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Alles Stulle, oder was?

GUT AUFGELEGT Es muss zum Glück nicht immer Baguette sein: Das gute alte „Butterbrot mit was drauf“ ist lebendiger denn je

Die Adressen

■ Goldesel, Seelingstr. 7, 14059 Berlin-Charlottenburg, Mo.–Sa. ab 17 Uhr, Tel. (0 30) 8 20 771 58, www.goldesel-berlin.de

■ Die Stullenmacherin, Prenzlauer Allee 218, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg, Mo.–Fr. 8.30–17, Sa. 10–16 Uhr, Tel. (01 76) 20 33 31 79, www.stullenmacherin.de

■ Suicide Sue, Dunckerstr. 2, 10437 Berlin-Prenzlauer Berg, Mo.–Fr. 8–18, Sa. 9–20 Uhr, So. 10–20 Uhr, Tel. (0 30) 64 83 47 45, www.suicidesue.com (mp)

VON MICHAEL PÖPPL

Im Goldesel herrscht auf den ersten Blick gediegene Atmosphäre: Klassisch braune Kneipentische und Stühle, dunkles Holz, hinter der Theke ragt eine alte Gründerzeitkredenz fast bis zur hohen Decke. Obendrauf aber grüßt ein Totenkopf mit Cowboyhut, daneben zeigen Cover von Elvis Presley und Johnny Cash, wer hier den Ton angibt. „Stulle, Bier und Rock ’n’ Roll“ ist das Motto des Goldesels. In der Kiezkneipe nahe der Charlottenburger Schlossstraße gibt es 15 verschiedene Flaschenbiere, darunter einige von kaum bekannten fränkischen Brauereien, ausgesuchte deutsche Weine und tatsächlich die besten Stullen, die man weit und breit bekommen kann.

Als die Brüder Jörg und Jens Buhrow vor sechs Jahren planten, eine Kneipe aufzumachen, war ihnen schnell klar, dass es unbedingt auch etwas zu essen geben sollte. „Aber immer nach hinten in die Küche laufen, um etwas zu kochen, das wird schwierig. Vor allem wenn du allein im Laden stehst“, sagt Jens. Und so entschieden sie sich dafür, belegte Brote anzubieten. „Aber kein Baguette oder so einen Schnickschnack“, wirft Jörg ein, „sondern richtige Stullen, mit geilem Brot, guter Butter, Schmalz, Schinken, Leberwurst oder Käse drauf.“ Die Schmalzstulle ist mächtig dick, circa 20 Zentimeter lang und großzügig mit Schweineschmalz bestrichen, schlappe 1,50 Euro kostet das gute Stück. Bis zu 3,60 Euro zahlen die Gäste für die belegten Brote, je nach Belag.

Das hervorragende Brot beziehen die Buhrows vom Biobäcker Bernhard aus dem Danckelmannkiez, wo sie auch aufgewachsen sind. „Was Brot betrifft, sind wir ziemlich verwöhnt“, sagt Jens und grinst, „immerhin sind wir mit Krustenbrot von Butter Lindner groß geworden.“ Drauf auf die Goldesel-Stulle kommt nur Bestes, gern in Bioqualität, und inzwischen auch Raffinierteres: geriebener Comté mit Feigensenf, Petersilienpaste mit Tomaten oder die hausgemachte Fetacreme, die auf Anregung eines Gastes entstand. „Was auch noch wichtig ist und gut zu unserem Laden passt“, sagt Jörg, „Stulle ist einfach auch eine ehrliche Nummer.“

Das findet auch Katharina Kirfel, die einen Imbiss an der Prenzlauer Allee betreibt: „Zudem ist das System Stulle ziemlich genial, denn es bietet unendliche Variationsmöglichkeiten.“ Die Stullenmacherin, so heißt auch ihr Geschäft in Prenzlauer Berg, nimmt Krustenbrot, malziges Bergbauernbrot oder Dinkel-Möhren-Brot als Grundlage für ihre Kreationen: Tomaten-Steinpilz-Frischkäse oder Kichererbsenpaste mit gebratenen Zucchini sind ebenso im Angebot wie die Rote-Zwiebel-Apfel-Paste mit Koriander. Oder natürlich klassische, aber raffinierte Käsebrote, wie die tolle Kombination aus Bühlertaler Dorfkäse und Lindenblütenhonig. Das „System Stulle“ kommt gut an. Kirfel hat sogar einige Kunden, die morgens vor der Arbeit vorbeikommen, um sich, so wie einst bei Muttern, Klappstullen einpacken zu lassen. Auf die Idee, sich auf das Schmieren von Stullen zu verlegen, kam Kirfel, als sie noch als Angestellte arbeitete: „Wir sind mittags mit den Kollegen oft rausgegangen um etwas zu essen, dann trat bald so eine gewisse Baguettemüdigkeit auf.“

So wie einst bei Muttern: morgens Klappstullen einpacken lassen

Diese Angestelltenerfahrung teilt wohl auch Franziska Stromeyer, die auf ihrer Website unter ihrem Pseudonym „Suicide Sue“ ihre „ehemaligen Auftraggeber“ in markigen Worten davor warnt, sie je wieder aufzusuchen: „Bleibt, wo ihr seid. Oder ich und mein Schwert kommen euch auf eurem Weg entgegen“, droht sie mit Augenklappe und in „Kill Bill“-Pose auf ihrer Website. Das klingt eindeutig nach schlimmer Agenturerfahrung – pfiffiges Selbstmarketing ist es allemal. Die scharfe Klinge benutzt die Imbissbetreiberin heute jedenfalls nur noch, um bestes Soluna-Brot in kräftige Scheiben zu schneiden, die sie dann mit Thunfischpaste mit roten Zwiebeln und Tomaten belegt. Stulle Limetten-Meerrettich-Frischkäse, Rote-Beete-Apfel-Meerrettich oder Ziegenkäse mit Rucola-Pesto gehören zu den Rennern bei „Suicide Sue“. Serviert wird hübsch dekoriert auf schlicht-schönen Holzbrettchen, gegessen mit Messer und Gabel im Retrostil. Draußen im Sommer mit Blick auf den LSD-Kiez nahe dem Helmholtzplatz, drinnen reduziert-stylisch am Stehtisch mit Barhocker oder an den Ledersesseln in der Ecke unterm unvermeidlichen Hirschgeweih, das zur umgebenden Bionade-Bürgerlichkeit passt wie die frische Kresse auf den Frischkäse.

Im Charlottenburger Goldesel bereitet man sich inzwischen auf den nächsten Abend vor, ausnahmsweise geht’s in der Küche rund: Jeden letzten Donnerstag im Monat gibt es nämlich „American Stulle“, wie Jens sagt. Dann, aber nur dann gibt es im Goldesel keine echten Stullen, sondern „Burger, Bier & Rock ’n’ Roll“.

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