für die Express-Analyse mit Amulett und Tinktur überlässt Guicho gern dem Ermessen des Patienten – unter 15 Euro liegt das selten. Ein lascher Händedruck, dann schiebt er mich raus und brüllt „Nächster!“ Neugierig schnuppere ich an der grünen Brühe: Sie riecht nach Aftershave.
Aztekische Tänzer in Trance
Von Guichos Praxis sind es nur ein paar Blöcke bis zum Ufer der Lagune. Wolken hängen über der Wasseroberfläche wie ein nasser Waschlappen vor dem Auswringen. Aus der Ferne dröhnen die Muschelhörner, und ich folge ihren Rufen die Uferpromenade entlang bis zu einer kleinen Halbinsel am Stadtrand: das Festivalgelände. Wie in Trance stampfen die aztekischen Tänzer, die Concheros, ums Lagerfeuer. Drumherum hat die Stadt Strohhütten aufgebaut, in denen die Schamanen auf Kundschaft warten. Plakate preisen die magische Palette von Kräuterkunde über Reiki bis zu Tarot.
Neben einer der Hütten sitzt Rosaelia Belli Chagala, die einzige Frau unter den Magiern. Ihr Lächeln strahlt warm, nur ihre Augen blitzen wild unter den Tiger-Kontaktlinsen. Ich bleibe stehen. „Deine Aura ist schwach, lass mich dich reinigen.“ Ich weiß nicht, ob es Rosaelias Ruhe oder ihre honigsüße Stimme ist, aber als sie den Vorhang zur Seite schiebt, schlüpfe ich hinter ihr ins Innere der Hütte. Drinnen flackern Kerzen auf einem kleinen Altar. Kerzengerade stehe ich da, die Augen geschlossen. Rosaelia fächert mir Harzrauch zu, ich sauge ihn ein, lasse meine Gedanken auf die Rauchwolke fallen und meine Bedenken mit ihr davonschweben.
Blütenbad gegendie große Leer
Als ich die Augen langsam öffne, ruht ihr Blick auf mir, durchdringt mich. Ich erzähle ihr von der Freundin, die einmal meine beste war und es wieder werden soll. Rosaelia schnauft und schüttelt den Kopf. „Du bist zu stolz, Prinzessin, das blockiert dich. Deine Freundin hat eine große Leere in dir hinterlassen, du wünscht sie dir zurück, aber bisher hast du nichts dafür getan.“
Ihre Stimme ist so sanft, dass sie sich wie eine Wolldecke um mich legt. Rosaelia kritzelt ein Rezept für ein Bad aufs Papier: sieben Zimtstängel, sieben Nelken, sieben gelbe und rote Blüten und drei Löffel Honig. „Du musst deinen Weg versüßen, die Freundschaft wiederaufleben lassen. Sprich mit ihr!“ Ich nicke und lege 200 Pesos in ihr Körbchen.
Ob meine Aura jetzt so stark ist wie ein Jaguar? Ich weiß es nicht, fühle mich aber wie nach einem Wellness-Wochenende. Und für 12 Euro war das ein Schnäppchen. Tiefenentspannt schlendere ich über das Gelände und treffe einen Stadtführer. Nach höflichem Hin- und Hergeplänkel beugt er sich zu mir und wispert mir ins Ohr, ob ich um Mitternacht zur schwarzen Messe gehe. „Schwarze Messe?“ Ich horche auf. Das könne ich mir doch nicht entgehen lassen, beiden Seiten der Magie zu begegnen, flüstert er. Die Neugierde kribbelt mir in den Fingerspitzen. Vielleicht kann so der Fluch, von dem Guicho gesprochen hat, gebrochen werden. Ein paar Stunden später, kurz vor Mitternacht, fahre ich mit dem Taxi an den Stadtrand. Hier soll die Messe stattfinden.
Der Kuttenmann und die Teufelsstatue
Vor einem Wohnhaus steht eine Spanierin und zieht nervös an ihrer Zigarette. „Auch zur schwarzen Messe hier?“, frage ich. „Eigentlich schon, aber, ne du, es gibt Sachen, die sind echt zu krass“, sagt sie, tritt den Stummel in den Staub, steigt ins Taxi und holpert über die Lehmhubbel in die Nacht.
Das Eisentor schwingt knarzend auf. Ein Steingarten mit einem Brunnen. Daran lehnt ein großer Mann mit Kamera und plaudert mit seiner blonden Freundin. Ausländer, Touristen, meinesgleichen! Ich atme auf. Rotes Licht schimmert aus dem Hinterhof. Ein Pentagramm ist dort mit Asche auf den Steinboden gestreut, in der Mitte ein Altar, aus dessen Becken gierig Flammen züngeln.
Ein paar Dutzend Leute stehen um das Pentagramm und beobachten den Kuttenmann, der sich vor der Teufelsstatue verbeugt. Beinahe genauso viele Kameras wie Augenpaare sind auf ihn gerichtet, als ein schrilles Lachen die Stille zerschneidet. Eine Frau neben ihm krampft und schüttelt sich. Sie kreischt, lacht und ruft dann ruhig und tief „Danke, dass ihr mich hier sein lasst“, bevor sie in sich zusammensackt. Bin ich gerade Zeugin eines Falls von Besessenheit geworden? Sicher hatte Satan Besseres zu tun, als sich für neugierige Touristen bei einem Showevent vorführen zu lassen. Doch wenn das gespielt war, was ist dann wirklich echt in Catemaco und was nur Hokuspokus?
