Flüchtlinge in Berlin: Bezirk will Schule wieder räumen
Die Gerhart-Hauptmann-Schule soll zu einer Flüchtlingsunterkunft umgebaut werden. Die Bewohner müssen ausziehen.
An der ehemaligen Schule in der Ohlauer Straße in Kreuzberg hängen neue Aushänge des Bezirksamts. Auf ihnen werden die BewohnerInnen jetzt aufgefordert, das Gebäude noch im Oktober zu verlassen. Diejenigen, die sich in einem Asylverfahren befinden, können sich laut der Informationszettel Gutscheine abholen, mit denen sie für die Dauer von vier Wochen nach dem Auszug in einem Hostel übernachten können.
„Wir werden die Schule nicht verlassen“, sagt einer der Bewohner am Dienstagvormittag bei einer Pressekonferenz vor dem Gebäude. Die BewohnerInnen haben eigene Pläne: Sie wollen ein selbst verwaltetes „Flüchtlings-, Sozial und Kulturzentrum“ einrichten, in dem es auch Sprachkurse, einen Nachbarschaftstreff sowie Raum für künstlerische Projekte geben soll.
Unterstützung für diese Pläne gibt es von Berliner Kulturschaffenden: „Wir wollen mit diesen Flüchtlingen, die für ihren Kampf Respekt und Hochachtung verdienen, dauerhaft zusammenarbeiten“, sagt Stefan Fischer-Fels, Intendant des Grips-Theaters. Seit Juni werde in der Schule an gemeinsamen Theaterprojekten gearbeitet. Im November soll eine Solidaritätskampagne für die Flüchtlinge starten, an denen sich auch das Maxim Gorki Theater, das Ballhaus Naunynstraße, das Theater an der Parkaue und weitere Einrichtungen beteiligen. „Wir halten das Vorhaben, die jetzigen Bewohner zum Auszug zu zwingen für einen fatalen Fehler“, sagt Fischer-Fels. Eine friedliche Lösung könne nur dann gelingen, wenn nicht über BewohnerInnen hinweg entschieden werde.
Auf den ersten Blick verfolgen Bezirk und BewohnerInnen das gleiche Ziel: die Errichtung eines Flüchtlingszentrums. Doch bei der Frage, was sich hinter diesem Begriff verbirgt, gehen die Vorstellungen weit auseinander: Während die Flüchtlinge ein selbst verwaltetes Zentrum wollen, führt der Bezirk Gespräche mit Trägern, die reguläre Flüchtlingsunterkünfte betreiben – also jene Einrichtungen, die die FlüchtlingsaktivistInnen „Lager“ nennen und abschaffen wollen.
„Alle interessierten Träger wollen, dass das Gebäude für die Umbauarbeiten leer ist“, sagt Bezirkssprecher Sascha Langebach. Momentan sehe es danach aus, als werde das Diakonische Werk die Trägerschaft übernehmen. „Außerdem sind alle Versuche, die Asylverfahren der BewohnerInnen nach Berlin zu überstellen, gescheitert“, sagt Langenbach. „Das Wohnen in der Schule muss deshalb jetzt für diese Leute zu Ende gehen“.
Im neuen Heim wird es laut Langenbach eine jeweils eine Etage für Frauen, Männer und Familien geben. Im Keller sollen Waschräume und auf den Etagen Teeküchen eingerichtet werden. Ob sich das Heim von anderen Unterkünften unterscheiden wird, so wie es der Bezirk mit der Bezeichnung „Internationales Flüchtlingszentrum“ stets suggeriert hatte, bleibt unklar.
„Wir halten ein selbst verwaltetes Zentrum für eine großartige Idee und würden uns als Nachbarn gern beteiligen“, sagt Kim Archipova von der Nachbarschaftsinitiative Ohlauer Straße. Halte der Bezirk hingegen an seiner Aufforderung zum Auszug fest, fürchte man in der Nachbarschaft „eine erneute Eskalation“.
Leser*innenkommentare
Stefan Mustermann
„Internationales Flüchtlingszentrum“
Berlin hat eine einmalige Chance, beim internationalen Flüchtlingszentrum eine Art Gewerkschaft für Flüchtlinge zu errichten, die es weltweit in so einer Form wohl noch nie gab. Die Flüchtlinge sollten selber daran beteiligt sein, also dort arbeiten.
Sie könnten dann für die Belange der Flüchtlinge sich weltweit einsetzen.
Es wird nicht allzu schwer sein, die Fördergelder aus dem EU-Budget später zu bekommen. Auch die Einrichtung einer Repräsentanz in Brüssel wäre möglich.
