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Byung-Chul Han über NeoliberalismusDie größte Ausbeute

Der Philosoph sieht im Neoliberalismus eine „Psychopolitik“ am Werk. Worin der analytische Mehrwert seines Begriffs liegen soll, bleibt fragwürdig.

Sein Buch „Müdigkeitsgesellschaft“ aus 2010 wurde zum Bestseller. Bild: S. Fischer Verlag

Byung-Chul Han ist ein Meister der knappen Form. Die Bücher des Berliner Philosophen, darunter der Erfolgstitel „Müdigkeitsgesellschaft“, haben oft weniger als 100 Seiten, seine Sätze sind schlicht gehalten und in einem dezent prophetischen Tonfall vorgetragen. Auch in seinem neuesten Büchlein, „Psychopolitik“, pflegt Han diesen Stil der effektiven Suggestion.

Hans Überlegungen kreisen aktuell um den Neoliberalismus und die damit einhergehenden Strategien der freiwilligen Selbstausbeutung. Die Freiheit selbst werde dabei im Dienste der Profitmaximierung ausgebeutet, wie Han es auf eine rhetorisch bündige Formel bringt: „Erst die Ausbeutung der Freiheit erzeugt die größte Ausbeute.“ Dabei scheint Hans Begriff der Freiheit einigermaßen voraussetzungsreich: „Das Gefühl der Freiheit stellt sich im Übergang von einer Lebensform zur anderen ein, bis sich diese selbst als Zwangsform erweist.“

Warum Freiheit, wie Han mit dieser „Bestimmung“ unterstellt, lediglich ein psychologisches Phänomen sein soll, erklärt er nicht weiter. Auch nicht, warum sie als kurzlebiges Phänomen bloß den Wechsel von der einen Lebensform in die nächste begleitet – statt sich auch mal auf kleinerer Organisationsebene bemerkbar zu machen. Man wird den Eindruck nicht los, Han habe sich diesen Begriff so für seine These zurechtgelegt, dass die (neoliberale) Freiheit gar nicht anders kann, als in freiwillige Selbstunterwerfung unter den Zwang des Kapitals zu münden.

Die Mechanismen dieser Beherrschung nennt Han in Anspielung auf Michel Foucaults Begriff der „Biopolitik“ denn auch „Psychopolitik“, in der er eine theoretische Fortführung der Machttheorie Foucaults sieht.

Psyche als Produktivkraft

Foucault habe die Mechanismen des „neoliberalen Regimes“ mit seiner „Engführung von Freiheit und Ausbeutung in Form von Selbstausbeutung“ schlicht noch nicht gesehen. Han hingegen erkennt im neoliberalen Kapitalismus eine Form der „klassenlosen Selbstausbeutung“, die keinen Widerstand gegen die Ausbeutung mehr zulasse – man tut es ja selbst und freiwillig.

Das Buch

Byung-Chul Han: „Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken“. S. Fischer, Frankfurt/M. 2014, 128 S., 19,99 Euro

Neoliberalismus ist für Han daher „Psychopolitik“. Die Psyche werde als Produktivkraft entdeckt, da der heutige Kapitalismus von immateriellen und unkörperlichen Produktionsformen bestimmt sei. Was jedoch nur auf einen Teil der Produktion zutrifft. Auch dass „wir nicht mehr für unsere eigenen Bedürfnisse, sondern für das Kapital“ arbeiten, scheint nur eingeschränkt plausibel – auf die „working poor“ trifft dies kaum zu.

Worin der analytische Mehrwert von Hans Begriffsprägung liegen soll, wird nicht deutlich. Thesen wie: „Sie (die Psychopolitik) entdeckt den Menschen und macht ihn selbst zum Gegenstand der Ausbeutung“, sind vom Gedanken her nicht übermäßig scharf, zudem ist Han keinesfalls der Erste, der das neoliberale Phänomen der Selbstausbeutung identifiziert hat.

Alles und nichts

Stattdessen schreitet Han die eine oder andere theoretische Position ab und rechnet seinen Kollegen vor, was sie übersehen haben. Seine eigenen „Verbesserungen“ klingen oft elegant, aber ihr theoretischer Ertrag bleibt gering. Sein Ausweg aus der Psychopolitik? Lebenskunst als Praxis der Freiheit: „Das Subjekt wird ent-psychologisiert, ja ent-leert, damit es frei wird für jene Lebensform, die noch keinen Namen hat.“

Damit ist so ziemlich alles und nichts gesagt. Worin genau die Entpsychologisierung als Befreiungsprozess bestehen soll, kümmert Han nicht groß. Hauptsache, der Psychopolitik wird ihr Machtbereich entzogen.

