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Syrische Bloggerin über Bürgerkrieg„Nicht nur IS, auch Assad angreifen“

Bloggerin Marcell Shewaro fordert Attacken auf Assad, um den Bürgerkrieg zu beenden. Sonst könne es bald viele IS geben.

Noch 600.000 Menschen wohnen im weitgehend zerstörten Aleppo. Bild: reuters
Eric Bonse
Interview von Eric Bonse

taz: Frau Shewaro, Sie stammen aus Aleppo. Wie ist derzeit die Lage in der ehemaligen Wirtschaftsmetropole im Norden des Landes?

Marcell Shewaro: Präsident Baschar al-Assad ist kurz davor, die Kontrolle zurückzugewinnen. Gleichzeitig wächst die Gefahr einer Hungersnot, weil die Versorgung zusammengebrochen ist. In Aleppo wohnen immer noch 600.000 Menschen, doch es kommt kaum noch humanitäre Hilfe an.

Wie sieht man in Syrien den Kampf um Kobane, wo der Westen massiv interveniert?

Wir waren überrascht von der Reaktion des Westens. Die USA und ihre Verbündeten haben zunächst nicht einmal gemerkt, dass da ein Islamischer Staat entsteht. Dabei ist der IS durchaus real. Ob es einem nun gefällt oder nicht, dort hat sich ein Staatswesen etabliert. In Syrien machen wir sogar böse Witze darüber: In fünf Jahren wird der IS einen Sitz in der UNO haben.

Aber genau das will die von den USA geführte Koalition doch verhindern.

Es gibt gar keine Koalition gegen den IS. Das Einzige, was wir sehen, sind Luftschläge der USA. Doch die machen die Lage für die Menschen nicht besser, ganz im Gegenteil. Als die Angriffe begannen, gab es noch die Hoffnung, dass Assad nun seine Luftschläge einstellen würde. Doch auch diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Die Menschen in Syrien sind nun wütender denn je. Viele fragen sich, warum es so wichtig ist, den IS anzugreifen, nicht aber Assad. Geht es nur darum, die Sunniten zu schlagen? So kommt das bei vielen an.

Im Interview: Marcell Shewaro

ist Bloggerin aus Aleppo. Nachdem ihre Mutter von syrischen Soldaten erschossen wurde, flüchtete sie nach Istanbul. Sie engagiert sich vor allem für Frauenrechte.

Kennen Sie persönlich IS-Kämpfer aus Ihrer Zeit in Aleppo?

Ja, ich kenne drei. Am Anfang waren das nur abenteuerlustige Kids, die fasziniert von der Revolte in Ägypten waren und etwas Ähnliches machen wollten. Als sie zu den Waffen griffen, haben wir zunächst alle gedacht, das sei eine Art Heavy-Metal-Gruppe. Und niemand hat sie daran gehindert, nach Syrien zu kommen. Heute ist das natürlich anders. Aber die IS-Anhänger profitieren immer noch von dem Vorurteil, dass sie wenigstens wissen, wie man richtig kämpft.

Waffenstillstand in Aleppo?

Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, hat sich nach Gesprächen mit Präsident Baschar al-Assad vorsichtig optimistisch über die Möglichkeit einer allmählichen Beendigung des Bürgerkriegs geäußert. Syriens Machthaber Assad befasse sich „sehr ernsthaft“ mit einem Plan zum „Einfrieren“ des Konflikts, sagte de Mistura am Dienstag in Damaskus. Demnach sollen alle Parteien die Kämpfe in Aleppo einstellen und Hilfslieferungen aufgenommen werden. In ersten Reaktionen zeigten sich die syrische Opposition und Vertreter der Rebellen zurückhaltend. (epd, taz)

Was sollte die EU tun, um den Menschen in Syrien zu helfen?

Vor allem sollten die Europäer versuchen, den Syrern mehr Respekt entgegenzubringen. Wir haben den IS in drei oder vier Tagen aus Aleppo vertrieben. Wenn es eine echte Partnerschaft zwischen der EU und den Syrern gäbe, dann entstünde nicht mehr der Eindruck, dass es um einen Kampf zwischen Christen und Muslimen geht. Außerdem sollte die EU den Syrern helfen, eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Wir brauchen mehr Wissen, die Bildung sollte eine Priorität werden. Und natürlich sollte die EU Assad bekämpfen. Wenn wir nicht endlich den Bürgerkrieg beenden, wird es bald nicht nur eine, sondern viele IS geben.

