Gaucho-Tanz auf der WM-Party: Das war nicht die echte Mannschaft
Wir sind betrogen worden auf der Fanmeile. Eine Polemik gegen die Inszenierung der Weltmeister – und einige Anmerkungen zur taz-Berichterstattung.
Eigentlich ist alles gesagt. Nein, es ist alles gesagt. Mehrfach sogar, bloß nicht in der nötigen Schärfe.
Also: Wir sind schamlos betrogen worden, von ARD und DFB. Was uns da auf dem Laufsteg der sogenannten Fanmeile in Berlin präsentiert wurde als „deutsche Fußball-Nationalelf“, als Jogi Löws DFB-Team 2014, war gar nicht das Team, das gerade in Rio de Janeiro nach großem Spiel dem DFB zum vierten Weltmeisterschaftsstern verholfen hatte.
Es war die Werkself von Mercedes Benz aus Untertürkheim auf Betriebsausflug. Schwäbische Scherzkekse, die sich die Pappnasenmasken von Nationalspielern aufgesetzt hatten und die nun das dreifarbige Publikum (das sich allzu gern täuschen ließ) mit Karnevals- und Oktoberfestmusik, allerlei betriebsausflugstypischem Geblödel und ein paar unters Volk gekickten Fußbällen leidlich unterhielt. Eine Menge, die sich selbst feierte und sich wenig daran störte, was auf dem Laufsteg (beziehungsweise auf den Großleinwänden) vor sich ging. Alles gute Alt-Olympier: „Dabeisein ist alles“, besonders wenn man sieben Stunden gewartet hat auf das Ereignis und entsprechend blau ist (vierte Farbe).
Nein, das waren nicht Mario Götze, der Schüchterne, und Miroslav Klose, der Bescheidene, die da, Mikrofone in der Hand und in affenartigem Gang, argentinische „Gauchos“ verhöhnten und gleich danach in deutscher, aufrechter, nordischer Haltung das Deutsch-Sein, vielmehr den homo-sapiens-mäßigen Deutsch-Gang bejubelten.
Nein, die machen so was nicht. Die lassen sich auch nicht, wie all die andern da oben, das Team, die Trainer, die Betreuer, die therapeutischen Kräfte, in ein dunkles Mercedes-Trikot stecken; mit einer großen fetten „1“ auf jeder Brust (einer besonderen Sorte Brustnummer) und einem großen Mercedes-Stern daneben; auf dem Rücken aber ohne Nummern, dafür mit dem Schriftzug „Mercedes Benz“: nein, so was machen Müller & Co doch nicht; so was machen Löws leichtfüßige Löwen nicht. So was macht vor allem der Jogi Löw nicht (mit); so was machen nur Mercedes-Benz-Angestellte auf Betriebsausflug.
Und da haben wir sie. Der in der Hummels-Maske lädt ein zum Humba Täterä. Der Hummels doch nicht, der kluge Junge. Aber eine kluge Idee haben die Betriebsausflügler doch: Sie sind 23 Mann stark und treten in vier Gruppen auf; drei Sechser- und eine à fünf. Das lehnt sich an die Hausbelegungen unseres WM-Teams in seinem Quartier in Bahia an. Wer dort mit wem zusammenwohnte, erfahren wir nun endlich.
geboren 1942, ist Kulturtheoretiker, Literaturwissenschaftler (in weitem Sinn) und Fußballfan. In seinem Werk hat er sich immer wieder mit Fußball beschäftigt. Einschlägig: sein Band „Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell“.
Zur „Gaucho"-Berichterstattung der taz siehe die Artikel von Rieke Havertz (16. 7.), Jürgen Vogt (16.7.) sowie Daniel Bax und Deniz Yücel (17. 7.).
Nummer 1 der ganzen Welt
In der ersten Gruppe kommen „Kedhira“, „Özil“ und „Boateng“, sehr sinnig, womit die etwas Farbigeren schon mal unter sich waren. Die zweite Gruppe wird angeführt von der Maske Neuer. Man erkennt so langsam die große „1“ auf jeder Brust, und denkt nun – ich Idiot jedenfalls –, das wird sich auf die Torwartnummer beziehen: Manuel Neuer, Nr. 1 (der Welt). Und tatsächlich: Die Gruppe hüpft vor und singt: „Wir sind die 1, die Nr. 1, die Nr. 1 der ganzen Welt.“ Also nicht nur der Keeper, nein, sie alle.
Der ganze Haufen im Mercedes-Outfit besingt die Nr. 1; und das kann nur heißen: die Nr. 1 der Autobauer. Das sind die mit dem Stern, bekanntlich. Dem Stern, der in keiner Sekunde dieser Show nicht im Bild ist; in der dreistündigen kostenlosen Werbesendung für die Sternschenker aus Untertürkheim. (Wahrscheinlich haben sie die Bockwürste gestiftet, die die Werksmannschaft Daimler-Benz verzehren durfte, bevor sie auf den Laufsteg kam.)
In den Achtzigern war die Furcht vor Aids allgegenwärtig. Heute leben HIV-Positive in Therapie so lange wie Nicht-Infizierte und stecken auch ohne Kondom niemanden an. Ob die Schlacht gewonnen ist, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. Juli 2014. Außerdem: Man muss nicht immer glücklich sein, sagt der Philosoph Wilhelm Schmid. Und: Der Windparkbetreiber Prokon ist pleite. Wer ist der Mann hinter der Firma? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Nein: Jogi Löws WM-Team wäre doch mit dem neuen Vier-Sterne-Hemd auf die Bühne gekommen; zwar auch mit einem Firmennamen, aber wenigstens dem eines Sportartikelherstellers.
