Ausstellung: Ein leeres Versprechen, das wirkt
Sonnenuntergänge, Palmeninseln, Paare am Strand – der Maler Friedrich Kunath zeigt in Bremerhaven Bilder, Videos und Installationen zum Thema „Sehnsucht“.
Sehnsucht ist eines dieser Wörter: Es ist groß und leer zugleich. Es gibt vor, alles zu bedeuten und bedeutet meistens nichts. Als Wort ist es abgegriffen. Seine Bilder – all die Kreuzfahrtschiffe, Palmeninseln, Sonnenuntergänge, Paare am Strand – sind bar aller Spontaneität und zu Mustern geronnen. Dass es sich bei solchen Bildern um Klischees handelt, ist ein Allgemeinplatz. Gleichwohl ist ein wenig Wahrheit in ihnen enthalten. Sie wirken auf die Gemüter ihrer Betrachter. Wie kann das sein?
Mit solcherlei Sehnsuchtsmotiven beschäftigt sich der in den USA lebende Maler Friedrich Kunath. Der Kunstverein Bremerhaven zeigt derzeit in einer Einzelausstellung zahlreiche seiner Arbeiten. „If I Could Only Remember Your Name“ lautet der gleichermaßen sehnende wie desillusionierende Titel der Ausstellung. Sehnend aufgrund des Wunsches nach dem Namen, desillusionierend, weil er so wichtig auch wieder nicht gewesen sein kann.
Es ist wie in Brechts Gedicht „Erinnerungen an die Marie A.“: Von der Erinnerung an eine Frau bliebt ihm nicht mal der ganze Name. Stattdessen erinnert er sich bloß an eine Wolke, die einmal über ihnen vorüber zog. Es bleibt auch hier so beiläufig wie eindrücklich, schmutzig und sehnsüchtig. In der Ausstellung jedenfalls, die diesen wunderbaren Titel trägt, sind neben einigen großformatigen Ölbildern und Videos auch Objektinstallationen zu sehen. Das Sehnsuchtsthema zieht sich durch Kunaths Werk – ganz unabhängig vom Material.
So etwa in „We Are Nowhere And It Is Now“ aus diesem Jahr. Insgesamt 14 alte Koffer hängen in einer Reihe an Nylonschnüren von der Decke. Sie sind unterschiedlich weit geöffnet – Vögeln ähnlich, die ihre Flügel öffnen und schließen. Im Schwarm erinnern sie an Zugvögel, die sich im Herbst von hier aus gemeinsam in den Süden aufmachen. Wir kennen ihr Ziel nicht genau, aber dass es dort besser sein muss als hier, wissen wir bestimmt.
Die Zugvogel-Koffer fliegen vom Eingang in den Ausstellungssaal hinein. Sie führen den Besucher ins Innere der Ausstellung, die selbst zu einer Art Sehnsuchtsort wird. Natürlich kommen die Koffer-Vögel nicht weit. Man kann ihnen über eine Holztreppe auf eine Empore folgen. Weiter geht es nicht. Der Ernst der Sache ist gleichzeitig seine Hintertreibung. Das muss man sehen, um nicht dahinzuschmelzen oder zu schimpfen.
Anstelle einer Art von Erfüllung läuft auf der Empore, zu der die Koffer-Vögel fliegen, auf einem kleinem Monitor ein Video. Bereits der Titel scheint sich darüber lustig zu machen, dass man überhaupt die Treppe nach oben genommen hat: „You Go Your Way And I Go Crazy“.
Der Titel ist einem recht schmalzigen Song des Countrysängers Ricky van Shelton entlehnt. Zu sehen ist ein Typ, der auf einem Berg sitzt und vom Segeln träumt. Man sieht diesen Jemand bald schon lässig mit einer Segeljacht übers Meer gleiten. Dann steigt er aus einem Pool, in der Hand einen Koffer aus dem das Wasser rinnt. Von einem Tennisplatz aus ruft er sich selbst auf der Jacht an. Anschließend sieht man ihn erneut in Kleidern im Pool umher schwimmen. Um ihn herum treibt Gemüse auf dem Wasser. Dazwischen ein kleines Schiff. Auf dessen Segeln ist zu lesen: „100 %“. Die Sehnsuchtsmomente überschlagen sich und kollabieren förmlich. Zum Lachen kommt man nicht. Es gibt keine Entladung der Irritation. Sie bleibt im Halse stecken.