Am Ende bleibt von Hans zeitdiagnostischem Beitrag nicht viel mehr als die These, dass neoliberale Psychopolitik den Menschen ausbeutet. Daran stammt lediglich der Neologismus von ihm. Und die lakonisch-dramatische Rhetorik, mit der er sich als Theorie-Marke zu verkaufen versteht.

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5 Kommentare

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  • Die entscheidende Einsicht ist die, dass es "Freiheit" an sich nicht gibt. Wenn ich selber Freiheiten bekomme oder mir nehme, so werden anderen (Mitmenschen, dem Staat, etc) Freiheiten genommen und umgekehrt. Insofern müsste der Begriff Freiheit eigentlich immer viel genauer definiert werden: Freiheit für wen und in welcher Art.

    [N.B. Ich weiß nicht, ob das wirklich genau der Punkt ist, den Byung-Chun Han machen will.]

  • Irgendwie nicht wirklich neu, wenn ich mir Alexandra Rau: Psychopolitik: Macht, Subjekt und Arbeit in der neoliberalen Gesellschaft, 2010 anschaue ist Herr Han 4 Jahre zu spät.

  • Ich sehe hier ehrlich gesagt keine gravierende neue Erkenntnis in Han's Überlegungen. Auch die Behauptung, Foucault hätte Aspekte von Ausbeutung und Selbstausbeutung so noch nicht gesehen, wage ich zu bezweifeln.

     

    Das, auf was sich Han bezieht, wirkt für mich wie alter Wein in neuen Schläuchen, wenn ich mir z.B. Ulrich Bröcklings Auseinandersetzung mit dem "Unternehmerischen Selbst" oder diverse Auseinandersetzungen zur Gouvernementalität etc. ansehe.

     

    Es mag stimmen, dass Foucault die Dimension der "Psyche" eher vermieden hat, allerdings ist das, was Han hier anbietet mMn. auch nur altbekanntes (Diverse Auseinandersetzungen über Subjektivierungen, deren Techniken, Formen der Regierung und der Selbstregierung usw.).

     

    Vielleicht würde er aber auch gerne einfach nur einen ähnlich griffigen Begriff etablieren, wie es Foucault mit "Biopolitik" bzw. "Biomacht" getan hat.

  • Wenn das stimmt, sind Han's Überlegungen im wesentlichen eine Aneignung von bekannten Diskurses. Der Begriff "Psychopolitik" scheint mir gerade zu banal. Er setzt voraus, dass es die überkommene Politik mit dem Bewusstsein, der Idee und der Vernunft zu tun hatte. Was sehr schwer zu beweisen wäre.

    Der Kapitalismus funktioniert nicht ohne "Gerede", Diskurs. Das ist richtig. Und die Tiefenwirkungen auf den Menschen begrenzen und bedrängen das Seelische. Ganz klar. Von einer Eroberung des Menschen, vice versa dem Beginn einer Ära des "Glaubens", kann aber gar keine Rede sein. Im Gegenteil, eine Mehrheit glaubt immer zugleich nicht daran, aus dem einfachen Grund, weil Ausbeutung (reflexiv: Selbstausbeutung) keine erfüllende Erfahrung ist.

    Han will für diese Mehrheit schreiben?! Kleiner Feigling.

    • @die kalte Sophie:

      Der Begriff PSYCHOPOLITIK ist aus dem "Scientology"- Betrugssystem-schon bekannt, also kein Neologismus, wie Herr Boehme meint.

      Vgl.: Omar v. Garrison "Geheimreport - Scientology - Psychopolitik - Die Moderne Inquisition" (1984), vgl. auch: Lt. KENT (zitiert bei Heinemann s.u.) soll HUBBARD den Begriff geprägt und nichts anderes als "Hirnwäsche" gemeint haben http://www.ingo-heinemann.de/Gehirnwaesche3.htm.

       

      Ob das der Autor Byung-Chul Han wußte?