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Demo der Abtreibungsgegner„Kritik an modernen Lebensentwürfen“

Am Samstag veranstalten Abtreibungsgegner den „Marsch für das Leben“. Autor Ulli Jentsch über die Sprengkraft dieser Bewegung.

Jedes Jahr aufs Neue: Abtreibungsgegner mit ihrem "Marsch für das Leben" 2013. Bild: dpa
Malene Gürgen
Interview von Malene Gürgen

taz: Herr Jentsch, zum elften Mal findet an diesem Wochenende der „Marsch für das Leben“ statt. Sie haben über die Bewegung dahinter ein Buch geschrieben – was wollen die selbsternannten Lebensschützer mit dieser Demonstration?

Ulli Jentsch: Der Marsch ist das zentrale Event dieser Szene. Die Bewegung, darunter viele christliche Fundamentalisten und einige extrem Rechte, wendet sich damit an die Bundespolitik und will öffentlichkeitswirksam zeigen, dass sie mit der aktuellen Abtreibungspolitik nicht einverstanden ist. Der Marsch wird schon seit einer Weile jedes Jahr größer – wir vermuten, dass das damit zusammenhängt, dass die Themen Familienpolitik oder sexuelle Vielfalt seit einigen Jahren gesellschaftlich intensiver diskutiert werden.

Sie beschreiben in Ihrem Buch den Imagewandel, den diese Bewegung durchgemacht habe. Worum geht es dabei?

Die Lebensschützer befanden sich Mitte der neunziger Jahre in einer Krise, nachdem ihre Verstrickungen mit dem extrem rechten Rand öffentlich wurden. Daraufhin hat man sich neu aufgestellt: Zum einen wird heute moderater und sanfter formuliert, es werden keine scharfen Angriffe mehr gefahren. Zum anderen gibt es die Ausweitung der Thematik: Längst geht es nicht mehr nur um Abtreibungen, sondern auch etwa um Präimplantationsdiagnostik oder Sterbehilfe. Dazu muss man auch wissen, dass diese Bewegung finanziell sehr gut aufgestellt ist und sehr professionelle Kampagnen, ein sehr professionelles Wording betreiben kann.

Ist es dann überhaupt noch richtig, die Lebensschützer als Ein-Punkt-Bewegung zu charakterisieren?

Tatsächlich ist die Forderung nach Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 nur eine Zuspitzung. Dahinter steht, zumindest bei den Organisatoren und einem Teil der Teilnehmer, eine fundamentale Kritik an modernen Lebensentwürfen, eine sehr generalisierte Kulturkritik.

Der Marsch hat Unterstützung auch aus etablierten Parteien, etwa der CDU. Gleichzeitig sprechen Sie von „antidemokratischen Tendenzen“ der Bewegung – wie geht das zusammen?

Marsch und Gegenproteste

Der "Marsch für das Leben" wird vom "Bundesverband Lebensrecht" organisiert. Gegen die Veranstaltung gibt es verschiedene Proteste: Um 11:30 Uhr an diesem Samstag startet eine Gegendemonstration am U-Bahnhof Kochstraße in Kreuzberg, zu der das Bündnis "Marsch für das Leben? What the Fuck!" aufruft. Zu dem Bündnis gehören die Jugendverbände der Grünen, Linken und SPD sowie verschiedene Antifa- und Feminismusgruppen. Neben der Demo hat das Bündnis auch angekündigt, den Marsch blockieren zu wollen.

Für 13 Uhr ruft das "Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung" zu einer Gegenkundgebung unter dem Titel "Leben und lieben ohne Bevormundung" am Brandenburger Tor auf. Zu diesem Bündnis gehören unter anderem Pro Familia, Terre des Femmes, die Berliner Aids-Hilfe e.V. und der Lesben- und Schwulenverband. (mgu)

Antidemokratisch ist aus unserer Sicht die Vermischung von Kirche und Staat, die hier propagiert wird. Da wird etwa ein „Deutschland nach Gottes Geboten“ gefordert oder die Bibel dem Grundgesetz vorausgestellt. Da kracht’s ganz gewaltig im Gebälk und da fragen wir uns schon, warum die Strömungen der CDU, die diesen Marsch unterstützen, sich dafür eigentlich nie rechtfertigen mussten.

Gegen den Marsch wird auch an diesem Wochenende protestiert. Wie kann eine erfolgreiche Strategie gegen eine so auf Außenwirkung bedachte Bewegung aussehen?

Zunächst ist eine tiefere Beschäftigung mit der Bewegung wichtig. Es muss klar sein, dass es hier nicht nur um die Entscheidungen einzelner Frauen geht, sondern welche politische Aussagekraft das hat, was da an Themen und Personal drinsteckt. Aber auch beim Thema Abtreibung gibt es große Sprengkraft: Diese Leute wollen den gesellschaftlichen Kompromiss, dass Abtreibungen nicht erlaubt sind, aber auch nicht strafrechtlich verfolgt werden, aufkündigen. Dass Menschen dagegen auf die Straße gehen, kann sicher nicht schaden.

■ „Deutschland treibt sich ab – Organisierter ’Lebensschutz‘, christlicher Fundamentalismus und Antifeminismus“. Ulli Jentsch, Eike Sanders, Felix Hansen. Unrast Verlag 2014, 98 Seiten, 7,80 Euro

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