: „Ich habe mir meinen Glam hart erabeitet“
STILBRUCH Jorge González ist der ewige Spaßvogel. Seine Autobiografie erzählt anderes: von Traurigkeit und Kampf
■ 1967 in Kuba geboren, arbeitet als Model, Choreograf und Stilberater von Prominenten. Er hat seine eigene Kollektion („Chicas Walk“) und entwirft Kostüme für die Tanzshow „Ballet Revolución“. Von 2009 bis 2012 trainierte er die Models der TV-Sendung „Germany’s Next Topmodel“.
INTERVIEW JASMIN KALARICKAL
sonntaz: Herr González, heute haben Sie keine High Heels an.
Jorge González: Ich trage sie meist im Job. Aber ich liebe Schuhe, ich liebe Design. Schon als kleines Kind haben mich Schuhe fasziniert – vor allem Frauenschuhe. Und je höher der Absatz, desto besser.
Sind Sie nie gefallen?
Doch, aber wichtig ist es, wieder aufzustehen. Mir geht es nicht nur um High Heels, sondern um Körperhaltung, eine innere Haltung. Man setzt sich in Szene und signalisiert ganz selbstbewusst: „Ich bin so.“ Ganz ohne Komplexe. Jeder sollte seinen Glam finden.
Seinen Glam?
Es gibt Frauen, die kommen zu mir und sagen, Jorge, meine Hüfte ist so breit. Dann sage ich, ist doch toll, zeig deine Hüfte.
Man kennt Sie ja als Catwalktrainer aus der Fernsehshow „Germany’s next Topmodel.“ In Ihrem gerade erschienenen Buch zeigen Sie aber eine ganz andere Seite von sich.
Ich wollte genau dieses Klischee brechen. Der immer gut gelaunte Catwalktrainer Jorge auf High Heels mit der ganz tollen deutschen Aussprache, die ich habe. Das ist nur eine Seite von mir. Ich habe mehr zu erzählen: eine traurige, gefährliche, emotionale, bewegte Geschichte. Ich habe mir meine innere Freiheit, meinen Glam hart erkämpft. Ich passe in keine Schublade.
Siebzehn Jahre lang haben Sie ihre Homosexualität in ihrem Heimatland Kuba verheimlicht. Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen?
Ich konnte nicht sagen: „Hallo ich bin anders, wer hilft mir?“ Es herrschte ein Klima des absoluten Machismo. Ich hab mich gar nicht erst getraut, meine Homosexualität zu zeigen. Also habe ich mich vorbereitet. Viele, die aus Kuba rauswollten, sind übers Meer nach Miami geflüchtet und dabei gestorben, das wollte ich nicht. Eine andere Möglichkeit war, als Student in die sozialistischen Länder Europas zu gehen. Um das tun zu können, musste man aber in der Schule einer der Besten sein. Also habe ich angefangen zu lernen. Das war mein Plan.
Für ein Kind in diesem Alter klingt das ungewöhnlich.
Das stimmt. Aus meiner Familie kommt bestimmt irgendwer aus Deutschland, das Land hat mir auch sofort gefallen, dieser Fleiß, diese Disziplin. Aber im Ernst: Mir wurde das Gefühl gegeben, dass ich nicht gut bin, wie ich bin, weil ich anders bin. Deshalb wollte ich immer besser sein als die anderen.
Haben Sie das geschafft?
Ich kam mit elf Jahren auf ein Eliteinternat von Fidel Castro in Santa Clara, wir mussten immer um 6 Uhr aufstehen, und wir mussten in Gummistiefeln in der Landwirtschaft arbeiten, bei 40 Grad Hitze, Kartoffelernte, Mais, alles. Wenn man gut war, hatte man seine Arbeit um 10 Uhr erledigt, dann konnte man duschen, wenn es Wasser gab, dann gab es Essen, und um eins ging der Unterricht los bis in den späten Abend. Egal wie müde wir von der Arbeit waren, wir mussten in jeder Prüfung mindestens 85 von 100 Punkten schaffen, sonst war man sofort raus.
Gummistiefel tragen Sie heute vermutlich nicht mehr? Doch, aber mit Absätzen.
Dann wollten Sie studieren. Wie haben Sie sich denn für Ihr Fach entschieden?
