piwik no script img

Journalistinnen im KrisengebietGeschlechtslos töten

In den Auslandsbüros deutscher Medien sind Frauen unterrepräsentiert – nur nicht in den Krisenregionen. Woran liegt das?

Das Verhältnis stimmt nicht: Drei JournalistInnen checken ihre Gasmasken in Kuwait, 2003. Bild: dpa

Es soll Momente geben, in denen es von Vorteil ist, eine Frau zu sein. Zum Beispiel als Korrespondentin in Krisengebieten. Frauen seien oft sicherer und hätten leichteren Zugang zu Interviewpartner*innen, weil von ihnen weniger ein „Gefühl der Bedrohung“ ausgehe, sagte kürzlich ARD-Reporterin Golineh Atai.

Weltweit sind bei der ARD gerade einmal ein Viertel aller Auslandskorrespondent*innen weiblich. Aus fast allen Krisenregionen jedoch berichten Frauen, darunter aus Afghanistan, Syrien oder dem Boko-Haram-Gebiet im Norden Nigerias. Die Auslandsstudios des ZDF sind zu 37 Prozent mit Frauen besetzt, unter anderem das in Moskau mit Zuständigkeit für die Ukraine, in Paris mit Zuständigkeit für die Maghreb-Staaten und in Peking, wo Journalist*innen oft mit erschwerten Arbeitsbedingungen zu kämpfen haben.

Für die taz arbeiten weniger als ein Drittel Frauen im Ausland. Aus Nigeria und Mali, Israel und Palästina, Irak und Nordsyrien, der Zentralafrikanischen Republik Kongo und aus Thailand berichten aber jeweils Frauen. Bei Weltreporter, einem Netzwerk freier Korrespondent*innen, sind 50 Prozent der Mitglieder Frauen, viele davon ebenfalls in Krisengebieten.

Zugang zu Männer- und Frauenräumen

„Frausein hat mich bisher nie behindert, auch nicht in arabischen Ländern oder Afghanistan oder dem Iran“, sagt Veronika Eschbacher, die für die Wiener Zeitung unter anderem aus Donezk berichtet hat. Im Gegenteil, als ausländische Frau genieße sie alle Freiheiten, habe Zugang sowohl zu Männer- als auch zu Frauenräumen.

Ein eineinhalbstündiges Interview mit einem der bekanntesten radikalen Prediger Afghanistans beschreibt sie als „total spannend und angenehm“. Ihr Geschlecht habe allein bei der Begrüßung und Verabschiedung eine Rolle gespielt, weil ihr religiöses Gegenüber sie niemals berühren würde.

Sandra Petersmann, ARD-Korrespondentin in Neu-Delhi, berichtet ebenfalls häufig aus Afghanistan, zuletzt von der dortigen Präsidentschaftswahl im Juni. Sie sieht Schwierigkeiten und Vorteile sowohl für männliche als auch für weibliche Korrespondent*innen. Deshalb bevorzugt sie ein geschlechtlich gemischtes Team. „Nur beide Bevölkerungshälften ergeben ein komplettes afghanisches Bild.“

Auch in Fragen der Sicherheit scheinen Reporterinnen in Krisengebieten oft Vorteile gegenüber ihren männlichen Kollegen zu haben. Das verdeutlicht ein Vorfall, den Welt-Korrespondentin Julia Smirnova schilderte. Ihr Fahrer sei an einem Checkpoint in Slawjansk verprügelt worden, berichtete sie dem Verein ProQuote, der sich für eine Frauenquote in den Führungsebenen deutscher Medien einsetzt. „Mir sagte ein Rebell: Wenn du nicht eine Frau wärst, würde ich dir auch in die Fresse hauen.“

So läuft es aber nicht immer. Frauen seien gerade in einer „aufgeheizten Atmosphäre“ einer erhöhten Gefahr sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt ausgesetzt, sagt die SZ-Korrespondentin Cathrin Kahlweit. Dem stimmt auch Sandra Petersmann zu, weist jedoch darauf hin, dass auch Männer Opfer sexualisierter Gewalt werden können, wie das Beispiel afghanischer Kriegsgefangener gezeigt habe. Im Großen und Ganzen sehe sie in Afghanistan keinen Unterschied in Bezug auf die Sicherheit von Männern und Frauen: „Selbstmordattentäter töten geschlechterlos.“

„Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben“

Auch die Frage, wer sich ein Leben in ständiger Gefahr überhaupt zutraue, scheint nicht vom Geschlecht abzuhängen. „Mich hat sehr verwundert, wie schnell man sich an Gewalt gewöhnen kann“, erzählt Veronika Eschbacher über ihre Erfahrungen in Donezk. „Auch hier stumpft man ab, je länger und öfter man die Schüsse hört.“ Davon abgesehen gehe sie mit der täglichen Gefahr nach dem Motto um: „Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.“

Bei der Auswahl der Korrespondent*innen sei das Geschlecht nicht der maßgebliche Faktor, beteuert Joachim Knuth, Vorsitzender der ARD-Hörfunkkommission und Programmdirektor des NDR-Hörfunks. Auf einem Panel vergangenes Wochenende betonte er dennoch die Notwendigkeit, über „neue Modelle und Anreizsysteme nachzudenken“, um Frauen gezielt zu fördern. Weltweit arbeiten doppelt so viele Männer wie Frauen für den ARD-Hörfunk.

ProQuote zufolge sind in den Auslandsbüros beim Print nicht einmal 30 Prozent der Korrespondent*innen weiblich. „Ich glaube, dass das nicht an der Gefahr liegt“, sagt ProQuote-Vorsitzende Annette Bruhns, „sondern dass dieselben Mechanismen wirksam sind, die Frauen eher nicht Ressortleiterinnen werden lassen.“ Die Hürden für Frauen im Journalismus, sie liegen nicht in Afghanistan oder der Ukraine, sondern in Deutschland.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "total spannend ...", argh, warum nehmen die sich mit dieser Kindchensprache á la FSJ-im-Ausland-Geplapper immer gleich die ganze Seriosität? Dazu: Das Gehabe und Gewese mit dem Sternchen ist so borniert......

  • Diese achso politisch überkorrekte Schreibweise mit Sternchen stört den Lesefluss und bringt doch auch nichts zur Gleichberechtigung aller Mensch*innen.

    Ich fühle mich durch diese komische Schreibweise ausgegrenzt, weil ich als Mann jetzt nicht mehr einfach reden und schreiben darf wie man es in der Schule lernt und es im Duden steht.

    Mal ehrlich: Die einen haben die Gleichberechtigung schon längst verinnerlicht, und den Übrigen wird man mit Schreibweisen auch nicht zu einer neuen Denkweise verhelfen. Wieso können wir dann nicht ganz normal schreiben und zueinander freundlich sein?