Solcherart Implosion von Sehnsuchtsbildern findet man immer wieder in Friedrich Kunaths Werk. Seit 2007 lebt er in Los Angeles. Die Nähe zur Traumfabrik wird oft bemüht. Die Bilder, derer Kunath sich bedient, allerdings sind nahezu ortsunabhängig und universell.
Mitunter verwendet der 1974 in der DDR geborene Künstler in seinen Arbeiten auch Illustrationen oder Filmszenen aus der deutschen Sehnsuchtskulturindustrie. Gerade in Kunaths großformatigen Ölbildern findet man sie immer wieder: Sonnenuntergänge, Palmen, Wolken, fliegende Vögel und Liebespaare.
In der Malerei war Farbigkeit, Illustration und Narration lange verpönt. Man merkt seinen Bildern somit an, dass Kunath einer jüngeren Generation angehört. Maler wie Heike Kati Barath und Sanya Kantarovsky bedienen sich heute ganz selbstverständlich dekorativer und erzählerischer Elemente. Nicht selten greifen sie dabei auf historisches Material zurück.
So auch Friedrich Kunath: Die Cowboys, die seine großen Leinwände bevölkern, entstammen amerikanischen Illustrierten der 1960er und 1970er-Jahre. Durch den zeitlichen Abstand wirken sie so fremd, dass Kunath sich auf sie beziehen und sie neu aufladen kann.
Und immer wieder diese Sonnenuntergänge! In Bremerhaven sind gleich mehrere zu sehen. Kunath malt sie in den grellen Farben der Illustrierten-Fotografien der 1970er-Jahre. Eine seiner Leinwände zeigt einen Maler vor einem jener Sonnenuntergänge. Auf einem Schemel sitzend wendet er dem Betrachter den Rücken zu. Seine Leinwand verdeckt die Stelle, an der sich die Sonne befinden müsste. Das Motiv, das man auf seiner Leinwand sieht, ist eben diese untergehende Sonne, die er verdeckt. Auch hier implodiert alles! Das Bild reflektiert sich nach den Regeln der Kunstdiskurse der 1990er-Jahre, bis es platzt.
Schön ist die Art und Weise, in der die Bilder im grafischen Kabinett des Kunstvereins ganz unverschuldet in den Raum übergreifen. Die Figuren auf den Leinwänden finden ihre Entsprechung im Interieur des 1964 errichteten Ausstellungshauses. All die Sonnenuntergänge und Comicfiguren hängen über einem grob gewebten beigen Teppichboden und neben einer Holz beschlagenen Wand, die typisch sind für diese Jahre.
Auf einem kleinen Tisch dudelt auf einem kleinen Fernsehgerät ein weiteres Video des Künstlers. Es ist mit Easy Listening unterlegt – der Soundtrack für Raum und Bilder. Zu sehen sind auch hier wieder Ausschnitte aus 1960er-Jahre-Filmen. Es sind natürlich wieder Symbole von Sehnsucht und Freiheit: lange Motorradfahrten, Steilhänge und das Meer.
Und dann spielt es schon eine Rolle, dass Kunath ausgerechnet nach Kalifornien ausgewandert ist. Von Karl-Marx-Stadt über Braunschweig in eine Gegend, die wie keine andere das Versprechen des „Anything Goes“ vermitteln sollte. Als Zustand hält das Versprechen allerdings nicht lange. Wie lange kann man einen Sonnenuntergang anstarren? Bis die Sonne untergegangen ist. Es sei denn der Sonnenuntergang wurde auf Fototapete gebannt.
Bis 2. November, Kunstverein Bremerhaven
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