Ich habe eine Liste bekommen. Auf der linken Seite standen die Studienfächer, auf der rechten Seite die Studienorte. Ich habe die linke Seite zugehalten und die Tschechoslowakei gesucht. Ich hatte eine Tante, die hat ihr Dorf in Kuba nie verlassen, aber sie war eine wandelnde Enzyklopädie. Sie war so belesen und ein großer Fan von Kafka. Und wenn sie mir von Prag erzählt hat, von der schönen Brücke und den Gassen, dann konnte ich diese Stadt vor mir sehen. Dann hab ich mir die Fächer angeschaut und bin auf Nuklearökologie gestoßen. Ein Fach, das darauf spezialisiert ist, die Auswirkungen radioaktiver Strahlung in unserem Ökosystem zu untersuchen. Ich liebe Biologie, Natur, Chemie, Physik. Prima dachte ich, das passt zu mir.
So haben Sie sich für ihren Studienort entschieden?
Ja, Kafka, ich komme! Obwohl ich gar nicht in Prag studiert habe. Dort bin ich angekommen, studiert habe ich aber in Bratislava.
War die Tschechoslowakei so schön, wie Sie sich das vorgestellt hatten?
Noch schöner. Ich hab das kommunistische Prag erlebt, das Prag in der Veränderung und das Prag danach. Das Prag in der Veränderung, das war einzigartig, das war wie das Paris der 30er Jahre, wie man es aus den Filmen kennt. Die Menschen waren so frei, so hungrig auf Neues. Ich habe dort meine innere Freiheit gefunden. Ich konnte so sein, wie ich bin. Es gab Diskotheken für Homosexuelle, eine kleine Szene. Meine Oma hat mir immer gesagt, wenn dich jemand nicht mag, dann geh einfach weiter, du wirst jemanden finden, der dich so mag, wie du bist, die Welt ist groß. Ich war angekommen.
Und dann sollten Sie wieder gehen.
1989 fiel der Eiserne Vorhang. Aus Kuba kam an uns Studenten sofort die Ansage: Das sind jetzt eure Feinde. Die kubanische Regierung hatte angekündigt, alle kubanischen Studenten nach und nach wieder zurückzuholen. Das wollte ich natürlich nicht. Ich hatte die Möglichkeit, einen Werbespot für die rote Dose, also für Coca-Cola, zu drehen. Der Spot kam aber früher raus als geplant – als das bekannt wurde, wollte die Regierung mich nicht mehr mein Diplom machen lassen und mich sofort zurückholen. Mithilfe von Freunden habe ich das erste politische Asyl der neuen Regierung bekommen. Das kam dann in die Presse, und es gab heftige Gegenreaktionen von Kubanern in der Tschechoslowakei. Drei Monate bin ich untergetaucht. Ich war ab diesem Zeitpunkt ein Konterrevolutionär, dabei habe ich nichts Politisches gemacht.
Ihre ganze Familie war in Kuba. Sind Sie je wieder zurückgegangen?
Acht Jahre durfte ich nicht einreisen. Meine Familie wusste nicht, ob ich lebe oder nicht. Seit 1997 durfte ich dann wieder einreisen, zunächst mit einem Visum.
Sie haben als Kind unter Normen gelitten. Dass Sie sich nun ausgerechnet in einer Welt bewegen, in der es ein stark normiertes Schönheitsbild gibt: ein Widerspruch?
Ich hatte früher auch Komplexe, wegen meiner dicken Lippen. Ich bin immer krampfhaft so rumgelaufen mit eingezogenen Lippen und habe kaum Luft bekommen. Diesen Widerspruch gibt es irgendwie. Aber ich nehme das als meinen Job und mir macht das auch Spaß. Ich genieße diese Glamourwelt, das ist eine Facette von mir. Glücklich bin ich aber auch, wenn ich zu Hause bin, mit den Menschen, die ich liebe, und mir einen schönen Film anschaue.
Können Sie Menschen nach ihrem Gang einschätzen?
Ich brauche ungefähr zwölf Sekunden. Dafür schaue ich einem Menschen zuerst in die Augen, dann auf die Haltung.
Was ist Angela Merkel für eine Frau?
Sie ist eine starke Frau, diszipliniert, ehrgeizig, und sie hat ja auch eine kleine Revolution geschafft, als erste Bundeskanzlerin.
Das sieht man an der Haltung?
An ihren Blicken, an ihrer Form, pamm, pamm, pamm, sie ist da, immer ganz eckig.
■ Jorge González: „Hola Chicas! Auf dem Laufsteg meines Lebens“. Heyne Verlag, 256 Seiten, 10 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen