Gedenken an Arafat: Keine Feier im Gazastreifen
Die Hamas sagt die Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des 10. Todestags des PLO-Chefs Arafat ab. Sicherheitsgründe seien ausschlaggebend dafür.
JERUSALEM taz | Die für Dienstag im Gazastreifen geplanten Veranstaltungen zum zehnten Todestag von Jassir Arafat fallen aus. Die islamistische Hamas strich aus „Sicherheitsgründen“ die Feierlichkeiten zum Gedenken an den legendären Palästinenserführer und Chef der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation), nachdem es am Wochenende zu mehreren Anschlägen auf führende Fatah-Funktionäre im Gazastreifen kam. Unter ihnen war auch Abdallah Frangi, Gouverneur von Gaza und früher PLO-Vertreter in Deutschland.
Den Vorwurf, die Hamas stünde hinter den Sprengstoffanschlägen, bei denen niemand verletzt wurde, wiesen die Islamisten von sich. Es handle sich vielmehr um einen „kriminellen Akt“. Zehn Jahre nach dem Tod des streitbaren Führers mit der Kufiya sind die Palästinenser zerstritten, gedemütigt und ohne Hoffnung.
Könnte Arafat heute einen Blick auf sein Volk werfen, würde er höchstens darüber Befriedigung empfinden, dass auch seine Widersacher am Ziel eines unabhängigen Staates Palästina scheiterten. Der heutige Präsident Mahmud Abbas war kein allzu enger Freund und die islamistische Hamas noch viel weniger. Die Tatsache, dass Tote keine Fehler machen, kommt Arafat zugute, wenn es um die Illusion geht, dass mit ihm heute alles anders wäre.
Arafat hätte Spaltung niemals zugelassen
„Er verkörperte den nationalen Kampf der Palästinenser und wusste sie zu verteidigen“, sagt Samir Awad, Dozent für internationale Beziehungen an der Universität Bir Zait. „Die Spaltung“ zwischen Hamas und Fatah, zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland, „hätte Arafat niemals zugelassen.“ Dass die nationale Einheit, über die sich die zwei zerstrittenen Fraktionen schon im Frühjahr grundsätzlich einigten, nicht umgesetzt werde, schreibt der Politologe den „Interessen der Essedin-al-Kassam-Brigaden“ zu, dem bewaffneten Arm der Hamas.
Jüngsten Umfragen zufolge müsste die Hamas die Einheit und die vereinbarten allgemeinen Wahlen innerhalb von sechs Monaten nicht einmal fürchten. Wie das Palästinensische Zentrum für Politik und Meinungsforschung (PSR) in Ramallah feststellt, käme Abbas heute weit abgeschlagen auf nur 38 Prozent der Stimmen, während der Gegenkandidat der Hamas, Ismael Hanijeh, ehemals Regierungschef im Gazastreifen, 55 Prozent einstreichen würde. Immer mehr Palästinenser setzen inzwischen auf den militanten Widerstand, wie 44 Prozent in der Umfrage angeben. Im Vergleich dazu hoffen nur noch 29 Prozent, auf dem Verhandlungsweg ein Ende der Besetzung zu erreichen.
Schnelle Beileidsbekundungen
Bei den aktuellen Auseinandersetzungen in Jerusalem, wo sich wie zu Beginn der Ersten Intifada palästinensische Jugendliche und Soldaten Straßenschlachten liefern, versuchen Hamas und Fatah zu punkten. Auch daran hat sich seit Arafats Zeiten nichts verändert. Abbas beeilte sich mit Beileidsbekundungen bei den Eltern des palästinensischen Attentäters, der den ultranationalen Tempelberg-Aktivisten Jehuda Glick in der vorvergangenen Woche mit mehreren Schüssen schwer verletzte. Die palästinensische Führung, die offiziell von Gewalt Abstand nimmt, tut derzeit nicht allzu viel, um die in Jerusalem und andernorts aufgebrachten Wogen zu beruhigen. Auch am Montag stach ein Palästinenser in Tel Aviv wieder einen israelischen Soldaten nieder und verletzte ihn schwer.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu macht vor allem die Gewalt unter den eigenen Staatsbürgern Sorge. In der arabischen Kleinstadt Kfar Kana töteten Polizisten am Sonntag einen Messerangreifer, der offenbar schon auf der Flucht war. Die Bewohner wüten darüber, wie leicht die Polizei den Finger am Abzug hält, wenn es um Araber geht. Netanjahu droht mit drastischen Maßnahmen gegen diejenigen, die mit Steinen und Feuerwerkskörpern protestieren. Nun will er prüfen lassen, ob „all jenen, die zur Zerstörung des Staates Israel aufrufen, die Staatsbürgerschaft aberkannt werden kann“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen