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Kommentar Pädophilie-Historie GrüneDer Wille zur Aufklärung

Ines Pohl
Kommentar von Ines Pohl

Die Debatte über Pädosexualität hat die Grünen vor der Bundestagswahl viel gekostet. Mit der Walter-Studie setzen sie ein wichtiges Zeichen.

Grünen-Bundesversammlung im Januar 1985 in Offenburg. Bild: imago/Dieter Bauer

D ieses Kapitel Wahlkampfschlacht gehört zu einem der bizarrsten der vergangenen Jahre. Wochenlang schien es, als hätten vor allem FAZ und FAS kein anderes Thema als die sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Seitenlang wurde in den Wochen vor der Bundestagswahl ein Schreckgespenst gezeichnet, das die Grünen zu einer Partei der Kinderschänder machte, für die auch das aktuelle Spitzenpersonal in Haftung genommen werden konnte. Auch die taz machte in dieser Schlammschlacht alles andere als eine gute Figur.

Es ist lange bekannt, dass die Debatte über Pädosexualität ein Teil der grünen Geschichte ist. Auch, dass die Partei in diesem Bereich eine Offenheit gezeigt hat, die aus heutiger Sicht nicht zu akzeptieren ist. Und selbst wenn man begründen kann, wie es dazu kam, hätten die Grünen sich sofort und eindeutig von den damaligen Beschlüssen distanzieren und alle Maßnahmen ergreifen müssen, um mögliche Opfer ausfindig zumachen. Das ist nicht passiert. Ein großer Fehler, für den die Partei teuer bezahlt hat.

Was hinter den Dauerattacken und dem Diffamierungsjournalismus stand, wurde ab Tag eins nach der Wahl klar. Das Interesse am Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen nahm schlagartig ab. Die Mission war schließlich bereits erfüllt: Die Grünen waren maximal beschädigt, das linke Führungspersonal, allen voran Jürgen Trittin, geschwächt und die Kanzlerschaft Merkels gesichert.

Am Ende steht ein Bericht, der die Grüne Pädophilie-Geschichte endgültig aufklären soll, erstellt von unabhängigen Gutachtern. Im Wesentlichen wird nur bereits Bekanntes referiert. Gut bleibt, dass die Partei den Bericht in Auftrag gegeben hat: Aussagekräftig sind aber nicht die gefundenen Fakten, sondern es ist die Erkenntnis, dass es eine Waffe gegen Verleumdung gibt: den Willen zur Aufklärung.

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Ines Pohl
Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)
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4 Kommentare

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  • "Es ist lange bekannt, dass die Debatte über Pädosexualität ein Teil der grünen Geschichte ist. Auch, dass die Partei in diesem Bereich eine Offenheit gezeigt hat, die aus heutiger Sicht nicht zu akzeptieren ist."

     

    Weshalb kann dies "aus heutiger Sicht" nicht akzeptiert werden?

     

    Weil es heute nicht mehr möglich ist, Ansichten einzubringen, die nicht von den von mediengesteuerten Wählermeinungen abhängigen Politikern als einzig richtig anerkannt werden. Und die Massen-Medien wagen es nicht mehr, Jene unvoreingenommen zu Worte kommen zu lassen, die andere Meinungen vertreten als die zur Zeit massgebende Gesellschaftsmoral vorschreibt.

    Die ganze heutige Diskussion um die damaligen (und heutigen) Ansichten zum Thema "Pädophilie" geht an der Realität vorbei, weil "Pädophilie" nicht anders zur Sprache gebracht werden darf als in der unbewiesenen Gleichsetzung von Pädosexualität mit Kindmissbrauch. Damals wurden wenigstens diese Fachleute ernst genommen, die nachweisen konnten, dass solche Kontakte nicht zwingend "Opfer" hinterlassen. Auch herrschte damals noch nicht diese verblendete Meinung von heute vor, dass Kinder generell erst ab dem achtzehnten Lebensjahr fähig sind, für sich zu entscheiden, was gut für sie ist. Fragt man denn heute die "Kinder" (unter 18 Jahren!), vor was sie bis dann beschützt werden wollen?

  • Eine Aufarbeitung fand statt! Die Grünen haben nichts zu verbergen und sind die ehrlichste Partei hier in Deutschland! Tatsächlich waren in den Entstehungsjahren der Grünen "die Alternativen" ein Sammelbecken für alle, die bestehende Tabus jeglicher Art in Frage stellten. Und die Grünen waren in den 70ern in der Tat Sammelbecken für allerhand Spinner. Aber das ist immerhin 40 Jahre her und warum soll das ausgerechnet jetzt wieder medial hochgekocht werden? Langt es nicht, dass bewusst vor der Bundestagswahl eine gesteuerte Pädophiliekampagne aus den Reihen der Regierungskoalition und das "Hand in Hand" mit Rechtspopulisten gegen die Partei Die Grünen gestartet wurde.

  • Pädosexualität

     

    Dass Knaben sexuelle Verhaltensweisen haben - und natürlich auch Mädchen - wusste Freud und berichtete verschmitzt von beruhigenden Aktivitäten damaliger Kinderfrauen. Dieses Neuwort ist Missbrauch einer unsinnigen Begrifflichkeit zwecks bösgemeinter Diffamierung. Frau Pohl deutet dies in ihrem Kommentar an...

    Dss mein verstorbener Freund mit 12 Jahren mehrmals Sex mit seinem Onkel hatte, hat er dazumal und später in seiner Erinnerung genossen. Was er hingegen nicht verkraftet hat, war die Tatsache, im Ruhrgebiet von einem Besatzungssoldat beim Erwerb lebensnotwendiger Mittel gezeugt worden zu sein, weil seinem nachmaligen Stiefvater die Zeugung eines eigenen Kindes verweigert wurde - die Mutter hatte sich ihren vormaligen nebenberuflichen Broterwerb zur großen Liebe stilisiert. Dies alles blieb dem Knaben nicht verborgen und er hat sein Leben lang darunter gelitten...

  • "Das Interesse am Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen nahm schlagartig ab."

     

    Das Interesse am Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen war schon bei Diskussionen um den Missbrauch in der katholischen Kirche nicht das Hauptinteresse im politischen populistischen Diskurs. Es nahm daher auch nicht "schlagartig ab". Es hat nie bestanden.

     

    Ledig Grüne und die katholische Kirche haben aus der Kritik Lehren gezogen und in ihren Bereichen Initiative gezeigt. Der 99 prozentige missbräuchliche Rest der Gesellschaft lebt munter weiter in dem Glauben, dass mit Grünen und kath. Kirche das Thema Kindesmissbrauch gedeckelt ist. Als Politiker anderer Parteien könnte es ja passieren dass man sich dann auch mal an die eigene Nase fassen müsste.