Verfehlter Artenschutz?: Fischlein in die Elbe gekippt
Fischer setzen Tausende Glasaale zwischen Schnackenburg und Geesthacht aus, die im Atlantik gefangen worden sind.
HANNOVER taz | Vertreter der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und der Fischerei haben am Mittwoch mehr als 470.000 Glasaale in der Elbe ausgesetzt. Die Jungfische sollen den arg dezimierten Bestand auffrischen. Während die Landwirtschaftskammer das als ein pragmatisches Mittel verteidigt, um die Fischart zu erhalten, haben viele Wissenschaftler ihre Zweifel: Möglicherweise sei es sogar kontraproduktiv.
Der Internationale Rat für Meeresforschung (Ices) hat 2011 darauf hingewiesen, dass es noch nie so wenig Aale aller Entwicklungsstadien gegeben hat. „Der Bestand ist in einem kritischen Zustand“, warnte der Rat in seiner Empfehlung für 2012. Dem Bestand setzen die Fischerei und Kormorane zu. Klimaeinflüsse, Umweltgifte und Flussbauwerke wie Kraftwerke und Wehre, die die Fische am Wandern hindern, tun ein Übriges.
Das wirkt sich auf den Fang im Binnenland aus, weil Glasaale die Flüsse hochwandern und sich auf dem Wege zu Gelbaalen auswachsen. Nach starken Rückgängen hätten sich die Fangmengen beim Aal seit etwa zehn Jahren auf niedrigem Niveau stabilisiert, heißt es im Jahresbericht 2012 des Instituts für Binnenfischerei in Potsdam.
Um der „dramatischen Entwicklung der Bestände“ entgegenzuwirken, hat die Landwirtschaftskammer jetzt zum neunten Mal eine Aussetzaktion koordiniert. Mit Geld von der EU, dem Land und der Gemeinschaftsinitiative Elbfischerei sind an mehr als 80 Stationen zwischen Schnackenburg und Geesthacht Glasaale ausgesetzt worden. Weil die fast durchsichtigen Fischlein nur ein paar Zentimeter lang sind, brachten sie zusammen nur 157 Kilo auf die Waage.
Der Aal durchläuft in seinem Leben verschiedene Entwicklungsstadien:
Die Larven schlüpfen in der Saragossasee bei den Bahamas. Sie treiben dann durch den Atlantik.
Zu Glasaalen mit wenigen Zentimetern Länge werden sie vor Europas Küsten.
In Gelbaale verwandeln sie sich, wenn sie die Flüsse hinaufwandern.
Blankaale werden sie auf dem Weg zurück ins Meer. Auf dem Rückweg zur Saragossasee stellen sie ihren Körper komplett auf das anstehende Laichen um.
Doch die Glasaale, die jetzt in die Oberelbe entlassen wurden, sind vorher vor den europäischen Küsten gefangen worden. Nach Ansicht der Forscher vom Heinrich-Thünen-Institut in Hamburg und des Ices ist das ein Teil des Problems. Denn wenn die kleinen Aale direkt vom Atlantik in die Oberelbe versetzt werden, entgehen sie zwar den Gefahren auf dem weiten Weg flussauf. Doch schon beim Fang gehen nach Angaben des Thünen-Instituts durchschnittlich 42 Prozent der Fischlein drauf. Weitere sterben beim Transport und beim Aussetzen.
Deshalb erscheine „eine positive Bilanz von Besatzmaßnahmen zumindest in vielen Fällen sehr fraglich“, urteilt das Institut. Ices findet, wer das Aussetzen befürworte, sei in der Pflicht, nachzuweisen, dass das dem Bestand zugute komme. Und Glasaale sollten nicht ausgesetzt werden, um Fischerei zu ermöglichen.
Volkmar Hinz von der Landwirtschaftskammer weist darauf hin, dass es Menschen gibt, die vom Aalfang leben. Es sei nicht erforscht, warum sich der Bestand wie entwickelt. Die EU halte das Aussetzen für sinnvoll. „Das ist die einzige Maßnahme, die man jetzt sofort machen kann“, sagte Hinz. Natürlich könne man auch alle Wasserkraftwerke stilllegen, in denen die Fische verenden, sagte er ironisch.
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