Marianne Faithfull über ihre Musik: „Das letzte Wort habe immer ich“
Marianne Faithfull ist wieder auf Tour. Sie erzählt von einer kreativen Zwangspause, ihrer Hassliebe zu London und einem unwiderstehlichen Arrangement.
taz: Frau Faithfull, die Begleitumstände zu Ihrem neuen Album führten zu völlig unvorhergesehenen Entwicklungen.
Marianne Faithfull: Das kann man wohl sagen, unvorhergesehene Entwicklungen. Aber doch waren sie in gewisser Weise auch sehr fruchtbar. Was hätten Sie mit einem vier Mal gebrochenen Kreuzbein gemacht? Ich für meinen Teil lag sieben Monate flach, habe Bücher gelesen, Filme geschaut und nachgedacht. Auch darüber, wen ich im Laufe meines Lebens geliebt habe, wen ich gerne geliebt hätte. Ich habe mich damit auseinandergesetzt, wem ich Unrecht getan habe und um wen ich mich hätte besser kümmern müssen. All diese Gedanken haben die Gedanken überlagert, die ich mir über die Musik auf meinem neuen Album gemacht habe. Insofern war das Arbeiten zwar hart und schmerzvoll, aber sehr kreativ; denn ich hatte noch nie in meiner Karriere so viel Zeit zum Schreiben.
Ihre Karriere ist durchzogen von Leiden, Niederlagen und Kämpfen – aber immer wieder sind Sie aufgestanden und sind weitergezogen.
Jetzt übertreiben Sie mal nicht. Aber ich bin schon ein bisschen stolz, dass ich diesen Prüfungen oder besser: Herausforderungen des Lebens am Ende immer ein herzliches ’Scheiß drauf!‘ zurufen konnte.
Der Titel des Albums, „Give My Love To London“, wirft natürlich die Frage auf, ob Sie ihn zynisch meinen. Dass sie ein gespaltenes Verhältnis zu Ihrer Heimatstadt haben, ist ja bekannt.
Nach all dem, was mir in London passiert ist, meine Zeit als Junkie und weitere Tiefpunkte, habe ich die Stadt ja wohl nicht nur aus einem Grund, sondern gleich aus mehreren guten Gründen verlassen und bin nach Paris, später nach Irland gezogen. Aber so ganz ausblenden kann ich London nicht. Mein Sohn und mein Enkel leben dort. Die besten Tonstudios gibt es immer noch in London, wie etwa das in Kilburn, in dem die Musik für das Album entstand. Und Flood, mein Produzent, wohnt in London.
Die Liste Ihrer Mitstreiter liest sich, wie ein Who’s who des Pop: etwa der Gitarrist Adrian Utley von Portishead. Und Nick Cave schickt seinen Saitenvirtuosen Warren Ellis und den Drummer Jim Sclavunos – die Namen haben Sie alle in Ihrem Telefonbuch und rufen einfach an?
Gut, ich habe eben bereits 20 Alben gemacht und habe daher den einen oder anderen Künstlernamen und seine Telefonnumer im Notizbuch stehen. Nick Cave ist ein enger Freund, mit dem ich die persönlichsten Sachen teile. Fragen Sie mich jetzt bloß nicht, welche, ich erzähle es Ihnen eh nicht. Aber egal, wer mit mir spielt, das letzte Wort habe immer ich. Ansonsten kann ich mich überaus glücklich schätzen, dass all diese großartigen Musiker an meiner Seite sind.
geboren 1946, ist Schauspielerin und Sängerin. Berühmt wurde sie in der Ära von Swinging London an der Seite von Mick Jagger. Anfang der siebziger Jahre galten Marianne Faithfull und Mick Jagger als berühmtestes heroinabhängiges Paar des Pop. Erst Mitte der Achtziger kam Faithfull vom Heroin los.
Als Meisterwerk gilt ihr Album „Broken English“ (1979). Sie hat mehr als 20 Alben veröffentlicht und das Buch „Bilder meines Lebens“, Edel-Books, Hamburg 2014, 304 Seiten.
Neu ist das Album: „Give My Love To London“ (Naïve/Indigo)
Tour: 17. 10. Leipzig, Haus Auensee, 18. 10. Hannover, Theater am Aegi, 20. 10. Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle, 15. 11. München, Zirkus Krone, 25. 11. Berlin, Tempodrom, 26. 11. Hamburg, Kampnagel
Mit Ihrer jungen Kollegin Anna Calvi spielen Sie erstmals zusammen.
Anna Calvi hat mich überrascht. Wir wurden uns vorgestellt und anschließend gefragt, ob wir nicht gemeinsam Musik zur Chloé-Schau bei der Pariser Modewoche beitragen möchten. Haben wir gemacht – es gab viel Geld und schöne Kleider. Anschließend gab ich ihr den Text zu ’Falling Back‘. Sie kam mit einer Melodie zurück, die unglaublich verführerisch war. Nur passte sie nicht so ganz zum Text, fand ich. Also habe ich den Text umgeschrieben. Musste ich tun. Das Arrangement von Anna Calvi war einfach unwiderstehlich. Aber das ist ja auch nicht verwunderlich, ich kann mich an keins meiner Lieder erinnern, dass dann auf dem Album so klang, wie ich es ursprünglich im Kopf hatte. Ich will auch nicht mit anderen Künstlern zusammen spielen, nur damit wir gegenseitig unsere Egotrips ausleben. Ich arbeite deshalb mit ihnen, weil es gut für die Musik ist.
Sie haben nun auch wieder politisch Stücke im Programm.
Ja, ich bin ein politisch interessierter Mensch und manchmal schlägt sich das in meinen Texten nieder. ’Broken English‘ hatte eine politische Botschaft. Aber ich muss richtig wütend sein, und dann komme ich in die richtige Stimmung, um Stücke zu texten wie ’Sparrows Will Sing‘ oder ’Mother Wolf‘. Die Musik dazu hat Roger Waters für mich geschrieben. Der Text musste mal deutlich gesagt werden, denn ich sehe schwindende Chancen für den Sieg der Menschlichkeit.
Wie ist es um die Liveversionen Ihrer Songs bestellt und wer wird mit Ihnen live auf der Bühne stehen?
Ein Album ist nicht mehr als eine Momentaufnahme. Warum also sollte ich auf der Bühne so klingen wie im Studio? Jede Sekunde der stets fortschreitenden Zeit ändert alles. Mich. Meine Musik. Die ganze Welt. Und ich probiere live alles mögliche aus. Ich könnte sogar a cappella singen. Keine Sorge, ich werde es nicht tun. Oder ich könnte, wie ich es letztes Jahr in Paris getan habe, nur mit dem Jazzgitarristen Bill Frisell spielen. Nein, jetzt mal beiseite mit allen Spekulationen, es wird die gleiche Band sein, die mit mir das Album eingespielt hat. Doch, wie gesagt, wir nehmen uns heraus, die Lieder ganz anders zu spielen.
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