Das Lied von der Nr. 1 singen sie zur Melodie von „Oh, When the Saints (Go Marching in)“; das schafft jeder (Heilige); Fußballer oder nicht. Die Menge klatscht mit; Betonung auf der „1“; nicht auf der „2“, „back beat“ (wie der Rest der Welt tun würde); womit die 450.000 sich ausweisen, wie überall in D’land, wo mitgeklatscht wird, als unbelehrte Emotions-Faschisten.
Atmosphäre eher wie beim European Song Contest, hat ein Kommentator angemerkt; ja: Das war übrigens auch der Grundton eines Teils der WM-Berichte aus Brasilien in der taz. Wären da nicht Peter Unfrieds locker fachliche Artikel gewesen zur Beschreibung des Löw-Fußballs (und zu dessen Lob), das Brazil-Team der taz hätte mich ebenfalls an den Rand der Wahrnehmung gebracht: „Das sind nicht sie selber, sondern ihre Masken auf Betriebsausflug in Belo Horizonte.“
Großer Dank (in dem Zusammenhang) an Ulrike Herrmann für ihren Debattenbeitrag zu Frank Schirrmacher (das den Herrn auf die angemessene Mittelgröße zurückstufte; wo einige ihrer Kollegen sich in Lobgesängen ergossen hatten. Peinlich!) Hintergrund: die schleichende Diekmannisierung der taz; und, auf das Fanmeilen-Wesen erweitert: die grob vorangetriebene Boulevardisierung des öffentlichen Raums. Das ist kein Klacks. Das Wörtchen Bild mit dem Zusatz „-Zeitung“ zu versehen, ist schon ein Verbrechen.
Das Peinlichste am Gaucho-Gehopse von Weidenfeller, Schürrle, Kroos, Mustafi, Götze und Klose ist aber nicht, dass „die Argentinier“ beleidigt sein könnten; was sie natürlich sind; aber argentinischen Zeitungen, die anmerken, Weltmeister im Beleidigen anderer seien sicher die Argentinier, darf man glauben.
Peinlich ist das Selbstzitat, und noch peinlicher, dass nur wenige Journalisten dies bemerkt haben: EM 2008, 30.6., „Deutschland Elf Empfang auf der Fanmeile“. Die deutschen Spieler werden aufgerufen nach Gruppen; zuerst die drei Torhüter: Lehmann, Adler, Enke. Sie tragen weiße Trikots; und was steht da groß auf der Brust: So gehen die Deutschen.
Auch alle folgenden tragen das. Und sie springen hoch dazu, als Homo-sapiens-Ausweis, wie jetzt die Deppen in Berlin. Der „Affengang“ (damals) wird den Spaniern angehängt (obwohl die ja die Sieger waren, 2008); und auch noch einigen anderen Nationen, unter tönender Mithilfe des unsäglichen Knallkopfs Oliver Pocher. Und siehe, wer steht da, 2008: Miro Klose; auf der Brust: „So gehen die Deutschen“.
Ein spontaner Einfall?
Und nun der Clou. DFB-Chef Niersbach, seine Feiermasken in Schutz nehmend, teilt der Presse mit, der Gaucho-Walk am Dienstag in Berlin sei ja nur ein ganz spontan entstandener harmloser Feierspaß. Spontan! Das war die Wiederholung einer Inszenierung von 2008. Die alle doch gesehen haben. Mit dem offiziellen DFB-Slogan: „So gehen die Deutschen!“
Ich hab das damals ausgeschaltet (wegen krassem Feier-Rassismus); und jetzt wieder angeschaut auf YouTube. Alles zu sehen. Aber keiner „erinnert“ sich. Jetzt versteh ich den Klose, wie er den Animator macht, jetzt, 2014, am Brandenburger Tor: „Und jetzt alle!“, spielt er den Mick Jagger. Klar, weil er damals dabei war, 2008, und die andern nicht. Und nun das Deutsch-Fest als Sieger will.
Ganz spontan, Herr Niersbach! Präsidenten, wenn sie den Mund aufmachen, lügen; andere Kanzler auch. Aber Journalisten „erinnern“ nichts. Und Herr Deniz Yücel, sonst ja eine scharfe Zunge, http://taz.de/Kommentar-Weltmeister-Deutschland-/!142416/entdeckt gar, dass es vielleicht „Merkel-Deutschland“ sei, das Weltmeister geworden ist. „Wenn man will, kann man darin eine Allegorie dafür entdecken, wie das Merkel-Deutschland in Europa den Takt vorgibt.“
„Wenn man will“! Ich will nicht. Und Leser Bill Räther, mit Leserbrief vom Donnerstag, ebenfalls nicht. In meinen Augen spielt dieses Löw-Team das Gegenteil des Merkel-Polit-Spiels; denn: Einen Ball kann man nicht ins Tor lügen (außer Maradona, der auch sonst alles kann; speziell beleidigen).
Keine Fragen „der Moral“ also und des „Bilds der Deutschen im Ausland“; nein, eine innerdeutsche Angelegenheit; was für Zeitungen heißt, eine innerredaktionelle.
Song: „So gehn Journalisten“; besonders tief gebückt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein