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Arbeitsrechtler über Tarifeinheit„Eingriff ins Streikrecht“

Heiner Dribbusch hält das Vorhaben der Arbeitsministerin für einen Fehler. Die Spartengewerkschaften seien weder übermächtig noch besonders streikfreudig.

Für Gewerkschaften wie die GdL droht bald ein Stoppsignal. Bild: dpa
Interview von Richard Rother

taz: Herr Dribbusch, das Tarifeinheitsgesetz, eine gute Idee?

Heiner Dribbusch: Nein, hierbei handelt es sich um einen gravierenden Eingriff in das Streikrecht der Gewerkschaften.

Wieso?

In Deutschland dürfen Gewerkschaften nur streiken, um einen Tarifvertrag abzuschließen. Wenn aber künftig ein Tarifvertrag, den eine kleine Gewerkschaft anstrebt, keine Anwendung finden kann, weil sie nicht die Mehrheit im Betrieb hat, wird ihr durch die Arbeitsgerichte der Streik untersagt werden. Sie ist damit von einer eigenständigen Tarifpolitik ausgeschlossen.

Die Gewerkschaften könnten doch gemeinsam vorgehen. Das hat Jahrzehnte funktioniert.

Es funktioniert auch heute gut, zum Beispiel im öffentlichen Dienst. Aber solch ein gemeinsames Vorgehen kann man nicht gesetzlich vorschreiben.

Im Interview: Heiner Dribbusch

60, ist Tarifexperte im WSI-Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung. Das Archiv ist die zentrale tarifpolitische Dokumentationsstelle der DGB-Gewerkschaften.

Was würde das Gesetz in der Praxis bedeuten?

Problematisch ist vor allem, wer festlegt, was als Betrieb gilt. Diese Festlegung könnten die Arbeitgeber so gestalten, dass es zu Konstellationen kommt, die für sie günstig sind. Beispiel Deutsche Bahn: Sie ist so zergliedert, dass sie einen eigenen Arbeitgeberverband gegründet hat. Was ist hier der Betrieb? Die Tochtergesellschaft, das Unternehmen, der Konzern?

Hat das Verhalten der Spartengewerkschaften die Bundesregierung bewogen, das Gesetz zu forcieren.

Es waren vor allem die Arbeitgeber. Spartengewerkschaften sind weder übermächtig noch besonders streikfreudig. Bei der Bahn gibt es jetzt nach sechs Jahren erstmals wieder größere Streiks. Und die Dauer des Konflikts bei der Lufthansa zeigt, dass die Piloten keineswegs so einfach ihre Vorstellungen durchsetzen können. Das Gesetz kann eher dazu führen, dass sich der aktuelle Konflikt bei der Bahn verschärft. Denn vor seinem Inkrafttreten dürfte die Lokführergewerkschaft bemüht sein, tarifpolitisch Pflöcke einzuschlagen.

Durch das Gesetz sollen Tarifkollisionen vermieden werden. Was ist daran falsch?

Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gilt schon heute vielfach nicht; man denke nur an freie Mitarbeiter oder Leiharbeiter, die die gleiche Arbeit machen wie Festangestellte, aber anders entlohnt werden. Das wollen die Arbeitgeber, hier interessiert sie die Tarifeinheit nicht. Und kein Arbeitgeber muss einem Tarifvertrag zustimmen, der für eine Berufsgruppe andere Bedingungen vorschreibt, als er sie mit einer anderen Gewerkschaft vereinbart.

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2 Kommentare

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  • Sicher war das Problem in der Vergangenheit nicht so akkut - aber die GdL zeigt, wohin der Weg geht. Von einer Spartenvertretung, die für ihre Gruppe mehr Geld als für die übrigen Mitarbeiter_innen herausholen wollte, geht es nun darum, dass die Gewerkschaften gegeneinander streiken um einen grösseren Teil der Belegschaft hinter sich zu scharen.

    Wenn eine Gewerkschaft mit den Arbeitgebern küngelt und andere Gewerkschaften damit die Beschäftigten nicht mehr vertreten dürfen, so könnte dies durchaus ein theoretisches Szenario was in Betracht gezogen werden soll. Umgekehrt könnte es passieren, dass die Hauptgewerkschaft die Belange einer Minderheit übergeht und diese Minderheit dann ohne Streikrecht keine Chance hat, ihre Belange durchzusetzen. Doch wie weit das berechtigte Interesse einer Minderheit geht und ab wann sich die Minderheit Privilegien zu Kosten auf Kosten des gesamten Unternehmens sichern will, lässt sich allgemein schlecht beschreiben.

    Eine Lösung könnte sein, die innerbetriebliche Demokratie in den Gewerkschaften zu stärken oder ein Abstimmungsverfahren zwischen verschiedenen Gewerkschaften vorzuschreiben. Das GdL-Szenario ist real und nicht nur eine hochstilisierte theorietsche Gefahr wie Herr Rother meint.

    • @Velofisch:

      Das GDL-Szenario ist lediglich UNGEWOHNT für die hiesige pazifiziert-sedierte Landschaft. Die bereits unter den Rädern einer totalitären Wirtschaft liegt aber sich für so was von "frei" hält. Eine kämpfende Gewerkschaft - einfach unerhört, gell!