Reportagefotografie: Als den Bildern noch geglaubt wurde
Die Hamburger Ausstellung „Das engagierte Bild“ zeigt Reportagefotografien, die in den 1960er- bis 1980er-Jahren in Zeitschriften veröffentlicht wurden.
HAMBURG taz | Reportagefotos sind eine zweischneidige Angelegenheit. In den 1950er- und 60er-Jahren erlebten sie eine Blütezeit dank vieler neu gegründeter Zeitschriften wie Kristall, Quick oder Stern. Damals genossen Reportagefotos eine hohe Glaubwürdigkeit: Da ist jemand in ein fernes Land gereist und hat ein Dokument angefertigt, das zeigt, was Sache ist.
Dass das dokumentarische Bild mit der Realität immer nur bedingt zu tun hat, weil es durch die Auswahl des Ausschnitts und durch den Kontext der Präsentation zwangsläufig manipuliert wird, schien im Nachkriegsdeutschland nur die Theoretiker zu beschäftigten. Das ist heute anders: In Zeiten der Digitalisierung hat die Glaubwürdigkeit der Bilder stark gelitten. Wer welche Bilder zu welchem Zweck veröffentlicht, wird mittlerweile regelmäßig von den Massenmedien selbst hinterfragt.
Nicht das Hinterfragen, sondern das Erinnern hat sich die Ausstellung „Das engagierte Bild“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zur Aufgabe gemacht. Es geht um die große Zeit der foto-fixierten Zeitschriften, als kein Internet, kein Photoshop und keine Handy-Kamera – nichts die Autorität einer mehrseitigen Bilderstrecke untergraben konnte.
Gezeigt werden rund 40 Fotos, die vor allem aus den 1960er-, 70er- und 80er-Jahren stammen. Sie gehören zur Sammlung des Hauses und wurden gemacht von Altstars der Szene wie Marc Riboud, Robert Lebeck, Sebastião Salgado oder Thomas Hoepker.
Zu sehen gibt es viel Leid. Marc Riboud zum Beispiel bereiste 1971 für die Fotoagentur Magnum Bangladesh, wo die bengalische Awami-Liga für die Unabhängigkeit ihres Landes von Pakistan kämpfte. Sein Foto von den Frauen, die nach der Hinrichtung ihrer Männer trauern, bedient sich noch einer indirekten Erzählweise.
Bilder mit Schockwirkung
Andere Bilder wie etwa die von Ryuichi Hirokawa zeigen die Leichen selbst – letzterer dokumentierte ein Massaker, das libanesische Milizen unter palästinensischen Flüchtlingen in den Lagern von Sabra und Schatila 1982 angerichtet hatten. Die Fotos haben eine starke emotionale Wirkung, sie schocken und vereinnahmen unmittelbar für eine der beiden Kriegsparteien.
Ebenfalls stark appellativen Charakter haben die Bilder, die Thomas Hoepker Anfang der 1960er-Jahre von Lepra-Kranken in Äthiopien gemacht hat. Es geht um eine Ordensschwester, die Brot und Medikament verteilt und um die erste Leprastation des Deutschen Aussätzigen-Hilfswerks in Bisidimo. Robert Lebeck wiederum berichtete Anfang der 60er über die Arbeit von Mutter Teresa in ihrem Sterbehaus in Kalkutta.
Der Wirtschaftswissenschaftler Sebastião Salgado wiederum bereiste Anfang der 1980er die Sahel-Zone, in der Menschen und Tiere der Dürre zum Opfer fielen. Im Gegensatz zu Hoepker und Lebeck ästhetisiert Salgado seine Bilder mitunter stark: In einer aus der Vogelperspektive aufgenommenen gleißend hellen Wüstenlandschaft sind bizarr geformte schwarze Silhouetten zu sehen. Es handelt sich dabei um Bäume – und Menschen.
Entscheidend ist der Kontext
Erschienen sind Salgados Bilder unter anderem 1986 in der Zeitschrift Geo unter dem Titel „Als Gott keinen Regen mehr schickte“. Zu erfahren ist das an einem Computerbildschirm, auf dem sich Faksimiles der Original-Zeitschriftenseiten anzeigen lassen. Damit kommt ein wichtiger Aspekt zum Tragen: der Kontext der Veröffentlichung und die Präsentation des Themas durch die Redakteure. Es zeigt sich, dass die Kollegen seinerzeit mit Drastik nicht gegeizt haben: „Manchmal stirbt ein Baby stumm im Mülleimer“ schreibt etwa der Stern zur Reportage aus Kalkutta. Dass Fotos und Texte auch darauf zielen, das Leid zur Steigerung der Auflage auszuschlachten, liegt auf der Hand.
Außerdem lässt sich dem Stern und der Zeitschrift Kristall Anfang der 1960er-Jahre eine heute rührende Amerika-Begeisterung entnehmen. Über mehrere Ausgaben hinweg erstrecken sich Serien, die Frauen, Präsidentschaftswahlkämpfe, die Fernsehkultur oder Afroamerikaner in den Blick nehmen. Oder eine Bilderstrecke nur mit einer offenen Frage überschrieben: „Was ist Amerika?“ titelte etwas Kristall 1964.
Beantworten durften diese Frage Fotografen, die meist als Seiteneinsteiger oder Autodidakten in den Job gerutscht sind. Ihr Beruf ist selten geworden. Heute gibt es kaum noch Zeitschriften mit einem größeren Etat für Fotos. Dafür gibt es das Internet und große Propagandaschlachten mit Fotos und Filmen aus allen Teilen der Erde.
■ bis 18. Januar, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
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