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Die WahrheitDiagnose: Arztsohn

Kolumne
von Leo Fischer

Geld, Liebschaften, eine glänzende Karriere - das erwartet jeden Sprössling eines Mediziners. Behauptet zumindest die einschlägige Presse. Wie es wirklich ist ...

I n den MAD-Heften, die ich als Winzling verschlang, gab es einen Standardwitz, der mir schon damals nicht recht einleuchten wollte. Wann immer eine Mutter ihrer heranwachsenden Tochter einen Junggesellen empfahl, war dies der Arztsohn aus der Nachbarschaft, dessen Wohlstand, glänzende Karriereaussichten und unbeschränkter Zugang zu Verhütungsmitteln als besonders begehrenswert erschienen. Nichts davon deckte sich mit meiner Lebenswirklichkeit.

Als Sohn eines Arztes geboren zu sein, brachte mir im Gegenteil den Status eines Parias ein, ja formierte sich im Lauf der Lebensjahre zu einem eigenständigen Krankheitsbild. Denn wie wir heute wissen, ist man umso kränker, je häufiger man beim Arzt ist. Folglich ist niemand so krank wie wir armen Arztkinder.

Die Stellung unserer Familie in der Gesellschaft war ungefähr mit der des Dorfdeppen vergleichbar: Ein Gang in die Öf fentlichkeit in Begleitung meines Vaters bedeutete eine endlose Kette an Peinlichkeiten. Restaurantbesitzer, die sich über lange Wartezeiten in der väterlichen Praxis geärgert hatten, ließen uns in ihren Betrieben stundenlang auf Pizza warten, rissen Witze auf unsere Kosten.

Im örtlichen Einkaufszentrum stürmten wildfremde Menschen auf uns zu, während sie sich die Kleider vom Leib rissen und auf „so Stellen“ zeigten. Völlig unbefangen erzählten sie ihm von Geschlechtskrankheiten und seltsam verfärbten Körperflüssigkeiten, als gehörte ich zum medizinischen Personal.

Noch heute bewege ich mich verkrampft in der Öffentlichkeit, denn ich weiß: All diese Menschen um mich herum sind tatsächlich schwer krank, unter ihrer Kleidung von widerwärtigen Ekzemen entstellt und ohne jede Scheu, diese herzuzeigen.

Und die Heiratsempfehlungen? Ha! Nachdem nahezu alle Medien jahrzehntelang das Image des golfspielenden Leichenfledderers geprägt hatten, war mein Image ungefähr da, wo wohl die Söhne von Immobilienmaklern stehen: Du kannst ja auch nichts dafür, was dein Dad macht, aber eklig ist es schon.

Um dem schlechten Image Kontra zu geben und die Tugend der Bescheidenheit zu pflegen, wurden wir Kinder auch finanziell kurz gehalten, so dass ich mir Freunde nicht einmal kaufen konnte. Wie beneidete ich die Rechtsanwaltssöhne in meiner Klasse, die mit dem ergaunerten Geld ihrer Väter um sich warfen, sorglos um einen Ruf, der so ruiniert war, dass man ihn gar nicht erst retten wollte. Einzig mit frei erfundenen medizinischen Ratschlägen konnte ich brillieren, aber junge Menschen kann man damit nicht beeindrucken.

Es ist ein tollkühner Messias-Komplex, an dem wir Arztkinder leiden. Mein Erzeuger hat mich nicht nur hervorgebracht, sondern ist auch Herr über Leben und Tod, richtet die Sünden von Völlerei, Trunksucht und anderen Maßlosigkeiten – und heilt die Welt von ebendiesen. Mein Vater ist Gott, und ich bin Gottes Sohn. Niemand kann mich retten, wenn nicht ich selbst. Und ihr da draußen, die ihr gebrechlich und moribund seid, tröstet euch mit diesem Wissen: Für all eure Krankheiten leide ich immer auch ein bisschen mit.

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1 Kommentar

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  • In Wahrheit kommt es immer darauf an, einen aussergewöhnlichen Altruismus zu präsentieren - ob nun als Arztsohn, oder als Massenmörder, ist dabei völlig unerheblich.