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Das vergessene RezeptAffenfett macht mürbe

Unmut entsteht zuerst am Mittagstisch. Die DDR ging unter, weil das Essen schlecht war. Mit einer Ausnahme: Würzfleisch mit Königin-Pastete.

Schmeckt noch besser mit „Wuschtersoße“: Würzfleisch. Bild: imago/Sabine Gudath

Kulinarisch betrachtet war der Untergang der DDR eine zwangsläufige Entwicklung. 40 Jahre lang hatten Millionen von Menschen schlecht gegessen. Sie gingen auf die Straße und weil man mit Parolen wie „Mehr Gewürze!“ oder „Wir wollen Auberginen!“ keine Revolution gewinnt, riefen sie eben „Wir sind das Volk!“ oder „Keine Gewalt!“ und hatten am Ende damit Erfolg.

Aber eigentlich ging es ums Essen.

Wer sich über Jahrzehnte von „Affenfett“, „Beamtenstippe“ oder „Hackus und Knieste“ ernähren muss, der wird mürbe mit der Zeit und will einen anderen Staat. Wenn es zu Hause gut schmeckt, ist auch eine schlechte Regierung erträglich.

Silvio Berlusconi konnte sich nur deshalb so viele Jahre an der Macht halten, weil sich die Italiener mehr für ihre Nudelsaucen interessieren als für politische Debatten. Unzufriedenheit entsteht zuerst am Mittagstisch. Doch solange das Olivenöl duftet und das Basilikum frisch aus dem Garten kommt, können einen die Politiker am Culo lecken.

taz.am Wochenende

Vor 25 Jahren fiel die Mauer, alsbald verschwand auch die DDR. Spurlos? taz-Reporter erkunden, was geblieben ist – in den Biografien der Menschen, in Tagebüchern von damals und in Potsdam, einer bis heute geteilten Stadt. taz.am wochenende vom 8./9. November 2014. Außerdem: Hedy Lamarr war der Protoyp der unterkühlten Hollywoodschauspielerin. Dass wir ohne sie nicht mobil telefonieren könnten, weiß kaum jemand. Und: Pulitzer-Preisträger David Maraniss über Barack Obama. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

„Cucina povera“, die „Küche der armen Leute“, nennen sie südlich der Alpen mit einem gewissen Stolz jene Art von einfachen Gerichten, die keine große Kochkunst benötigen, sondern lediglich die besten Zutaten. Hätten mehr Italiener in der DDR gelebt, der Zusammenbruch wäre um Jahre beschleunigt worden.

Wer wie ich keine Verwandten östlich der Elbe besaß, wusste ja nichts vom dortigen Elend auf den Tellern. Ich war 23 Jahre alt, als ich das erste Mal mit dem VW-Käfer meiner Mutter in das andere Deutschland fuhr und eine Fleischtheke in Leipzig sah. Da lagen ein paar Bollen fettiges Schweinefleisch neben drei Sorten von Würsten, und allein der Gedanke an einen luftgetrockneten Schinken war strengstens verboten. Missmutig schob sich die Schlange der Kunden an der Theke vorbei, hinter der eine lustlose Verkäuferin die Fleischbollen in Papier einwickelte.

Alle Saucen waren Mehlpampen

Mir war bis dahin der Sozialismus als Idee durchaus sympathisch gewesen. Nach ein paar Tagen DDR war ich einigermaßen ernüchtert. Ich hatte gelernt, was Sättigungsbeilagen sind, und konnte einen Stängel Petersilie mit einer geviertelten Tomate am Tellerrand nun als „Vitamingarnitur“ identifizieren. Ich hatte in meinem Leben noch nie so schlecht gegessen wie während jener einwöchigen Rundreise durch das heutige Sachsen und Sachsen-Anhalt. Alle Saucen waren Mehlpampen, jedes Gemüse totgekocht. Als Gewürz war mir außer Salz, Pfeffer und hin und wieder Muskat nichts begegnet. Nur ein einziges Mal schmeckte es mir in einem Restaurant, und das lag an der Stasi.

Kapitalistisches Würzfleisch

Die Zutaten: 400 g Kalbsschnitzel, fein gewürfelt; eine Zwiebel, fein gewürfelt; zwei EL Mehl; acht Kapern, gehackt; 0,1 l Weißwein; 0,1 l Sahne; 0,2 l Brühe; vier fertige Blätterteig-Pasteten; 100 g Schnittkäse; Salz; Pfeffer; Muskat; Worcestersauce; vier Schlapphüte

Das Rezept: Zwiebel und Fleisch anbraten, mit Mehl bestäuben und mit Weißwein und Brühe aufgießen. Würzen, einkochen, Sahne zugeben, noch mal einkochen lassen. Masse in Pasteten füllen, mit Käse belegen und im Ofen bei 180 Grad 15 Minuten überbacken. Mit Worcestersauce servieren, dazu einen Schlapphut tragen.

Die zwei jungen Männer in ihren schwarzen Kunstlederjacken, die mich in einer Leipziger Wohnung unaufgefordert besuchten und mich zum Essen einluden, mussten nicht sagen, woher sie kamen. Ich konnte es riechen. Studenten seien sie, die mit Westdeutschen gerne Kontakt aufnehmen wollten. Während sie ihren Quatsch erzählten, las ich die Speisekarte in einem Restaurant der Leipziger Innenstadt und entschied mich für „Würzfleisch mit Königin-Pastete“.

Während die beiden jungen Herren also vor sich hinbrummelten, wie wichtig der Austausch zwischen Ost und West sei und dass ich doch in Zukunft häufiger zum Gedankenaustausch in die DDR kommen solle, brachte der Kellner die mit Käse überbackenen Blätterteigtaschen und einer hellen, fast weißen Füllung. Sie bestand aus einer dicken Sauce, in der ich sehr fein gewürfeltes, mageres Schweinefleisch entdeckte, auch Zwiebeln und sogar eine Kaper. Das Würzfleisch war gut abgeschmeckt, vielleicht sogar mit ein wenig Weißwein, dazu gab es Worcestersauce („Wuschtersoße“) aus der Flasche, und ich nickte dem Kellner anerkennend zu, was meine Tischherren als Zustimmung zu ihren Ausführungen missverstanden.

Nach dem Mittagessen verabschiedeten wir uns und ich versprach, bald wiederzukommen. Fuhr aber in den darauffolgenden Jahren dann doch lieber in die Toskana.

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