Konzert von Van Morrison: Kleiner Mann mit großer Stimme
Bei ihm groovte jeder Song: Van Morrison gab in Stuttgart sein einziges Deutschlandkonzert. Vorab: Gospelgöttin Mavis Staples.
Vor vielen Jahren wurde Van Morrison von einer englischen Tageszeitung einmal böse diffamiert. Ein Reporter hatte es gewagt, ihm das Attribut „Rockstar“ anzuhängen. Das konnte Morrison nicht auf sich sitzen lassen. In einem offenen Brief distanzierte er sich vehement von solchen Verleumdungen: „For the benefit of the unenlightened it is not my nature to be a rock star. What I am is a singer who does Blues, Soul, Jazz etc. etc. etc.“ Und wer das nicht verstanden hatte, wurde auf seiner Platte „What’s Wrong with this Picture“ noch einmal belehrt: „I’m singing Jazz, Blues and Funk / Baby, that’s not Rock ’n’ Roll.“
An einem hell leuchtenden Sommerabend auf dem Stuttgarter Schlossplatz konnten sich jetzt die Besucher der dort gerade stattfindenden Jazzopen davon überzeugen, dass Van Morrisons wunderbar schwerelose Musik ihre Gewährsmänner eher im Backkatalog von Blue Note oder im Mississippi Delta findet als im klassischen Rockformat. Schon im ersten, herrlich schaukelnden Instrumentalstück „Celtic Swing“ durfte sich jeder der sechs Mitmusiker mit einem Solo vorstellen, und immer wieder griff Morrison selbst zum Saxofon, trieb lässig quäkend die Bläsersätze an oder schrieb schön mäandernd seine Melodien fort.
Was diese mafiös wirkende Erscheinung – schwarzer Anzug, schwarzer Hut, dunkle Sonnenbrille – an diesem Abend mit ihrer Stimme machte, kann eigentlich nur noch mit Peter Handke beschrieben werden. „Er hat ein großes Gefühl“, hat Handke über Van Morrison gesagt, „und dann werden ,Was‘ und ’Wie‘ doch eins.“ Das „Was“: eine ungeheure Sehnsucht, etwas Unsagbares, Transzendentes. Das „Wie“: die Gabe, einzelnen Worten durch ein fantastisches Gespür für Rhythmus, Modulation, Artikulation die Qualität einer Epiphanie zu geben. Van Morrison ist 68 Jahre alt, und seine schwärmerische, hauchende und shoutende Stimme scheint in den letzten Jahren noch mal so richtig an Kraft gewonnen zu haben.
Bei so viel Genie gibt es natürlich auch immer was zu mäkeln. Fast jeder Artikel über Van-Morrison-Konzerte beinhaltet ja einen kleinen Verweis: Wie missmutig, launisch, knarzend unhöflich der kleine alte Mann mal wieder auf der Bühne herumstand! Wie er seinen Mitmusikern böse Blicke zuwarf und fürs Publikum gar kein Auge und schon überhaupt kein Wort übrig hatte. Um die Zuschauer auf dem Stuttgarter Schlossplatz scherte er sich tatsächlich nicht sonderlich, obwohl er wohl einmal so etwas Ähnliches wie „Thank you“ murmelte. Aber: who cares. Wer sagt, dass jemand, nur weil er hinreißende Musik macht und von Gott mit einer herzwärmenden Stimme gesegnet ist, ein netter Kerl sein soll?
Allerdings schien man bei seinem einzigen Deutschlandkonzert einen passablen Tag erwischt zu haben: Van Morrison hatte offensichtlich Freude, das Set war perfekt arrangiert, alle Songs groovten, als wär der Schlossplatz ein kleiner Jazz- oder Blueskeller. Die Mundharmonika jauchzte, der Bass flanierte, die Hammondorgel röhrte. Kurz: Die gestandenen Musiker spielten auf den Punkt – was anderes hätten sie sich bei diesem Chef auch nicht erlauben dürfen.
Zugabe gab’s natürlich keine. Morrison bot dafür anderthalb Stunden lang Songs aus allen Werkphasen, von „Back on the Top“ über „Days Like This“, „The Philosopher’s Stone“, „Brown Eyed Girl“, „Baby Please Don’t Go“ und „Gloria“ aus Them-Zeiten bis zu „Moondance“ und „Whenever God Shines His Light“, seinerzeit ein veritabler Hit mit Cliff Richard, diesmal dargeboten als Duett mit Tochter Shana, die als Backgroundsängerin etwas abfiel. Nicht ganz der Papa.
Dass Morrison den Herrn recht oft beschwört, verbindet ihn mit der großen Mavis Staples, die vorab mit ihren 75 Jahren noch mehr Energie verströmte als die pralle Stuttgarter Abendsonne: Schlagzeug, Gitarre, Bass, dazu drei sehr feine Begleitsänger – und Songs aus einer Zeit, als die Staple Singers noch mit Martin Luther King Richtung bessere Zukunft marschierten: „I’m a living witness“, sagte die Gospel-Goddess und intonierte Pops Staples’ „Freedom Highway“. Rau, soulful, enthusiastisch. Schöner und erhebender hätte man einen Donnerstagabend nicht verbringen können.
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