Bevor ich eine Antwort finde, geht es weiter im Programm. Die Hand des Kuttenmanns würgt ein schwarzes Huhn. Es will gackern, doch nur ein Krächzen entfleucht seiner Kehle. Er rupft ein Büschel schwarzer Federn. Das Tier schreit grell, und sein Schrei schneidet mir bis ins Herz. Zurück bleibt nackte Hühnerhaut. In Todesangst wedelt es mit den Flügeln und versucht sich aus den Fängen zu befreien, doch schon blitzt Messers Schneide im Feuerschein. „Wie das Leiden dieses Tiers wird das Leiden der Feinde sein, an die wir jetzt denken.“ Ein letzter Schrei, ein stumpfer Schnitt. Der Kopf fällt dumpf zu Boden.
Sechs weitere Hühner und zwei Stunden später ist die schwarze Messe vorbei. Der Kuttenmann kommt dahergeschlendert, ich spreche ihn an. Martín Villegas Jimenez ist ein schwarzer Hexer. Seit 30 Jahren ist es sein Job, Leuten das Leben zur Hölle zu machen. Untreue Ehemänner mit Flüchen belegen, Konkurrenten ausschalten und ewiges Unglück heraufbeschwören.
Der Chef-Schamane aus Los Angeles
Doch was so herum funktioniert, muss doch auch andersherum gehen? Ich zögere kurz, dann erzähle ich von meiner Freundin. Martín durchschaut den Zauber sofort: Jemand hat zwei Puppen mit dem Rücken zueinander festgeknotet und in Chilisoße getaucht. Er kann den Fluch brechen. Dazu braucht er nur zwei rote Puppen, die den Teufel darstellen. Und zwei weiße für die Liebe. Er wird sie ebenso zusammenzurren, bei den weißen dann die Bänder durchtrennen, sie mit den Köpfen zueinander festbinden und in Honig stecken, damit sie wieder fest zusammenkleben.
Außerdem sieben Reinigungen mit seinen heilenden Händen, jeden Tag eine. „So lange bin ich nicht mehr hier“, wende ich ein. „Kein Problem! Du lässt mir einfach ein Foto von euch da, und ich mach das schon.“ Wie viel mich das denn kosten würde, frage ich. „Mach dir da mal keine Sorgen, Güera“, sagt er, „ich will mich ja nicht an meiner Gabe bereichern. Für dich nur die Materialkosten, also so 500 Euro.“ Er grinst. „Hier ist meine Karte. Ich mach dir das auch per Telefon, wenn du vorher überweist.“
Ich nicke und stakse davon, vorbei an den Hühnerköpfen, vorbei an Satans Statue, vorbei an der Besessenen. Mich ekelt vor mir selbst, dass ich überhaupt hierhergekommen bin. Vor dem Kuttenmann und seinem düsteren Geschäftssinn und vor den leblosen Hühnerleibern, die nicht Satan, sondern der Show zum Opfer gefallen sind. Ein Taxi kommt nicht, also laufe ich. Keine Menschenseele weit und breit. Endlich verdrängen Straßenlaternen die Dunkelheit, und meine Schritte hallen auf dem Asphalt. Im Hotelbett schließe ich die Augen. Statt Schäfchen zähle ich Hühner.
Der nächste Morgen. Auf der Festival-Halbinsel glimmt das Lagerfeuer noch, die Tänzer liegen im Sand und recken die müden Glieder. An einer der Hütten hängt ein Leinenplakat. „Santiago Guadalupe – Großer Chefschamane“ steht darauf. Ein letzter Versuch, denke ich und trete ein. Drinnen speien schwarze Kerzen Schattenfratzen an die Wand. Unzählige Statuen der Santa Muerte stehen stramm vor dem Altar.
In der Mitte hockt er, der selbsternannte Chefschamane, extra aus Los Angeles angereist. Er zieht am Zigarrenstummel und pustet mir den Qualm ins Gesicht. So kommuniziere der Rauch mit ihm, sagt Santiago, und er verleihe ihm Stimme. „Deine Freundin hat dich aus Neid mit einem Fluch belegt, den müssen wir aufheben.“ Wie, will ich wissen.
„Wir fahren auf eine Insel der LaguneDort wirst du zur Santa Muerte beten, dass sie den Fluch bricht.“ - „Wie lange?“ - „Bis ins Morgengrauen.“ - „Tieropfer?“ - „Vielleicht. Einmal begonnen, gibt es kein Zurück mehr.“ Ich spüre, wie die Sensen der Skelette die Luft zersäbeln und ihre knöchernen Finger nach mir grapschen. „Kein Zurück.“ Santiago grinst, das Kerzenlicht flackert über sein Gesicht. „Danke, ich denke drüber nach“, murmle ich, stolpere nach draußen.
Drei Wochen später sitze ich mit meiner Freundin bei einer Tasse Kaffee. Fast wie früher. Letzten Endes war es einfach: Ich habe es mit Rosaelia gehalten, bin über meinen Schatten gesprungen, habe sie angerufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an