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Klinikärzte sagen bundesweiten Streik ab

Der Marburger Bund verzichtet zunächst auf Ausstand in 100 Kliniken. Kölner Landgericht untersagt Streik aus tarifrechtlichen Gründen. Marburger-Chef Frank Ulrich Montgomery: Könnte „formaljuristisch“ korrekt sein

BERLIN taz ■ Für den Vorsitzenden der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB), Frank Ulrich Montgomery, dürfte die Nacht zum Dienstag ein Albtraum gewesen sein. Vollmundig hatte Montgomery zuvor stets angekündigt, am Dienstag würden bundesweit Ärzte in rund 100 kommunalen Kliniken in den Ausstand treten. Und damit die Arbeitgeber zur Aufnahme von Tarifverhandlungen zwingen, die den Medizinern unter anderem 30 Prozent mehr Gehalt einbringen soll. In der Nacht zum Dienstag zog die Gewerkschaft der Klinikärzte die Notbremse: Sie sagte den Streik ab.

Schuld daran ist ein Beschluss des Kölner Landgerichts. Dieses hatte dem MB am späten Montagabend untersagt, seine Mitglieder in den Kliniken der Stadt Köln zu Streiks aufzurufen. Die Begründung: Weil der Marburger Bund den gültigen Tarifvertrag nicht gekündigt habe, herrsche Friedenspflicht. Das Landgericht hob damit eine anders lautende Entscheidung der ersten Instanz auf. Um seine Mitglieder vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu schützen, zog die Gewerkschaft der Klinikärzte den Streikaufruf zurück.

Marburger-Chef Montgomery kritisierte die Gerichtsentscheidung in gewohnt scharfem Ton: „Der Richterspruch ist ein Anschlag auf die grundsätzlich verbriefte Tarifautonomie“, sagte Montgomery. Anders als das Gericht sieht er den MB „nicht in der Friedenspflicht, sondern nach wie vor in einem Tarifverhandlungsstatus“. Der MB habe den neuen Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD), der seit Anfang Oktober in Kraft ist, nicht unterzeichnet.

Das stimmt. Die Marburger hatten im September, kurz vor dem Abschluss, die Tarifgemeinschaft mit Ver.di aufgekündigt, weil sie mit dem Verhandlungsergebnis nicht einverstanden waren. Seitdem kämpft der MB allein für ärztespezifische Tarifverträge – mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und auch mit den Bundesländern. Die derzeitigen Auseinandersetzungen sind dabei die erste Bewährungsprobe.

Richtig ist aber auch, dass der Marburger Bund den alten Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) nicht gekündigt hat. Dass dies „formaljuristisch“ ein Problem sein könnte, gab Montgomery gestern auf Nachfrage von Journalisten zu. Inhaltlich aber sei das „lächerlich“. Doch bei Tarifauseinandersetzungen muss nun mal alles juristisch korrekt verlaufen.

Die Ärztegewerkschaft will nun prüfen, ob die Kündigung eines Teilbereichs des Angestelltentarifs sinnvoll ist. Man werde auf jeden Fall rasch alle Voraussetzungen schaffen, „um Streikfähigkeit herzustellen“, so Montgomery. Dies könne schon im Januar der Fall sein.

Die Kommunalen Arbeitgeber begrüßten das Urteil. Nach Ansicht von VKA-Chef Thomas Böhle „gibt es nichts zu verhandeln“. Die Arbeitgeber wollen, dass die Klinikärzte den neuen Diensttarif akzeptieren. Dieser bringe Verbesserungen. Ärzte würden besser bezahlt als alle anderen Berufsgruppen im öffentlichen Dienst. Montgomery vertritt hingegen die Auffassung, dass mit dem Vertrag Einkommensverluste für die Mediziner verbunden sind. SABINE AM ORDE

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