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5 Kommentare

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  • Der 'westlichen' Bloggerin fehlt es an historischen Kenntnissen. Mit westlichen Halbwissen kann Frau/Mann keine Gegenwart und Zukunft gewinnen. Die westliche 'Konsumgesellschaft' bietet keine Lösung für die Rohstoffregionen. Allenfalls für den sog. 'Mittelstand', deren Töchter und Söhne, aber nicht für die werktätigen Bevölkerungen.

     

    Die Quelle des Ursprungs des IS (ISIS) war der westliche US-Nato-Krieg gegen die Emanzipationsbewegung und "gegen den Sozialismus" in den Regionen.

     

    Der IS ist in seiner Vor- und Entstehungsgeschichte selbst schon eine Kreation der Vereinigten Staaten und (deren) Golfmonarchien, im Kampf gegen die historische Sowjetunion und ihre Bündnispartner und sozialistischen Parteien in der Nahost- und Asien-Region. Zugleich eine Spätfolge bei der Liqudierung der antifeudalen und säkularen Befreiungs- und Arbeiterbewegung in der arabischen Welt.

     

    Die nordamerikanischen (CIA-NSA etc.), französischen (SDECE-DGSE etc.), britischen (SIS-MI6 etc.) und bundesdeutschen Dienste (Gehlens BND-MAD etc.) setzten in den Regionen auf religiös-fundamentalistische und feudal-terroristische Gruppierungen und Bewegungen im "Krieg gegen den Sozialismus und Kommunismus", gegen die nationalen Befreiungsbewegungen (u.a. in Erinnerung: gegen Vietnam, Laos, Iran, Afghanistan; analog, gegen afrikanische Befreiungsbewegungen, gegen Mittel- und Südamerika etc.)

     

    Dem 'Westen' geht es nicht um "Frauenrechte", sondern im geopolitische und Rohstoffinteressen in der Region. Der Imperialismus bietet Frauen außerhalb der westlichen Wirtschafts- und NATO-Metropolen keine Emanzipation.

  • "Bloggerin Marcell Shewaro fordert Attacken auf Assad, um den Bürgerkrieg zu beenden."

     

    Na wenn eine Bloggerin das fordert, sollten wir unbedingt reagieren. Blogger(innen) sind ja die Götter des 21. Jahrhunderts...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Die Bloggerin wird gerade durch alle EU Medien durchgereicht und sagt überall eigentlich das gleiche. Tat sie im Prinzip auch schon 2011. Ich könnte auch tonnenweise Blogger_innen pro Assad durchreichen oder Videos...aber der Westen hat sich halt auf den Sturz eingeschworen und macht wieder einen auf Menschenrechte. Mit all den verursachten Grauen hat der Westen nichts zu tun, klar...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Hätte Putin nicht Obama im letzten Moment an der Bombardierung von Damaskus gehindert, stünde der IS heute dort. Und kein anderes Ziel verfolgen alle Vorschläge, die auf die Zerstörung von Rest-Syrien, oder z.B. auf Flugverbotszonen für die syrische Armee etc, ausgerichtet sind: Dem IS soll der Weg freigemacht werden.

      Nachdem inzwischen genug Erfahrung mit der angeblichen "demokratischen" oder "gemäßigt islamistischen" Kräften vorliegen, die Einen spielen längst keine Rolle in dem Konflikt mehr, die Anderen schieben die westlichen Waffenlieferungen direkt an den IS weiter, müsste eigentlich jedem logisch denkenden Menschen klar sein, dass ohne Assad in Syrien der Krieg gegen den IS nicht zu gewinnen ist.

       

      Die Frage ist, wer den, außer Assad, überhaupt wirklich gewinnen will. Die IS-Kämpfer bewegen sich beim Nato-Partner Türkei wie die Fische im Wasser, werden von den Saudis und anderen Golf-Oligarchien finanziert, und deren eigentlich natürlicher Hauptfeind, Israel, verhält sich merkwürdig bedeckt.

      Wie meinte doch der einstige israelische Botschafter in den USA, Michael Oren, im September letzten Jahres:

       

      "Al-Assad muss weg, wenn nötig auch mit Hilfe von al-Qaida"

      http://www.heise.de/tp/blogs/8/154986

       

      Es scheint doch alles nach Plan zu laufen...

      • @Helmut Ruch:

        "Es scheint doch alles nach Plan zu laufen..."

         

        Ich sag mal so: irgendwie so im Urin hatte ich das von Anfang an, als der IS aufkreuzte. Lässt sich für uns schlecht beweisen, aber passt ins Konzept. Angriff ging seinerzeit nicht (2013) da braucht man etwas, womit man Waffengänge legitimieren kann, ein Feindbild. Ne, ne, ich beobachte das seit langem und glaube dem Westen da kein Wort mehr. Was die da im Middle East anstellten seit 9/11 stellt fast alles in den Schatten.