Diese Flüchtlinge haben es geschafft, zu Fuß nach Berlin zu kommen. Sie haben es geschafft, auch die EU-Hauptstadt, zu Fuß zu erreichen. Gelernt aus unserer Geschichte, könnten Sie dann diese Mauer, die in der EU gegen die Einwanderung jetzt eingerichtet wird, zu durchbrechen.
Stefan Mustermann
Es ist irgend-wie seltsam.
Erst wollte man einen „Internationales Flüchtlingszentrum“ eröffnen, jetzt plötzlich eine Flüchtlingsunterkunft.
Zuletzt wurde eine Haushaltssperre verhängt und jetzt hat man endlich Geld? Denn die Diakonie bekommt wohl Zuwendungen. Die Diakonie setzt sich auch für Flüchtlinge ein. Die werden doch es nicht zulassen, dass jemand von den betroffenen Flüchtlingen auf die Straße geworfen wird.
Eigentlich könnte man sich einigen.
Stefan Mustermann
Wer hilft eigentlich den Flüchtlingen oder sagt etwas dagegen, wenn eine Ungerechtigkeit passiert, oder zumindest hat Mitgefühl?
Doch wohl die Art von Menschen, die zu DDR Zeiten die Mauer nicht akzeptierten und halfen unseren Brüdern und Schwestern, die fliehend über die Mauer oder hindurch gingen.
Stefan Mustermann
Das ist eigentlich völlig absurd!
Eine Flüchtlingsunterkunft soll entstehen und dabei sollen die Flüchtlinge selbst auf die Straße ausziehen.
christine rölke-sommer
ach wie nett! teeküchen auf den etagen - und ansonsten anstaltsküche und wer nicht zum essen erscheint, kriegt auch kein taschengeld? und wem das essen nicht schmeckt, der kriegt haue von den security-boys?
hatten wir alles schon mal. und so was wird zu recht LAGER genannt.
dass der bezirk sich zum erfüllungsgehilfen von Henkel macht, sollte der taz schon ein zwei kritische anmerkungen wert sein. oder ist die taz bereits zur hauspostille der häuslebauer verkommen?
D.J.
Gast
"Erfüllungsgehilfen"
Im Übrigen: Sie sind doch Juristin. Schauen Sie mal in die Berliner Verfassung und in das Grundgesetz. Sie werden nach einiger Lektüre überrascht festststellen, dass Kreuzberg kein souveräner Staat ist. Nicht einmal ein eigenes Bundesland. Blöd aber auch. Könnte ja bei der geballten Sachkompetenz und wirtschaftlichen Prosperität dort ein blühender Ministaat sein.
Widerstandsrecht nach Art. GG 20 gilt leider auch nicht, oder sind Sie da anderer Meinung?
christine rölke-sommer
stimmt, ich bin juristin.
und deshalb frag ich mich, wie's kommt, dass Henkel - aber nicht nur der - rechtsstaat vor die wand fährt und alle das ganz toll finden.
vor dem hintergrund darf (auch) ich über widerstandsrecht nachdenken.
schließlich geht auch da probieren über die regelstudienzeit.
D.J.
Gast
"hatten wir alles schon mal. und so was wird zu recht LAGER genannt."
Und wenn man denkt, C. R.-S.' Welt kann nicht absurder werden, kommt ein KZ-Vergleich.
christine rölke-sommer
in berlin hatten wir. vor allem die pebewo habe ich da in unguter erinnerung.
ps: natürlich schreiben die so was nicht in ihren internetauftritt. aber die werden sich bestimmt über Ihren kz-vergleich freuen.
XBurger
Die Kreuzberger Bezirkspolitik ist ein schönes Beispiel, wie „gutgemeint“ scheitern kann. Die dominierenden Grünen sind nicht der Lage, sich von der linksradikalen Unterstützerbewegung abzugrenzen und suggerieren, dass „wir“ im Grunde das Gleiche wollen. Sie versprechen Dinge, die sie nicht einhalten können. Am Ende werden sie von der Szene und Sachzwängen getrieben, Gestaltung sieht anders aus. Grüne und Linke haben eine Mehrheit in der BVV. Die Politik, die hier gemacht wird, ist abschreckend für die ganze Republik.
Ich glaube, Kreuzberg würde ein Initiative freier Wähler gut tun, um dem „gutgemeint“ Paroli zu bieten.
D.J.
Gast
Es steht jedem frei, sich "Nachbarschaftsinitative" zu nennen. Aber zu behaupten, für die Nachbarschaft zu sprechen und als angebliche Nachbarschaftsvertreter auch noch zu drohen, ist schon ein wenig arrogant, finde ich.