Tod der Radsport-Ikone Pantani: Kokain-Überdosis oder Mord?
Wie Tour- und Giro-Sieger Pantani starb, ist unklar. Seine Mutter glaubt nicht an einen Drogentod und veröffentlicht neue Indizien. Der Fall wird wieder aufgerollt.
BERLIN taz | „Lasst Pantani ruhen.“ Wie ein Mantra trug Giuseppe Martinelli im letzten halben Jahr diesen Satz auf den Lippen. Der 59-Jährige begleitete Marco Pantani als sportlicher Leiter bei dessen Triumphen bei Tour de France und Giro d’Italia. Er war auch der Chef von Vincenzo Nibali, als der kürzlich die Tour de France gewann.
Weil die beiden größten italienischen Radprofis der letzten zwei Jahrzehnte gern verglichen werden und sich Pantanis mysteriöser Tod in diesem Jahr zum zehnten Mal jährte, setzte eine regelrechte Pantani-Welle ein. Und Martinelli, der vor allem Image-Kollateralschäden für seinen neuen Star vermeiden will, versuchte, die Welle zu bremsen.
Jetzt nimmt sie neue Fahrt auf. Nach Informationen der Gazzetta dello Sport nahm die Staatsanwaltschaft Rimini die Ermittlungen wegen vermuteten Totschlags auf. Die Nachricht machte durch einen Facebook-Eintrag von Pantanis Mutter Tonina die Runde. Sie hatte in den letzten Jahren immer wieder betont, nicht an eine Überdosis Kokain als Todesursache zu glauben.
„Marco war kein Drogenabhängiger“, behauptet sie seit Jahren standhaft. Gemeinsam mit einem auf rätselhafte Todesfälle spezialisierten Anwalt sammelte sie neue Indizien, die auf einen bewusst herbeigeführten Tod deuten könnten. Sie feiert die Aufnahme der Ermittlungen als „eine Etappe im Kampf um die Wahrheit“.
Die Staatsanwaltschaft ist deutlich vorsichtiger. „Wir haben die Unterlagen erhalten. Wenn eine Anzeige wegen versuchten Totschlags aufgegeben wird, ist es unsere Pflicht, eine Ermittlung einzuleiten. Wir werden die Unterlagen lesen und danach entscheiden“, teilte Staatsanwalt Paolo Giovagnoli mit.
Das Sechsfache einer tödlichen Dosis
Um den Tod von Pantani im Hotel Le Rose in Rimini gab es schon früh Gerüchte. „Marco war nicht allein im Zimmer, als er starb“, behauptete seine Mutter. Die Menge des Kokains, das in seinem Körper gefunden wurde – laut Autopsie das Sechsfache einer tödlichen Dosis –, weckte zumindest Zweifel daran, ob Pantani die Droge aus eigenem Entschluss zu sich nahm.
„Er stand jemandem im Wege. Er wollte über Doping aussagen und das hat jemanden gestört“, glaubt seine Mutter. Ein Mord zur Verschleierung von Doping? Das wäre eine neue Dimension im Zusammenhang mit diesem Krebsgeschwür des Sports. Um Pantani rankten sich in der Vergangenheit aber noch andere Gerüchte. Etwa die, dass er der italienischen Wettmafia im Wege gestanden haben könnte.
Hinweise darauf lieferte der im Gefängnis einsitzende frühere Straßenräuber Renato Vallanzasca. Er erzählte, er sei von einem Mithäftling aufgefordert worden, beim Giro 1999 gegen einen Sieg Pantanis zu wetten. Pantani, Titelverteidiger des Vorjahres, führte damals souverän das Klassement an. Weil aber, so Vallanzascas These, illegale Wettanbieter befürchteten, im Falle eines Pantani-Siegs zu viel Geld an die Wetter auszahlen zu müssen, hätten sie dann dafür gesorgt, dass Pantani wegen einer positiven Dopingkontrolle aus dem Rennen genommen wurde.
Gewinner sind die Wettanbieter
Das klingt abenteuerlich und erinnert an eine andere italienische Verschwörungstheorie: die Fußballmeisterschaft 1987/88, die schon sicher in den Händen des Titelverteidigers SSC Neapel mit der Überfigur Maradona schien, dann aber verloren ging. Neapel, das auf seinen Herzensverein gesetzt hatte, wurde noch ärmer, die Wettanbieter wurden reicher.
Fakt bei dem möglichen Remake im Radsport ist immerhin, dass „il pirata“ der einzige Profi war, bei dem Blutkontrollen während des Giro einen erhöhten Hämatokritwert ergaben. Profis jener Zeit hatten es gewöhnlich gut im Griff, den Wert rechtzeitig vor einer Kontrolle durch Flüssigkeitszufuhr unter die 50-Prozent-Schwelle zu bringen. Pantanis Ausschluss half jedenfalls den Wettanbietern.
Für ihn selbst war dieses Ereignis der Beginn eines sportlichen wie psychischen Abstiegs. Er fand seinen Tiefpunkt im – möglicherweise gewaltsam herbeigeführten – Tod. Eine Aufklärung der Todesumstände ist wichtig. Vielleicht lösen sie auch einige der Rätsel, die das Leben des Radstars betreffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos